Kampf gegen Keime

Lehren aus einem Skandal

"Keim-Skandal" titelte die Presse, als 2011 drei Frühchen des Klinikums Bremen Mitte an einer Klebsiellen-Infektion gestorben sind. Ärzte und Schwestern mussten wüsten Vorwürfen trotzen. An der Klinik ist nichts mehr, wie es war. Ein Besuch auf der Intensivstation für Neugeborene im Klinikum Links der Weser.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Auf der Intensivstation im Bremer Klinikum Links der Weser arbeiten zwei Fachärzte und drei Fachkräfte für Hygiene.

Auf der Intensivstation im Bremer Klinikum Links der Weser arbeiten zwei Fachärzte und drei Fachkräfte für Hygiene.

© Beneker

Ein Füßchen, ein Söckchen. Unter der himmelblauen Decke lugt ein unfassbar kleines Bein hervor. Es gehört Christoph, 1100 Gramm leicht. "Vor Kurzem wog er noch 860 Gramm", sagt die Schwester, die ihre Hände reibend aus seinem Zimmer kommt.

Die Spender mit Desinfektionsflüssigkeit für die Hände wurden auf der Station ergänzt um Geräte neben den Zimmertüren und Geräteaufbereitungsräume. Niemand soll vergessen, sich beim Betreten und Verlassen der Räume die Hände zu desinfizieren.

Das ist eine der ganz praktischen Maßnahmen, um Infektionen zu verringern. "Hier bleibt alles beim Kind", erklärt der Kinderarzt Dr. Hans Thorsten Körner leise eine weitere Hygienemaßnahme.

Jedes Utensil, sei es Stethoskop oder Jäckchen, Tupfer oder Kanüle bleiben beim Bett jedes Kindes, damit an den Gerätschaften noch eventuelle Keime nicht zu einem anderen Bett verschleppt werden.

Endstation einer Geschichte

Hier, in der Intensivstation der Neonatologie im Bremer Klinikum Links der Weser (LdW), einem der vier ehemals kommunalen Krankenhäuser der "Gesundheit Nord" (GeNo), ist vorläufig eine Geschichte zu Ende gekommen.

Sie hat Bremen und große Teile der Öffentlichkeit 2011 und 2012 in Atem gehalten. Drei Frühchen sind im Laufe des Geschehens an Klebsiellen-Infektionen gestorben, während sie in der Neugeborenen-Intensivstation im Klinikum Bremen Mitte (KBM) lagen.

Einige weitere wurden hier von den Keimen infiziert, eine ganze Reihe anderer Kinder von den Keimen besiedelt.

Es ist ziemlich ruhig auf der Intensivstation des LdW. Die Patientenzimmer sind mit halb durchsichtigen gläsernen Schiebetüren vom Flur getrennt. Man sieht, wie ein Arzt und eine Schwester sich über das Bett eines Kindes beugen.

Die Konzentration liegt wie eine träge Substanz in der Luft. Der Arzt legt seinem winzigen Patienten einen Zugang.

Andere Eltern sagen, wenn sie ihr Neugeborenes sehen: "Ist der süß! Er kommt ganz nach dem Papa!" Oder: "Sie sieht aus wie Oma". Sie werfen die Kleinen ein bisschen in die Luft, bis sie vor Vergnügen quietschen. Hier ist es anders.

In einem Krankenzimmer steht ein junges Paar um eine Plastikbox. Ungelenk greift es in die Handschuhe des Inkubators, durch die es sein Kind streicheln darf.

Frühchen - ein Bild der Hilflosigkeit

Auf der Frühchenintensivstation des LdW herrscht wohl selten die überbordende Freude junger Familien, sondern eher eine Fassungslosigkeit besonderer Art: darüber, dass diese kleinen Wesen, rosa und transparent, sich entschlossen haben, trotz allem, zu leben.

Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit aufheulte, als bekannt wurde, dass drei von ihnen an Klebsiellen gestorben sind.

Frühchen sind ein Bild der Hilflosigkeit. Entsprechend war die Berichterstattung: "Schlamperei", "Versäumnisse", "Inkompetenz", schallte es Klinik und Personal aus der Presse entgegen. Der Druck auf das Personal war enorm.

