"Wir müssen aktiv für Organspende werben"

Seit 25 Jahren gibt es bereits die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Die Förderung der Organspende ist eine ihrer Kernaufgaben. Noch gibt es nach Ansicht von Professor Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der DSO, Strukturdefizite. Er fordert etwa, die Tätigkeiten der DSO-Koordinatoren eng mit denen von Ärzten, die potenzielle Spender behandeln, zu verzahnen.

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Ärzte Zeitung: Wie haben sich die Aufgaben der DSO seit ihrer Gründung vor 25 Jahren gewandelt?

Professor Günter Kirste: In den ersten Jahren ihres Bestehens hat die DSO die bundesweiten Strukturen für die Organspende aufbauen müssen, und sie hat die Wartelisten für die Krankenhäuser geführt. Heute können wir sagen, dass es in Deutschland - anders als in vielen europäischen Nachbarländern - mit der DSO eine solide Organisation gibt, die die Organspende koordiniert. Das Führen von Wartelisten gehört seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes nicht mehr zu den Aufgaben der DSO, dafür sind die Transplantationszentren zuständig. Einige Kliniken bitten die DSO-Mitarbeiter dabei um Unterstützung. Solche Leistungen werden aber dann durch die Kliniken refinanziert.

Ärzte Zeitung: Es fällt auf, dass im Vergleich zu den ersten 20 Jahren des Bestehens der DSO die Aktivitäten bei der Aufklärung der Bevölkerung deutlich zugenommen haben.

Kirste: In der Tat: Wir betrachten die Förderung der Organspende als eine unserer Kernaufgaben, und zwar innerhalb und außerhalb der Kliniken. Die Schere zwischen dem Bedarf und der Zahl der zur Verfügung stehenden Organe wird ständig größer. Das ist zum einen Folge des demografischen Wandels, zum anderen aber auch des medizinischen Fortschritts, der es grundsätzlich möglich macht, mehr Menschen zu helfen - wenn es denn Organe gäbe.

Ärzte Zeitung: Die Aktivitäten der DSO bei der Aufklärung werden einem aktuellen Bericht der Bundesregierung teilweise kritisch gesehen: Die DSO gehe damit über ihre gesetzlich und vertraglich geregelten Kompetenzen hinaus, heißt es dort.

Kirste: Die Aktivitäten von Institutionen, die das Gesetz in diesem Zusammenhang erwähnt, zum Beispiel die Krankenkassen und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), reichen bei weitem nicht aus. Zum einen fehlt das Geld für große Aufklärungskampagnen, und vor allem müssen die Inhalte direkter kommuniziert werden. Es geht um das Überleben von Menschen, wir müssen also aktiv für Organspende werben. Nüchterne Informationen alleine reichen nicht, wir müssen die Menschen auch emotional ansprechen, zum Beispiel über Patientenschicksale.

Ärzte Zeitung: Benötigt die DSO also mehr Kompetenzen?

Kirste: Ich würde mir in der Tat wünschen, dass die DSO vom Gesetzgeber den klaren Auftrag erhält, die Organspende zu fördern. Dieser Auftrag müsste sich dann auch auf die Kompetenzen der DSO im Krankenhaus erstrecken. Wenn es um die Meldung von potenziellen Organspendern geht, ist die DSO bisher nur Bittsteller. Sie kann nicht von sich aus in den Kliniken aktiv werden, sondern nur auf Anfrage. Die Bundesländer prüfen völlig unzureichend, ob die Kliniken ihrer gesetzlichen Pflicht, potenzielle Organspender zu melden, nachkommen. Es gibt keine Qualitätssicherung am Ende des Lebens. Wir wissen aber, dass weniger als die Hälfte der potenziellen Organspender gemeldet werden. Einen solchen Zustand können wir uns nicht leisten - weder unter ethisch-moralischen, noch unter gesundheitspolitischen Aspekten.

Ärzte Zeitung: Gibt es denn genug Intensivbetten mit Beatmungsplätzen, um die aufwändige Betreuung potenzieller Spender zu ermöglichen?

Kirste: Das wissen wir nicht genau, aber auch wenn die Bettenkapazitäten an einer Klinik ausreichen würden, fehlt es häufig an Ärzten und Pflegekräften. Die vorgesehenen Stellen sind nicht besetzt. Patienten im Koma müssen medizinisch so weit stabilisiert werden, dass überhaupt eine Hirntoddiagnostik durchgeführt werden kann.

Ärzte Zeitung: Wie lassen sich solche Strukturdefizite verbessern?

