Modellprojekt in Bayern hilft, die Zahl der Organspender zu erhöhen

MÜNCHEN (nsi). Die Zahl der Organspenden in Deutschland läßt sich offenbar durch ein Management, wie es in der Wirtschaft üblich ist, ohne Hilfe vom Gesetzgeber erhöhen. Modelle aus den USA und aus Bayern belegen dies.

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Täglich sterben in Deutschland drei Patienten auf der Warteliste für ein Organ. Zwar hat es 2005 einen Anstieg bei der Zahl der Spenderorgane gegeben. Auch für 2006 erwartet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) eine Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr, wie DSO-Vorstand Professor Günter Kirste bei der Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft in München sagte. Aber damit läßt sich der Bedarf nicht decken.

Etwa 11 500 Patienten stehen auf der Warteliste; im vergangenen Jahr sind 4377 Organe verpflanzt worden. Soll also der Gesetzgeber die Widerspruchslösung in Deutschland einführen oder erlauben, daß Menschen mit finanziellen Anreizen zu mehr Organspenden motiviert werden? Modelle aus den USA und aus Bayern zeigen, wie sich die Zahl der Organspenden durch Prozeß-Management, wie es in der Wirtschaft üblich ist, ganz ohne Hilfe vom Gesetzgeber erhöhen läßt.

Die Zahl der potentiellen hirntoten Organspender werde in Deutschland auf mindestens 40 pro Million Einwohner (pmE) geschätzt, sagte Kirste. Der Anteil sei in anderen Ländern ähnlich hoch, etwa in den USA (36 bis 47 pmE) und in Spanien (41 bis 46 pmE). Tatsächlich aber kommen derzeit auf eine Million Bundesbürger nur 14,8 postmortale Organspender, so Kirste, in den USA seien es 25,5 und in Spanien 35,1 pmE.

In den USA - vor allem im Bundesstaat Wisconsin - steuert man aber seit einigen Jahren auf Erfolgskurs: Die Zahl der postmortalen Organspender liege derzeit in Wisconsin bei 52 pmE, berichtete Professor Hans W. Sollinger, Direktor der Klinik für Transplantationschirurgie an der Universität von Wisconsin in Madison. Für das kommende Jahr werden 65 postmortale Organspender pro Million Einwohner angestrebt.

Erreicht haben das die US-Ärzte, indem sie in einen kontinuierlichen Dialog mit den Kliniken getreten sind, zunächst mit jenen, die die meisten potentiellen Organspender haben: Alle zwei Monate zieht jede Klinik Bilanz, welche Patienten woran gestorben sind, wie viele potentielle Organspender darunter waren, von wie vielen Organe entnommen oder warum Spenden nicht realisiert wurden.

    Die Zahl potentieller Spender in Deutschland wird unterschätzt.
   

"Die Daten besprechen die Klinikvertreter gemeinsam, dann wird analysiert, warum es in einigen Kliniken besser klappt als in anderen, und anschließend überlegen die Mitarbeiter zusammen konkret, wie sich Defizite beheben lassen", erläuterte Sollinger. "Wir haben uns bei diesem Vorgehen am Management von Firmen wie Microsoft, Toyota und Genentech orientiert", so der Chirurg.

Aber warum liegt die Zahl der tatsächlichen Organspender in Wisconsin so weit über der Zahl der potentiellen Spender? "Die Zahl der potentiellen Spender wird unterschätzt", sagte Sollinger zur "Ärzte Zeitung". In den USA stamme überdies ein Viertel der Organspenden von Herztoten, bei denen keine Hirntoddiagnostik gemacht wird - was in Deutschland gesetzlich nicht erlaubt ist. Die Ablehnungsrate schwanke in Wisconsin zwischen fünf und zehn Prozent. In Deutschland liegt sie bei etwa 37 Prozent.

Seit drei Jahren wird das Modell aus Wisconsin auch auf Bundesebene als Donation Collaborative praktiziert. Das Ergebnis in den USA: Die Zahl der Organspender erhöhte sich von 508 pro Monat im Jahr 2003 auf derzeit etwa 750 pro Monat. Im vergangenen Jahr seien deshalb knapp 500 Patienten der Warteliste weniger gestorben als zuvor, berichtete Sollinger.

Daß sich ein ähnliches Vorgehen auch in Deutschland realisieren läßt, zeigt das Beispiel Bayern. Dort hat die DSO - konzentriert auf Kliniken mit hohem Potential an hirntoten Organspendern - ein systematisches, computergestütztes Prozeß-Management erprobt. Zunächst werden alle Abläufe - vom Erkennen eines Organspenders bis zur Entnahme und Weiterleitung eines Organs an das transplantierende Zentrum - in jeder Klinik genau zeitlich erfaßt, inklusive einer Zuordnung zu den verantwortlichen Personen, wie Dr. Detlef Bösebeck von der DSO, Region Bayern, erläuterte.

Dann wird analysiert, wo sich Zeit einsparen und wo sich die Arbeit verbessern ließe. "Wichtig ist, daß immer wieder konkrete Ziele formuliert werden, auch quantitativ, um dann mit den Klinikmitarbeitern gemeinsam zu analysieren, ob sich bestimmte Veränderungen auf die Zahl der Organspenden ausgewirkt haben", wie Bösebeck sagte.

In den Kliniken, die an dem Projekt mitarbeiteten, habe sich die Zahl der Organspenden in einem Jahr um 50 Prozent erhöht, so daß die DSO-Region Bayern im vergangenen Jahr 40 Prozent mehr Organspenden habe melden können. In Bayern liege jetzt die Rate der postmortalen Organspender bei 18,1 pmE, berichtete Bösebeck. 96 Prozent der beteiligten Kliniken hätten dieser neu erprobten Form von Betreuung die Noten "gut" bis "sehr gut" gegeben.

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