HINTERGRUND

Klinikaffäre kann Vorbehalte gegen Organspende fördern

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

In der Affäre um angeblichen Organhandel, dubiose Spendenpraxis und Patientenerpressung wird die Essener Universitätsklinik voraussichtlich in den nächsten Tagen die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorlegen. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu mittlerweile 80 Verdachtsfällen stehen dagegen noch am Anfang.

Dem bekannten Essener Chirurgen Professor Christoph Broelsch - Direktor der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie - wird vorgeworfen, Patienten bevorzugt behandelt zu haben, wenn sie zu einer Geldspende für das Uniklinikum bereit waren. Dabei ging es nach Angaben von Patienten und Angehörigen sowohl um die beschleunigte Vergabe von Operationsterminen, als auch um die Garantie für die Chefarztbehandlung bei Kassenpatienten und die schnellere Vermittlung eines Spendeorgans an der Warteliste vorbei.

Chirurg Broelsch: Hatte keinen Einfluss auf Organ-Zusage

Broelsch bekennt sich zu der Praxis, Kassenpatienten gegen eine Spende für die Transplantationsforschung selbst operiert und dafür auf sein Honorar verzichtet zu haben. Aber: "Zu keinem Zeitpunkt habe ich Patienten zu einer Spende gedrängt oder in Aussicht gestellt, dass sich dadurch Behandlungen beschleunigen ließen", teilte er in einer Erklärung mit. Auch den Vorwurf des Organhandels weist er weit von sich. "Auf die Zusage und die Zeitfolge von Organspenden habe ich keinen Einfluss, das läuft ausschließlich über Eurotransplant", sagte er in einem Interview mit der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung".

Die Uniklinik Essen hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe ein Disziplinarverfahren gegen Broelsch eingeleitet und die Vorgänge an der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie durch eine Expertenkommission untersuchen lassen. Gleichzeitig wurde eine internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft damit beauftragt, die Spendenpraxis zu überprüfen. "Wir wollten gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen, dass es irgendwelche internen Mauscheleien geben könnte", sagt Kliniksprecher Burkhard Büscher.

Experten prüfen jetzt Vorgänge in der Klinik

Die Expertenkommission prüfe, ob bei den Organtransplantationen alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Es werde nachvollzogen, wer welches Organ bekommen hat, ob alle Patienten die für sie vorgesehenen Organe erhalten haben und was passiert ist, wenn ein Organ dem vorgesehenen Empfänger nicht eingesetzt werden konnte, so Büscher.

In dem Zeitungsinterview hatte Christoph Broelsch darauf verwiesen, dass die Kontrolle und Verwaltung der Forschungskonten schließlich bei der Klinikleitung liege. "Das Klinikum hat zu den Spenden meiner Patienten nicht ein einziges Mal gesagt: Nein danke, wir brauchen das nicht", so Broelsch.

Krankenhausleitung: Anlass der Spenden war uns unbekannt

Das weist Kliniksprecher Büscher zurück. Die Verwaltung könne beim Eingang einer Spende nicht erkennen, aus welchem Motiv sie geleistet werde. Dass eine Uniklinik auf Spenden angewiesen sei, sei klar. "Natürlich sind wir an Spenden interessiert. Was wir aber nicht wollen ist, dass davon eine Behandlung abhängig gemacht wird", sagt Sprecher Burkhard Büscher.

Die Staatsanwaltschaft in Essen ermittelt unter anderem wegen des Verdachts der Erpressung und Vorteilsnahme bislang ausschließlich gegen Broelsch, berichtet Oberstaatsanwalt Willi Kassenböhmer. Rund die Hälfte der 80 Fälle sind auf die Ermittlungen an der Uniklinik nach dem ersten Verdachtsfall zurückzuführen, die anderen sind von Patienten direkt gemeldet worden. "Wir versuchen jetzt in allen Fällen, den Sachverhalt abzuklären", sagt Oberstaatsanwalt Kassenböhmer.

"Eine sachliche und schonungslose Aufklärung ist notwendig", betont Rudolf Henke, Chef des Marburger Bundes in Nordrhein-Westfalen und zugleich stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Die Vorgänge in Essen dürften aber nicht zum Anlass genommen werden, sämtliche Kliniken unter einen Generalverdacht zu stellen. Bislang seien aus keinem anderem Haus ähnliche Vorgänge bekannt. Die Essener Spendenaffäre war bereits Thema einer Sitzung des Gesundheitsausschusses im Landtag.

Henke fürchtet, dass die Berichterstattung über die Affäre zusätzliche Widerstände gegen die Organspende auslösen könnte. "Wir müssen deutlich machen, dass es für die Organtransplantation klare Regeln gibt und dass dort kein Raum ist für individuelle Vertragsbeziehungen."

Die Ärztekammer Nordrhein, bei der Rudolf Henke im Vorstand sitzt, warte die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab. "Als Beamter unterliegt Christoph Broelsch dem Disziplinarrecht, die Kammer hat da keinen Spielraum." Die Kammer könne nur tätig werden, wenn berufsrechtliche Verfehlungen deutlich würden.

Broelsch gilt als Spezialist für Transplantationen. Für Aufsehen hatte er schon mit der Forderung gesorgt, wegen des großen Mangels an Spenderorganen sollten Spender mit finanziellen Anreizen wie Steuererleichterungen gelockt werden.

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