Kirste: Wir fordern bundeseinheitlich und flächendeckend eine bessere Zusammenarbeit zwischen DSO und Klinikmitarbeitern: Die Tätigkeiten der DSO-Koordinatoren sollen eng mit denen von Ärzten, die potenzielle Organspender behandeln, verzahnt werden. Bei einer solchen "Inhouse-Koordination", angelehnt an das sehr erfolgreiche spanische Modell, erhalten die Ärzte von den Koordinatoren Unterstützung, angefangen beim Erkennen der Spender bis hin zur Entnahme von Organen, wenn die Voraussetzungen für eine Explantation gegeben sind. Ab Januar beginnt ein entsprechendes Pilotprojekt. Etwa 50 Krankenhäuser nehmen teil, nach 18 Monaten erfolgt eine erste Evaluation.

Ärzte Zeitung: Im nächsten Jahr übernimmt Spanien die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union. Es wird erwartet, dass die Mitgliedsländer dann die von der EU-Kommission erarbeitete Direktive zur Qualität und Sicherheit von Organen umsetzen müssen - eine gute Perspektive?

Kirste: Es kommt darauf an. Positiv wäre, wenn es in Europa Mindeststandards für die Qualität und Sicherheit von Organen gäbe. Es darf aber nicht dazu kommen, dass nationale Behörden den Kliniken eine Zulassung für die Organentnahme erteilen müssen, wie es das deutsche Gewebegesetz als Umsetzung der europäischen Geweberichtlinie vorsieht.

Die juristische Ungleichbehandlung von Geweben und Organen ist eine Katastrophe. Wenn ein Chirurg ein Herz oder eine Leber entnimmt und sich ihm die Vermutung aufdrängt, das Organ eigne sich möglicherweise nur für die Verwendung als Gewebe, müsste er streng genommen das Skalpell fallen lassen. Er ist nämlich nicht mehr zuständig. Jetzt müssten sofort Kollegen von einer nach dem novellierten Arzneimittelgesetz zugelassenen Gewebeeinrichtung zur Stelle sein. Wie soll das im Alltag funktionieren? Es gibt Kliniken, die scheuen das Risiko vor solchen Situationen und melden lieber keine potenziellen Organspender.

Kritisch sehe ich auch das Bestreben der EU, den Zugang zur Heilversorgung in den Mitgliedsländern anzugleichen. In Bezug auf die Transplantation könnte das bedeuten, dass die Mitgliedsländer ihre Wartelisten für Patienten aller anderen Mitgliedsstaaten öffnen müssten. Das wäre sicher, auch unter Aspekten der sozialen Gerechtigkeit, ein schwer zu bewältigendes Problem.

Ärzte Zeitung: An welchen Forschungsprojekten beteiligt sich die DSO?

Kirste: Im Mittelpunkt steht die Verbesserung von Methoden, Organe schonender zu entnehmen und aufzubewahren, also zum Beispiel die Preservierungslösungen zu optimieren. Die Ethikkommissionen fordern teilweise für Studien mit veränderten Preservierungslösungen eine Einwilligung der Empfänger. Sollen wir nun jeden Patienten auf der Warteliste für das entsprechende Organ um Zustimmung bitten, weil er der Empfänger werden könnte? Da müssten die Kommissionen vielleicht auch einmal über ihren Schatten springen, um medizinischen Fortschritt zu ermöglichen.

Das Interview führte

Nicola Siegmund-Schultze

Professor Günter Kirste

Der Weg zur Deutschen Stiftung Organtransplantation

Bis in die 60er Jahre gab es für Patienten mit Nierenversagen nur eine Überlebenschance: die künstliche Blutwäsche. Die Behandlungsplätze in den Krankenhäusern aber waren knapp. Um die Versorgungssituation zu verbessern, wurde 1969 das Kuratorium für Heimdialyse (KfH) gegründet. Heute werden mehr als 70 000 Menschen in Deutschland regelmäßig dialysiert, ungefähr 25 000 Menschen leben mit einem Nierentransplantat.

Die medizinischen Möglichkeiten bei Organtransplantationen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verbessert. Um die Organspende und die Transplantation zu fördern, gründete das KfH vor 25 Jahren die gemeinnützige Stiftung Organtransplantation (DSO). Mit der Umsetzung des 1997 in Kraft getretenen Transplantationsgesetzes hat sich die DSO vom KfH getrennt und ist zur eigenständigen, bundesweiten Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende geworden. Ihre Aufgaben sind im Jahr 2000 durch einen Vertrag mit der Bundesärztekammer, den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vertraglich festgelegt worden. (nsi)

Geboren: 19. 1. 1948

Ausbildung: 1968 bis 1974 Medizinstudium in Berlin und Freiburg

Beruflicher Werdegang:

1983 erlangte Professor Günter Kirste die Anerkennung als Arzt für Chirurgie. Im Jahr 1995 wurde ihm die außerplanmäßige Professur für Chirurgie der Uni Freiburg zuerkannt. Fünf Jahre lang - von 1995 bis 2000 - war er Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft. Der Chirurg ist seit Juni 2004 Medizinischer Vorstand der DSO.     (eb)

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