Heilmittelbericht

Jeder dritte über 60 erhält eine Therapie

Über 37 Millionen Mal stellten Ärzte im vergangenen Jahr eine Heilmittelverordnung aus. Davon profitierten vor allem Patienten ab 60 Jahren: Ihnen kamen rund 43 Prozent der Verordnungen zugute. Dabei stand insbesondere die Versorgung pflegebedürftiger Menschen im Fokus. Das zeigt der WIdO-Heilmittelbericht 2015.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:

BERLIN. "Pflegebedürftige Menschen ab 60 Jahre erhalten drei Mal so viele Heilmitteltherapien wie Nicht-Pflegebedürftige." Mit dieser Aussage trifft Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), den Kern der aktuellen Versorgungslage.

Wenn im Alter die Selbstständigkeit im Alltag abhanden kommt oder ein Schlaganfall das Sprachvermögen einschränkt, sind Heilmitteltherapien ein wichtiges Hilfsmittel, um Lebensqualität zu erhalten.

"Insbesondere jüngere Pflegebedürftige zwischen 60 und 64 Jahren profitieren davon. 2014 hat jeder von ihnen durchschnittlich mehr als 27 Heilmittelbehandlungen erhalten. Das sind sechs Mal mehr als Nicht-Pflegebedürftige im gleichen Alter", fasst er die Ergebnisse des WIdO-Heilmittelberichts 2015 zusammen.

37 Millionen Rezepte analysiert

Für den aktuellen Bericht hat das Institut die über 37 Millionen Heilmittelrezepte analysiert, die im Jahr 2014 für die rund 70 Millionen Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgestellt wurden.

Dabei wurde in diesem Jahr der Fokus auf die Altersgruppe 60 plus gelegt: Mit den Daten von über 24 Millionen AOK-Versicherten wurde der Heilmittelbedarf für diese Altersgruppe genauer betrachtet.

Das Ergebnis zeigt laut WIdO den besonderen Behandlungsbedarf der Versicherten 60 plus.

Unter den mehr als 7,7 Millionen AOK-Versicherten ab 60 Jahren hätten 2014 28,6 Prozent mindestens eine Heilmitteltherapie erhalten. Bei Kindern, Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen bis 20 Jahre liege der Vergleichswert bei 10,3 Prozent und bei den Erwachsenen zwischen 20 und 59 Jahren bei 15,8 Prozent. Dabei macht der Anteil der über 60-Jährigen an allen Heilmittelpatienten 43,6 Prozent aus.

Versorgungsbedarf verschiebt sich

Spitzenreiter bei den Heilmittelverordnungen ist in allen Altersgruppen und so auch bei den über 60-Jährigen zwar die Physiotherapie. - Sie macht über alle Altersgruppen hinweg 84,6 Prozent der Verordnungen aus. - Mit zunehmendem Alter nehmen jedoch die ergo- und sprachtherapeutischen Maßnahmen einen größeren Anteil an allen Heilmittelbehandlungen ein.

Während sich unter den 60- bis 64-Jährigen nur 10 von 1000 Versicherten in Ergotherapie und 4,4 von 1000 Versicherten in Sprachtherapie befunden haben, liegt der Wert bei den 84- bis 89-Jährigen nahezu doppelt so hoch: 18,3 Patienten je 1000 Versicherte ließen sich ergotherapeutisch und 8,4 Patienten je 1000 Versicherte sprachtherapeutisch behandeln.

Der verstärkte Heilmitteleinsatz bei Pflegebedürftigen mache dabei deutlich, dass die Behandlungen den spezifischen gesundheitlichen Beschwerden der verschiedenen Altersgruppen folgen, so das WIdO. 42,3 Prozent der pflegebedürftigen AOK-Versicherten ab 60 Jahre erhalten laut dem Bericht Heilmitteltherapien. Bei den Nicht-Pflegebedürftigen liegt der Anteil bei nur 24,5 Prozent.

Von den Pflegebedürftigen 60 plus werden 347 je 1000 Versicherte mit Physiotherapie behandelt. Das entspricht einem Drittel der Pflegebedürftigen.

