"Bahnbrechende Arbeit"

Robert-Koch-Preis für Forschung zu Immunglobulinen

Mit seiner Analyse der Antikörper-Antwort führte der US-Forscher Professor Jeffrey V. Ravetch einen Paradigmenwechsel in der Immunologie herbei. Dafür wirder mit dem Robert-Koch-Preis 2018 geehrt.

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BERLIN. Die Robert-Koch-Stiftung verleiht den mit 120.000 Euro dotierten Robert-Koch-Preis 2018 an Professor Jeffrey V. Ravetch von der Rockefeller University in New York (wir berichteten kurz). Mit der Auszeichnung werden seine bahnbrechenden Arbeiten zur Analyse der Antikörper-Antwort gewürdigt, teilt die Stiftung mit.

Ravetch hat mit einem rekombinanten Gammaglobulin die Möglichkeit eröffnet, Autoimmunerkrankungen, wie Arthritis oder Lupus erythematodes, in Zukunft sehr viel effektiver zu behandeln, als dies bisher möglich war. Auch die zweite und dritte Generation von therapeutischen Antikörpern gegen Krebs würde es ohne Ravetch nicht geben.

All dies ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Fc-Fragment auf dem Antikörpermolekül und dessen Bindungspartnern, den Fc-Rezeptoren, die sich auf der Oberfläche von vielen Immunzellen befinden. Als der US-Forscher Anfang der 1980er Jahre am Sloan-Kettering Institute in New York seine erste eigene Forschergruppe übernahm, stellte er sich die scheinbar simple Frage: "Warum besitzen Antikörper überhaupt ein Fc-Fragment?" Damals wurde diesem Strukturelement des Antikörper-Moleküls noch keine bedeutende biologische Rolle beigemessen. Aber Ravetch hatte mit seiner Frage ins Schwarze getroffen.

Es gelang ihm, die Familie der Fc-Rezeptoren zu klonieren. Versuche mit Knock-Out-Mäusen lieferten den Beweis, dass über Mitglieder aus der Familie der Fc-Rezeptoren ganz unterschiedliche Immunreaktionen moduliert werden können. "Es dauerte lange und kostete einige Mühe, die medizinische Community von der Tatsache zu überzeugen, dass über diese Rezeptoren nicht nur entzündliche Prozesse reguliert werden, sondern auch Immunomodulation und Immuntoleranz", wird Ravetch in der Mitteilung der Robert-Koch-Stiftung zitiert.

Für viele von Antikörpern vermittelte Phänomene, die sich mitunter auch widersprüchlich darstellten, gab es nun eine plausible Erklärung. Zum Beispiel für das vermeintliche Paradox im Zusammenhang mit den Gammaglobulinen (IgG). Dass diese Antikörper Autoimmunerkrankungen auslösen können, wenn sie körpereigene Zellen als "fremdartig" einstufen, wusste man schon seit langem. Andererseits ließen sich Autoimmunerkrankungen mit hochdosierten, intravenös verabreichten Gammaglobulin-Präparaten erfolgreich behandeln. Wie konnte das sein?

Ravetch entdeckte, dass es von winzigen molekularen Abweichungen ("Sialylierung") in der Fc-Region des Antikörper-Moleküls abhängt, ob das Gammaglobulin eine entzündliche oder antientzündliche Wirkung hat, weil einzelne Mitglieder aus der Familie der Fc-Rezeptoren auf die strukturellen Veränderungen, die durch die Sialylierung ausgelöst werden, unterschiedlich reagieren. Mit der Aufklärung dieser Mechanismen hat Ravetch die Voraussetzung für die Entwicklung eines synthetischen Gammaglobulins geschaffen, einer "hypersialylierten" Variante mit einer um ein Vielfaches stärkeren Wirkung als bei den herkömmlichen, aus Tausenden von Plasmaspenden gepoolten Präparaten.

Auch den neuen therapeutischen Antikörpern gegen Krebs liegt die Erkenntnis zugrunde, dass entscheidende Signale über die Fc-Rezeptoren vermittelt werden, die damit wesentlich zu den Mechanismen beitragen, aufgrund derer diese Antikörper zur Behandlung von Krebserkrankungen verwendet werden können. Dabei sind für das Töten von Tumorzellen andere Strukturen des Fc-Fragments erforderlich, die an andere Mitglieder aus der Familie der Fc-Rezeptoren binden als bei der Aktivierung der Immunantwort, wie Ravetch nachweisen konnte.

Dass über ein und dieselbe molekulare Einheit, IgG, auch gegensätzliche Reaktionen gesteuert werden können, war ein revolutionärer Gedanke, der einen Paradigmenwechsel für die Immunologie bedeutete. Ravetch erkannte, dass es sich beim Fc-Fragment eben nicht um eine unveränderliche molekulare Struktur handelt, wie man ursprünglich angenommen hatte. Vielmehr kann es aufgrund von Veränderungen bei der Glykolisierung viele verschiedene Formen annehmen. Durch die unterschiedliche Art der Bindung an Mitglieder aus der Familie der Fc-Rezeptoren werden diese strukturellen Abweichungen in funktionelle Unterschiede übersetzt.

In einem gesunden Immunsystem sorgen aktivierende und hemmende Signale für die richtige Balance. Wird dieses Gleichgewicht jedoch erschüttert, kann es zum Angriff auf körpereigene Zellen und damit zu Autoimmunerkrankungen oder zur Verschlimmerung von Infektionskrankheiten kommen.

Das enorme Potenzial dieses bahnbrechenden Forschungsansatzes ist noch längst nicht ausgeschöpft, so die Robert-Koch-Stiftung. Zuletzt hat Ravetch in seine Analyse der Antikörper-Antwort auch noch Infektionskrankheiten mit einbezogen und die Rolle von Fc-Rezeptoren bei der Vermittlung einer schützenden Wirkung von antiviralen Antikörpern herausgearbeitet. Erkenntnisse aus verschiedenen Tiermodellen liegen bereits vor. Das nächste Ziel sind bessere Impfstoffe für Menschen, etwa gegen Influenza.

Robert-KochMedaille in Gold

» Dr. Staffan Normark, Professor am Karolinska-Institut in Stockholm, erhält die Robert-Koch-Medaille in Gold für sein Lebenswerk, insbesondere für seine Arbeiten zur Pathogenität von Krankheitserregern.

» Er untersuchte unter anderem die winzigen haarähnlichen Anhängsel ("Pili"), mit denen E.coli versucht, sich an die Zellen der Harnblasenwand anzuheften. Die Arbeit mündete in die Entwicklung eines experimentellen Impfstoffs gegen Harnwegsinfektionen.

» Normark konnte als Erster belegen, was H. pylori dazu befähigt, an Epithelzellen in der Magenschleimhaut anzudocken.

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