Potential der Tests darf den Blick auf Patienten nicht einengen

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Im Zusammenhang mit der pharmakogenetischen Forschung taucht das Schlagwort "Individualisierte Therapie" häufig auf. Der Begriff suggeriert, Ärzte könnten mit Hilfe entsprechender Tests nun sicher die richtige Medizin für den richtigen Patienten in der richtigen Dosis verschreiben. "Diese Meinung ist zu unkritisch", sagt Privatdozent Dr. Günter Feuerstein vom Institut für Gesellschaft und Umwelt an der Universität Hamburg.

    Noch fehlen prospektive Studien mit pharmakogenomischen Biochips.
   

Zum einen dürften Ärzte den Blick auf Patienten nicht auf eine rein naturwissenschaft-technische Sicht einengen.

Zum anderen weisen Feuerstein und seine Kollegen darauf hin, daß auch die Pharmakogenomik eine Klassifikation der Patienten anhand statistischer Wahrscheinlichkeiten vornimmt und damit nicht individuell im engeren Sinne sein kann. So läßt sich für einen Patienten künftig statt mit 30prozentiger vielleicht mit 50prozentiger Sicherheit vorhersagen, ob er auf eine Therapie ansprechen wird oder nicht.

Praktisch problematisch können pharmakogenomische Tests dann werden, wenn Patienten aufgrund des Ergebnisses eine bestimmte Therapie vorenthalten werden soll. Denn in der Biologie ist schließlich nichts schwarz-weiß.

So läßt sich zum Beispiel nicht ausschließen, daß Frauen mit Brustkrebs auf eine Behandlung mit Herceptin ansprechen, obwohl der Test auf ein übermäßig aktives Her-2 / neu-Gen negativ ausgefallen ist. Bei der Wahl der Behandlung gelte es aber auch, psychische, soziale und biografische Faktoren im Blick zu behalten, mahnt Feuerstein.

Welche Konsequenzen die Pharmakogenomik für den Alltag von Ärzten und ihrer Patienten haben wird, läßt sich derzeit noch gar nicht absehen. Zum einen ist bislang noch nicht in prospektiven Studien belegt, daß pharmakogenomische Genchips tatsächlich den Behandlungserfolg verbessern.

So verlangte die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA vor der Zulassung des AmpliChip® CYP450 eine prospektive Untersuchung, die den klinischen Nutzen nachweisen sollte. Schließlich sind Dosisanpassungen auch auf andere Weise möglich, zum Beispiel durch Konzentrationsmessungen von Medikamenten im Blut.

Auf einer Tagung der Human Genome Organization in Berlin fragten sich zudem viele Teilnehmer, welche Interessen Unternehmen an der Entwicklung solcher Genchips haben, denn das Ergebnis kann auch größere Gruppen von Patienten von einer Behandlung mit Medikamenten ausschließen.

Eine Motivation dürfte sein, in der frühen klinischen Arzneimittelprüfung Genvarianten aufzuspüren, die mit einem hohen Risiko für unerwünschte Wirkungen assoziiert sind. Probanden mit ungünstigen Allelen könnten dann von der Studie ausgeschlossen werden, was unter Umständen günstiger sein könnte, als die Studie abbrechen zu müssen.

Daraus ergibt sich allerdings die Frage, wie der Umgang mit solchen in Studien gewonnenen pharmakogenetischen Daten zu regulieren ist. Denkbar sei zum Beispiel, daß Probanden mit günstiger Genkonstellation etwas häufiger unter die Patienten in der Verumgruppe gemischt würden, so Professor Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München-Martinsried in der FAZ-Sonntagszeitung "FAS" (15, 2004, 65).

Noch gibt es dazu weder in den USA noch in Europa Regelungen. Lediglich eine Arbeitsgruppe der European Agency for the Evaluation of Medical Products (EMEA) in London und des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) und Medizinprodukte in Berlin beschäftigt sich mit diesen Fragen.

Diskutiert wird außerdem, wer denn prospektive Studien zur Anwendung von pharmakogenomischen Testverfahren finanzieren soll. Denn schließlich würden nicht nur die Genchip-Hersteller profitieren, die Krankenkassen könnten auch viel Geld sparen, wenn unnötige Behandlungen wegfielen und kostspielige, unerwünschte Medikamentenwirkungen verringert würden.

Und schließlich ist die Frage, ob künftig EMEA oder BfArM vor der Aufgabe stehen könnten, bestimmte Arzneien nur noch in Kombination mit einem Gentest zuzulassen. (nsi)

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