"Kinder mit Alkoholschäden sind oft anstrengend"

HAMBURG (dpa). Den ersten Vollrausch hatte Saskia im Mutterleib. Das mag nach ein paar Schwangerschaftswochen gewesen sein. Die Mutter ging ab und zu auf Partys, griff gerne mal zum Glas - und durch die Nabelschnur trank Saskia mit.

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Als das Mädchen zur Welt kam, war es zu klein, zu leicht und lief regelmäßig blau an. "Mit dem Kind war etwas nicht in Ordnung, aber niemand wusste, was", sagt Saskias Pflegemutter Inis Rosenke. Erst 13 Jahre später ist klar: Saskia hat das Fetale Alkoholsyndrom (FAS). Sie ist eines von mehreren tausend Kindern, die jedes Jahr in Deutschland mit körperlichen und geistigen Schädigungen auf die Welt kommen, die Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursachen kann.

Die FAS-Symptome sind oft sehr unspezifisch. Nur in schweren Fällen sieht man betroffenen Kindern die Behinderung an: Das Gesicht ist abgeflacht mit typischen hängenden Augenlidern und zu klein wirkenden Augen. Daher wird die Diagnose häufig gar nicht oder erst nach Jahren gestellt - für Erziehungsberechtigte und Kinder bedeutet das häufig ein Spießrutenlaufen.

Die immer wiederkehrende Frage: "Was ist mit dem Kind nicht in Ordnung?", kennen auch Inis Rosenke und ihr Mann Achim. Als Saskias Mutter starb, nahmen sie die Tochter der allein erziehenden Frau bei sich in Hamburg zusätzlich zu ihren eigenen drei Kindern auf - die beiden hatten sich ohnehin häufig um das Mädchen gekümmert.

Doch die damals Neunjährige war anders - sie bekam Wutanfälle, zerriss ihre Schulhefte, schrie. "Man konnte ihr etwas verbieten - sie hat sich umgedreht und es trotzdem getan", sagt Inis Rosenke. In der Schule war sie hoffnungslos hinterher. Mit der Zeit entwickelte sie zudem Ticks: Sie stieß Laute aus, schimpfte, rannte mit dem Kopf gegen die Wand. "Wir wurden oft gefragt, ob wir unsere Tochter nicht erziehen können", erinnert sich Achim Rosenke.

Ein solches Verhalten ist typisch: "Kinder mit FAS können richtig anstrengend sein. Viele Eltern sind daher erschöpft", weiß Reinhold Feldmann, der an der Uniklinik Münster eine spezielle FAS-Sprechstunde anbietet. Denn emotionale Störungen und Verhaltensauffälligkeiten sind unter FAS-Kranken verbreitet, zudem haben viele Betroffene kognitive Defizite: Sie können nicht abstrakt denken, keine Regeln erfassen, die Konsequenzen ihres Handelns nicht überblicken.

Das Ehepaar Rosenke kannte diese Warnzeichen nicht. Klarheit erhielten sie erst nach einer langen Odyssee: Sie besuchten viele Ärzte und Therapeuten, ließen Saskia auf Epilepsie und Autismus untersuchen. Erst nach vier Jahren erhielten sie die richtige Diagnose in Feldmanns Sprechstunde. Sie suchten sich daraufhin einen Arzt, der sich mit der Erkrankung auskennt, und schickten Saskia auf eine Förderschule. "Der Umgang mit ihr ist jetzt leichter, weil sie nicht mehr so überfordert ist", sagt die Mutter. Die Wutanfälle sind seltener geworden. Trotzdem wird Saskia wohl ihr Leben lang eine Betreuung benötigen.

Weitere Informationen zu dem Thema im Internet unter der Adresse:  www.fasworld.de

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