Pertussis-Impfung

Faktenbox unterstützt beim Patientengespräch

Beim Thema Impfen besteht nach wie vor viel Unsicherheit. Mit ihren Faktenboxen versucht die AOK, gegenzusteuern und Praxisteams ein Hilfsmittel fürs Patientengespräch an die Hand zu geben. Eine neue Faktenbox informiert nun über die Pertussis- Impfung für Erwachsene.

Von Peter Willenborg Veröffentlicht:

BERLIN. Aus Anlass der Europäischen Impfwoche hat die AOK in einer neuen Faktenbox auf einen Blick und leicht verständlich den Nutzen und die Nebenwirkungen der Pertussis-Impfung für Jugendliche und Erwachsene dargestellt.

Die Faktenbox, die sich auch als Hilfsmittel zur Aufklärung von Patienten eignet, wurde in Zusammenarbeit mit dem Harding-Zentrum für Risikokompetenz im Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung erstellt. Sie ergänzt das bisherige Angebot von 13 Boxen zu verschiedenen Gesundheitsfragen, die bereits online sind.

Die Auffrischimpfung gegen Keuchhusten wird Jugendlichen und Erwachsenen seit 2009 von der Ständigen Impfkommission empfohlen. Sie wird einmalig als Kombinationsimpfung mit der Impfung gegen Tetanus und Diphterie durchgeführt.

Zu der Impfung wird geraten, weil weder eine überstandene Erkrankung noch die empfohlene Grundimmunisierung im Kindesalter ein Leben lang vor der Erkrankung schützen.

Wegen der derzeitigen Knappheit von Impfstoffen mit Pertussis-Komponente sollte bei einem Engpass nach Empfehlung der Stiko im Praxisalltag eine Priorisierung vorgenommen werden: Mit erster Priorität sollten bisher sicher ungeimpfte Personen die Impfung erhalten, dann Haushaltsangehörige von Risikopersonen wie Neugeborenen, gefolgt von Vorschulkindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Der Patient soll selbst abwägen

Die neue AOK-Faktenbox stellt den Nutzen und die mögliche Nebenwirkungen der Auffrischimpfung für Jugendliche und Erwachsene anschaulich und kompakt dar.

Ganz bewusst werden in den Faktenboxen keine Empfehlungen ausgesprochen: "Der Leser soll Nutzen und Risiko selbst abwägen" erklärt Dr. Kai Kolpatzik, Leiter der Abteilung Prävention beim AOK-Bundesverband.

Das ist auch das Ziel eines Videos zur Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln, das aus Anlass der Impfwoche in der Mediathek der AOK online gegangen ist. Es richtet sich in erster Linie an Eltern, die vor der Entscheidung stehen, ihr Kind impfen zu lassen.

"Wir wollen eine informierte Entscheidung ermöglichen, indem wir verständlich und auf Basis der aktuellen Studienlage über den Nutzen und über mögliche Nebenwirkungen der Impfung aufklären", sagt Professor Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Leiter des Harding-Zentrums.

Das dreiminütige Video schafft einen zusätzlichen Zugang zu den Informationen, die bereits im vergangenen Jahr in einer AOK-Faktenbox zusammengefasst worden sind.

Neben den beiden Faktenboxen zum Thema Pertussis und Masern gibt es noch ein drittes Informationsangebot zum Thema Impfen.

Es beleuchtet die Frage, ob sich Senioren ab 60 Jahren jährlich gegen Influenza impfen lassen sollten. Darüber hinaus gibt es medizinische Faktenboxen zum Sinn und Unsinn von Nahrungsergänzungsmitteln, zum Röntgen bei allgemeinen Rückenbeschwerden, zur Stoßwellentherapie beim Tennisarm sowie zum Nutzen eines jährlichen Ultraschalls zur Früherkennung von Eierstockkrebs.

Weitere Faktenboxen informieren über GKV-Leistungen wie die Pflegeberatung, die Kostenübernahme für Zahnspangen von Kindern oder die Zahlung von Kinderkrankengeld durch die gesetzlichen Kassen.

Dreifachimpfstoff ist in den Praxen oft Mangelware

Nach Erfahrung von STIKO-Mitglied und Pädiater Dr. Martin Terhardt müssen auch die Praxen in Sachen Pertussis-Impfung sensibilisiert werden. Denn häufig liege das Defizit im Praxiskühlschrank, wie er es nennt.

