90 Prozent der sehr kleinen Frühchen schaffen es zu überleben

Jeden Tag kommen in Deutschland etwa 13 Kinder mit einem Geburtsgewicht zwischen 750 und 1500 Gramm zur Welt. 0,6 Prozent der lebend geborenen Babys sind extreme Frühgeburten. In den 70er Jahren sind 90 Prozent dieser Kinder kurz nach der Geburt gestorben, heute ist das Verhältnis umgekehrt: 90 Prozent überleben, die meisten ohne schwere Schäden.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Das hohe Niveau einer Erstversorgung durch Neonatologen erfordert eine gute Zusammenarbeit mit niedergelassenen Pädiatern. Denn sie versorgen Eltern und Kinder ambulant weiter. "Wenn wir sehr kleine Frühgeborene zu behandeln haben, laden wir den Pädiater, der die Familie weiter betreut, zu uns ein", sagt Professor Karl Bauer, der kürzlich am Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Uni Frankfurt die Leitung des Schwerpunkts Neonatologie übernommen hat. In der Klinik können sich niedergelassene Pädiater ein Bild vom Gesundheitszustand ihres künftigen Patienten machen und helfen einzuschätzen, wann eine ambulante Betreuung möglich ist.

Ein Kalorimeter speziell für Frühgeborene entwickelt

Damit Frühgeborene in der Entwicklung aufholen können, ist es wichtig, daß sie weder zuviel noch zu wenig Kalorien aufnehmen. Bauer hat ein Frühgeborenen-Kalorimeter entwickelt, mit dem auf Intensivstationen der individuelle Energieumsatz der Kinder bestimmt wird. "So können wir die Nahrungsmenge individuell anpassen", sagt Bauer. Eine andere Neuentwicklung: die intelligente Beatmungsmaschine, die die Sauerstoffzufuhr nach Bedarf einstellt.

Weil Körperkontakte und die seelische Beziehung zwischen Eltern und Kindern die Entwicklung der Babys wesentlich beeinflussen, favorisiert Bauer, wenn möglich, die Känguruh-Pflege. Dabei liegt das Kind gut verpackt auf der Brust von Vater oder Mutter. "Wir haben in einer Studie belegen können, daß auch 25-Wochen-Kinder die Känguruh-Pflege ohne Kältebelastung vertragen", erläutert Bauer.

Außerdem hat er die Besuchszeiten erweitert und ermöglicht, daß außer Eltern auch andere nahe Verwandte den Zuwachs sehen können. "Für Geschwister, die bei der Sorge der Eltern um ein Frühgeborenes oft zurückstecken müssen, ist es wichtig, daß sie das Geschwisterchen sehen können", sagt Bauer. Und er plant Mutter-Kind-Zimmer (rooming-in) auf der Intensivstation.

Beim rooming-in lernen Eltern rund um die Uhr die Betreuung

Die Entscheidung, wann ein Frühgeborenes aus der Klinik entlassen werden kann, hängt im wesentlichen davon ab, ob die Eltern es gut versorgen können. Der Vorteil von rooming-in sei, daß die Mütter mit Hilfe der Krankenschwestern rund um die Uhr lernen, wie sie ihr Baby betreuen sollten.

Eines der Ziele: Das Kind soll gestillt werden. "Muttermilch ist auch für Frühgeborene die beste Ernährung", sagt Bauer. Stillen erfordere eine hohe Motivation der Mütter, die oft Wochen lang abpumpen müßten, weil das Baby keine Kraft zum Saugen habe. Immerhin: 60 Prozent der Kinder trinken bei Entlassung an der Mutterbrust.

Für die Versorgung zuhause sei wichtig, daß die Kinder ausreichend trinken und genug Nahrung aufnehmen, um etwa 30 Gramm pro Tag zuzunehmen. Und sie müssen Körpertemperatur, Atmung und Kreislauf selbst regulieren können. "Der Pädiater, der die Familie weiter betreut, sollte akribisch auf das Wachstum achten", sagt Bauer. Längenwachstum und Kopfumfang seien die entscheidenden Parameter.

Die Neonatologen müssen oft entscheiden, ob sie ein Kind behandeln oder sterben lassen. "Diese Entscheidung machen wir auch davon abhängig, ob das Kind gesund oder krank zu sein scheint, wie hoch seine Wahrscheinlichkeit zu überleben ist und mit welchen Einschränkungen", so Bauer.

Gelegentlich werden Frauen nach IVF mit Drillingen schwanger und fürchten die Risiken der Frühgeburten für ihre Kinder. Für Ärzte stellt sich dann die Frage, ob ein Fetozid angemessen sei. "Drillinge werden oft zwei Monate vor Termin geboren, die Risiken sind aus meiner Sicht tragbar", sagt Bauer. Nur bei etwa jedem zehnten komme es zu bleibenden, schweren Schäden wie Bewegungsstörungen. Er lehne einen Fetozid bei Drillingen grundsätzlich ab.

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