Bei den nicht-pflegebedürftigen Versicherten liegt die Rate bei 237 Patienten je 1000 Versicherte. Noch deutlicher wird der Unterschied auch hier bei der Versorgung mit Ergotherapie und Sprachtherapie: Bei den Pflegebedürftigen liegt die Patientenrate mit 50 (Ergotherapie) beziehungsweise 26 (Sprachtherapie) je 1000 Versicherte sichtbar höher als bei den Nicht-Pflegebedürftigen mit sechs (Ergotherapie) bzw. zwei (Sprachtherapie) Patienten je 1000 Versicherte.

Zielgruppengerechte Verordnung

Doch es ist noch etwas erkennbar: "Pflegebedürftige mit demenzbedingten Einschränkungen erhalten weniger Physiotherapie als andere Pflegebedürftige. Das liegt auch daran, dass die Vermittlung von Therapieinhalten bei dementen Menschen weniger gut gelingt", erklärt Helmut Schröder.

Laut Heilmittelbericht erhalten 37,2 Prozent der älteren Menschen ohne demenzbedingte Einschränkungen in der Pflegestufe 1 eine Physiotherapie. Bei den Demenzerkrankten in dieser Pflegestufe sind es 22,3 Prozent - also ein Drittel weniger.

Schröder: "Damit macht der Heilmittelbericht deutlich, dass ältere Menschen zielgruppengerecht entsprechend der vorliegenden Pflegebedürftigkeit oder Alltagskompetenz mit Heilmittelbehandlungen unterstützt werden."

Insgesamt betrug der Heilmittelumsatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2014 5,77 Milliarden Euro. Über die zugehörigen 37,3 Millionen Verordnungen wurden 42,9 Millionen Heilmittelleistungen erbracht.

Heilmittelversorgung: Hausärzte sind wichtigste Verordner

Über ein Drittel der Heilmittelverordnungen in 2014 wurden von Hausärzten getätigt. Vor allem Physiotherapieleistungen standen auf dem Rezept.

Im Jahr 2014 haben sich nach Angaben des Bundesarztregisters rund 143.600 Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland beteiligt. Rein rechnerisch habe jeder Arzt 302 Heilmittelleistungen für GKV-Versicherte verordnet, heißt es im aktuellen Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Tatsächlich zeigen sich aber deutliche Unterschiede bei den Verordnungen zwischen den Fachgruppen. Die Hausärzte sind hier unangefochtene Spitzenreiter.

Das ist jedoch wenig verwunderlich: Da die Allgemeinmediziner mit 28,4 Prozent den größten Anteil an allen Ärzten ausmachen, nehmen sie mit 36,2 Prozent auch den ersten Rang in der Verordnungsstatistik ein. Im Durchschnitt hat im Jahr 2014 jeder Hausarzt 387 Heilmittelleistungen zur Versorgung von GKV-Versicherten verordnet.

Dabei veranlassten sie 36,9 Prozent der physiotherapeutischen, 30,1 Prozent der ergotherapeutischen und 19,3 Prozent der sprachtherapeutischen Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Auch Orthopäden liegen weit vorn

Eine weitere verordnungsintensive Facharztgruppe stellen nach dem Heilmittelbericht die Orthopäden dar. Sie kamen 2014 auf im Schnitt 1557 verordnete Heilmittelleistungen je Arzt.

Fachgruppenspezifisch veranlassten die Orthopäden hauptsächlich physiotherapeutische Leistungen - und lösten hier 30,4 Prozent aller Verordnungen aus, obwohl sie nur fünf Prozent aller Ärzte ausmachen.

Der Bericht beleuchtet neben der Versorgung von Senioren auch andere Altersgruppen: Er zeigt beispielsweise, dass der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule häufig mit ergotherapeutischer und logopädischer Hilfe gemeistert wird.

So wurden 24,1 Prozent der AOK-Versicherten Jungen im Alter von sechs Jahren 2014 mit einer Sprachtherapie behandelt, 12,4 Prozent waren in einer ergotherapeutischen Praxis in Behandlung. (reh)

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