Das Interview führte Taina Ebert-Rall

Ärzte Zeitung: Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Praxis: Sind Ihre Patienten beziehungsweise die Eltern eher aufgeschlossen beim Thema Impfung oder eher nicht?

Dr. Martin Terhardt: Das ist ganz unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab. Bildung ist ein Faktor, aber auch das Wohnumfeld und die persönliche Einstellung spielen eine Rolle. Jugendliche und Erwachsene denken oft gar nicht daran, dass sie noch eine Impfung brauchen.

Am ehesten sind Eltern von Kleinkindern offen für das Impfthema. Durch Vorsorgeuntersuchungen, die in den ersten Lebensjahren ohnehin fällig sind, haben sie auch eher auf dem Schirm, dass ihr Kind geimpft werden muss.

Wo sehen Sie die größten Defizite bei der Pertussis-Impfung?

Terhardt: Hier sehe ich die Defizite eigentlich in den Kühlschränken von Ärzten. Die meisten Ärzte haben für ihre erwachsenen Patienten eher einen Impfstoff gegen Grippe, gegen Tetanus und Diphtherie oder sogar gegen Polio im Kühlschrank als die Dreifachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten.

Das kann natürlich damit zu tun haben, dass die meisten Ärzte nicht so häufig impfen, wenn wir mal von den Grippeimpfungen im Herbst absehen. Kinder- und Jugendärzte impfen jeden Tag sicher zehn- bis zwanzig Mal, bei den meisten Allgemeinmedizinern fällt dieser Anteil deutlich geringer aus. Deshalb ist es wichtig, immer wieder daran zu erinnern, sich selbst und die Patienten.

Und wo gibt es den größten Aufklärungsbedarf?

Terhardt: Den Patienten muss einfach klar sein, dass viele Impfungen keinen lebenslangen Schutz bieten. Keuchhusten ist tückisch, weil ein Mensch immer wieder daran erkranken kann. Selbst wenn man schon einmal Keuchhusten hatte. Und häufig denkt niemand daran, dass ein länger anhaltender Husten bei Jugendlichen und Erwachsenen auch Keuchhusten sein könnte.

Deshalb sollten wir Ärzte auch Jugendliche und Erwachsene immer wieder auf ihren Impfstatus ansprechen. Die aktuellen Informationen können ja sehr gut im Internet auf den Seiten des RKI gefunden werden.

Worin könnte die Lösung liegen?

Terhardt: Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Ohnehin machen wir es in Deutschland gar nicht so schlecht. In Europa gibt es beispielsweise in Holland, Spanien oder Kroatien überhaupt keine Keuchhusten-Auffrischimpfung für Erwachsene.

Derzeit denken wir über mehrere Möglichkeiten nach, weil wir in der Kommission mit der Effektivität und der Häufigkeit der Impfung nicht so richtig zufrieden sind. Zum Beispiel hätten wir gerade für die Auffrischung gerne auch einen Mono-Impfstoff gegen Keuchhusten.

Diese Einfachimpfung gab es früher, wurde dann aber vom Markt genommen. Und dann gibt es noch die aktuellen Lieferengpässe gerade bei den Keuchhusten-haltigen Impfstoffen, weil der weltweite Bedarf derzeit deutlich höher ist als die Produktionskapazitäten.

Und dieses Problem wird uns noch eine Zeit lang begleiten. Wegen der extremen Gefahr, die der Keuchhusten gerade für Säuglinge bedeutet, diskutieren wir derzeit auch intensiv über eine Impfung von Schwangeren.

Denn dadurch wäre auch der Säugling gut geschützt, bevor er selbst geimpft werden kann. Das wissen wir aus Großbritannien, das sehr gute Erfahrungen mit der Impfung von werdenden Müttern gemacht hat.

Finden Sie die Information zur Keuchhustenimpfung in den AOK-Faktenboxen sinnvoll?

Terhardt: Durchaus. Denn damit können sehr gut Menschen erreicht und auf die Gefahr von Keuchhusten aufmerksam gemacht werden, die im Internet auf Informationssuche gehen. Gut finde ich auch, dass zur Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln ein Film produziert wurde, der über youTube gefunden werden kann.

Ein wie ich finde sehr eindrückliches Beispiel für eine Warnung vor einer Masern-Erkrankung findet sich übrigens auf der Internetseite des britischen Schriftstellers Roald Dahl, in dem er über den Tod seiner ältesten Tochter spricht.

Dr. Martin Ternhardt ist seit 2011 Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Seit 1987 ist er Kinder- und Jugendarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Berlin.

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