Arzt-Patienten-Kommunikation verändert sich

Disease Interception wirft eine Reihe ethischer Fragen auf, die insbesondere das Arzt-PatientenGespräch sowie das Recht auf Nichtwissen betreffen.

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Eine besondere Herausforderung besteht darin, gesunde Menschen darüber zu informieren, dass sie allein aufgrund des Nachweises eines prädiktiven Markers ein Risiko für eine lebensbedrohliche oder lebensverändernde Krankheit haben, von der jedoch zunächst nicht klar ist, ob sie überhaupt ausbrechen wird. „Wir müssen respektieren, dass die Betroffenen ein Recht auf eine offene Zukunft haben, wenn sie von Risiken nichts wissen wollen“, so Professorin Eva Winkler, Leiterin „Ethik und Patientenorientierung in der Onkologie“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, Universität Heidelberg.

Zudem haben die Patienten auch ein Recht auf Nichtwissen. Das gelte vor allem dann, wenn es keine Therapieoptionen gebe. Gerade im Bereich der Onkologie sei bekannt, dass nicht aus jeder Präkanzerose das Vollbild einer symptomatischen Krebserkrankung entsteht, gab die Expertin zu bedenken. Auf der einen Seite ist darauf zu achten, aus gesunden Menschen nicht plötzlich Kranke zu machen. Auf der anderen Seite dürften aber auch keine falschen Hoffnungen erweckt werden.

Disease Interception ist eine Metapher aus dem Bereich des Sports (Abfangen eines Balls in der Luft) und der Telekommunikation (Abfangen von Nachrichten etc.). Auch wenn das Bild des „Abfangens“ einer Unterbrechung der Pathogenese in einem präsymptomatischen Stadium sehr nahekommt, bevorzugt Winkler für den medizinischen Bereich den Terminus „biomarkerstratifizierte Früherkennung einer Erkrankung und ihre Therapie“. Sie plädiert dafür, den Begriff Disease Interception in der Onkologie nur dann zu verwenden, wenn der krankmachende pathophysiologische Prozess mittels Biomarker nachweisbar ist und man therapeutisch rechtzeitig unterbrechen kann, so dass die Krankheit überhaupt nicht symptomatisch wird. Die Entscheidung für oder gegen eine Frühintervention bei asymptomatischen Menschen muss gemeinsam mit den Patienten getroffen werden, was laut Winkler hohe Anforderungen an die Arzt-Patienten-Kommunikation stellt.

Besondere Aufklärungserfordernisse

Welche Erwartungen Patienten mit der Aussicht auf eine frühestmögliche therapeutische Intervention im Sinne von Disease Interception verbinden, erläuterte Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG). Generell sei es aus Sicht von Patienten natürlich wünschenswert, schwere Erkrankungen von vorneherein an ihrem Ausbruch zu hindern. Aber es gebe durchaus auch Skepsis und Vorbehalte. Letztendlich müsse jeder Einzelne abwägen, ob er sich für oder gegen eine Früherkennungsmaßnahme und eine entsprechende Therapie entscheidet. Einerseits lässt sich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit voraussagen, ob die Erkrankung tatsächlich ausbricht. Andererseits besteht das Risiko, die Chancen auf Heilung zu versäumen. „Deshalb ist eine sorgfältige Aufklärung durch den Arzt extrem wichtig“, so Danner.

„Die Patienten müssen wissen, warum sie zu einer Hochrisikogruppe gehören, wie valide der angebotene Test ist und welche therapeutischen Optionen überhaupt zur Verfügung stehen.“

Umfassende Unterstützung nötig

Eine weitere Herausforderung für den Arzt ist die Begleitung des Patienten wenn die Testergebnisse vorliegen. Hochrisikopatienten zu identifizieren, reicht allein nicht aus. Vielmehr benötigen die Betroffenen eine optimale psychosoziale Betreuung – vor allem wenn sie einer Subpopulation angehören, für die noch keine Interception-Ansätze vorliegen. Ohne Therapieoption greift das prädiktive Wissen tief in die Lebensplanung der Betroffenen ein. Ethische und datenrechtliche Probleme ergeben sich auch dann, wenn die Betroffenen nicht einwilligungsfähig sind oder es sich um Erkrankungen mit genetischer Disposition handelt. Was, wenn das Testergebnis auch für Verwandte relevant ist? Wie ist das Recht auf Nichtwissen angesichts der Möglichkeiten von Disease Interception zu bewerten? „Disease Interception ruft einen enormen Unterstützungs- und Schutzbedarf für die Betroffenen hervor“, konstatierte Danner.
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