Regenerative Medizin

Japaner verpflanzen Gewebe aus Spender-Stammzellen

Japanische Ärzte haben zum zweiten Mal Gewebe transplantiert, das aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) gewonnen wurde. Eigentlich eine weitere Premiere: Denn sie nutzten nicht patienteneigene Zellen, sondern Spender-iPS-Zellen.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Zellkulturen unterm Mikroskop: Japanische Forscher züchten Netzhautzellen aus pluripotenten Stammzellen (iPS).

Zellkulturen unterm Mikroskop: Japanische Forscher züchten Netzhautzellen aus pluripotenten Stammzellen (iPS).

© sinitar / fotolia.com

Damals, im Jahr 2014, ging die Nachricht nicht nur weltweit durch die Fachpresse, sondern erreichte auch die großen Tageszeitungen. Augenärzte vom Kobe City Medical Center und Stammzellexperten des staatlich-japanischen Forschungszentrums Riken Center for Developmental Biology um die Augenärztin Dr. Masayo Takahashi in Kobe hatten einer 77-jährigen Patientin mit schwerster exsudativer altersabhängiger Makuladegeneration (AMD) Netzhautzellen ins Auge transplantiert, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) gezüchtet worden waren. Damit war ein langjähriges Versprechen der Stammzellforschung eingelöst worden, so schien es zumindest.

Vom Nobelpreis zum Patienten

Für die Herstellung von iPS-Zellen hatte der japanische Wissenschaftler Dr. Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto im Jahr 2012 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Es handelt sich um Zellen, die aus ganz normalen Körperzellen gewonnen werden, meistens Hautzellen. Durch Behandlung mit bestimmten Botenstoffen werden diese Hautzellen im Labor dahingehend umprogrammiert, dass sie embryonalen Stammzellen sehr ähnlich werden. Sie können dann in Zellen verschiedenster Gewebe umgewandelt werden, zum Beispiel in Zellen der Netzhaut.

Was den klinischen Einsatz angeht, bestand die erste Idee der japanischen Stammzellforscher darin, patienteneigene Hautzellen in iPS-Zellen und dann in das jeweils benötigte Gewebe umzuwandeln. Das hat unter anderem den Vorteil, dass das Immunsystem auf Transplantate aus solchen Zellen nicht anspringt. Denn es handelt sich ja um körpereigene Zellen.

In einer Mitte März im "New England Journal of Medicine" erschienenen Publikation berichteten Takahashi und Yamanaka über die Langzeiterfahrungen mit der auf patienteneigenen iPS-Zellen basierenden Transplantation bei der jetzt 80-jährigen Japanerin (N Engl J Med 2017; 376: 1038-46). Die Behandlung führte demnach zwar nicht zu einer Verbesserung der Sehstärke, wohl aber dazu, dass die Erkrankung seither nicht weiter fortgeschritten ist. Die Ärzte betrachten das als Erfolg. Auch in Sachen Sicherheit gab es keine unerwarteten Ereignisse.

Patienteneigene Zellen zu teuer

Einen Haken hatte die Sache allerdings doch. Die Herstellung der patienteneigenen iPS-Zellen war extrem zeitaufwändig und teuer. Yamanaka bezifferte die Kosten bei der einen Patientin auf umgerechnet rund 840.000 Euro, und es dauerte zehn Monate, bis aus den Hautzellen genug Netzhautzellen hergestellt waren, um transplantieren zu können. Das war auch der Grund, warum es seither keinen weiteren Patienten mehr gab, der auf gleiche Weise behandelt wurde.

Jetzt wollen die Japaner endlich fünf weitere Patienten behandeln, und den ersten davon, einen etwas über 60-jährigen Patienten mit exsudativer AMD, behandelten sie, erneut in Kobe, am vergangenen Dienstag. Das Verfahren ist nun aber ein anderes: Es werden fertige iPS-Zelllinien aus Yamanakas Biobank an der Universität Kyoto genutzt, also Zellen von Spendern. Das langwierige und kostenaufwändige individuelle Herstellen der iPS-Zellen entfällt. Die Herstellung des benötigten Gewebes, in diesem Fall Netzhautzellen, dauerte diesmal nur knapp vier Wochen. Und die Kosten lagen bei einem Fünftel.

Bald iPS-basierte Therapien auch am Herzen?

Dafür handelt es sich jetzt um Zellen, die vom Immunsystem als "fremd" erkannt werden könnten. Diese Gefahr ist im Auge geringer als an anderen Stellen, sie ist aber trotzdem vorhanden. Die japanischen Ärzte haben deswegen ein sogenanntes Matching durchgeführt: Sie haben sich wichtigeImmunsystem-Marker des Patienten angesehen, die HLA-Antigene, und sie haben dann aus der Biobank der Universität Kyoto nur solche iPS-Zellen genommen, die vom HLA-Profil zum Patienten passen. Auf Basis der bisher existierenden 75 iPS-Zelllinien könnten potenziell für bis zu 80 Prozent der Japaner immunologisch "passende" Transplantate gezüchtet werden, schätzt Yamanaka.

Ob die Transplantation auf Basis von Spender-iPS-Zellen effektiv ist, wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. In jedem Fall öffnet das neue Verfahren das Tor für den Einsatz von iPS-Zell-Transplantaten auch in anderen Bereichen der Medizin. So gibt es Überlegungen, solche Zellen bei Patienten mit Herzerkrankungen einzusetzen. Das war mit patienteneigenen iPS-Zellen undenkbar, weil solche Therapien viele Millionen Zellen benötigen, nicht nur rund 250.000 wie bei Behandlungen am Auge.

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