Mitte 2014 sitzen Dr. Hans Thorsten Körner, er ist der Leitende Arzt der Neonatologie am LdW, und Martin Eikenberg, Direktor des Bremer Institutes für allgemeine Hygiene, Krankenhaushygiene und Umwelthygiene, zusammen.

Sie versuchen zu verhindern, dass es je wieder so kommt wie 2011/2012. Die Neonatologie am KBM ist längst geschlossen, Frühchen werden bei der GeNo heute im LdW und im Klinikum Bremen Nord intensivmedizinisch betreut.

Allein in der 12-Betten-Intensivstation für Frühchen am LdW versorgen Ärzte und Schwestern rund 100 Kinder im Jahr, die bei ihrer Geburt 150 Gramm oder weniger wogen.

Keimquelle wurde nicht gefunden

Man war im KBM den Klebsiellen nicht Herr geworden, hat das Personal untersucht, die Eltern, die Medikamente, die Besucher der Station, die Reporter, das Essen, das Wasser, die Seifenspender - alles.

Und nichts Greifbares hat man als Keimquelle gefunden. Schließlich wurde die komplette Station renoviert und neu ausgestattet. Der Keim kam wieder. "Und das ist nicht einmal etwas Besonderes", sagt Eikenberg.

Bei rund der Hälfte aller Klebsiellen-Ausbrüche in deutschen Neonatologien erfährt man nie, woher der Keim kam. Die Konsequenz für die Bremer Station: Sie wurde dicht gemacht.

Seither haben die Verantwortlichen im LdW das Personal aufgestockt von 30 auf 48 Pflegekräfte, um die Hygiene besser in den Griff zu bekommen. "Der Gemeinsame Bundesausschuss schreibt je nach Schwere der Erkrankung eine speziell ausgebildete Pflegekraft für vier Kinder bis hin zu einem Kind pro Pflegender vor", sagt Körner.

"Wir haben 5,5 speziell ausgebildete Schwestern pro Schicht. Sieben schreibt der GBA vor. Wir sind also nah dran. Näher als die meisten anderen." Das Problem: Es fehlen ausgebildete Fachkräfte. Bei der GeNo hat man darum begonnen, selber welche auszubilden.

Im März 2013 wurde das vorerst letzte Kapitel des "Keimskandals" geschrieben. Professor Hans Iko Huppertz, seit Jahren Chefarzt der Kinderklinik, wurde von der Bremer Staatsanwaltschaft dreifache fahrlässige Tötung vorgeworfen. Nun wurde er freigesprochen.

Ihm konnte kein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Ungefähr ein Jahr zuvor hatte Huppertz sich auch gegen die GeNo vor dem Arbeitsgericht durchsetzen können.

Der inzwischen gegangene Chef, Dr. Diethelm Hansen, hatte Huppertz die Verantwortung für die Infektionen gegeben und ihn entlassen. Dagegen hatte Huppertz geklagt und gewonnen.

Bisher keine persönliche Schuld nachgewiesen

Bis heute konnte niemandes persönliche Schuld am Tod der drei Kinder nachgewiesen werden. Auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss der Bremer Bürgerschaft förderte auf 400 Berichtsseiten keine Letztverantwortlichen zutage. Aber Hygiene, Dokumentation, Personalsituation auf Station und im Gesundheitsamt zeigten schwere Mängel, heißt es in dem Bericht.

Man guckt sich also ratlos an in Bremen, wenn es darum geht, Verantwortliche zu benennen. Körner und Eikenberg können bis heute nicht sagen, warum der Finger der Öffentlichkeit ausgerechnet auf Bremens Krankenhaus zeigt.

 "In Ravensburg, Leipzig oder Hamburg, sogar in der Berliner Charité, die sogar nationales Referenzzentrum ist, gab es Keimausbrüche", sagt Eikenberg.

Frühchen liegen eben lange im Krankenhaus. Eltern, Personal, Besuch bringen multiresistente Keime mit. "Klebsiellen sind eine typische Flora für Neonatologien", so Eikenberg. "Dabei waren wir in Bremen mit einem Krankenhaushygieniker im Team besser aufgestellt als viele andere", sagt Körner.

Heute sind es zwei Hygienefachärzte und allein drei Hygienefachkräfte im LdW. Wie dem auch sei. Jetzt ist die Chance zur Wende da.

Die Rosskur hat die Bremer indessen auch gelehrt. Alle an der Versorgung Beteiligten reden nun regelmäßig miteinander in wöchentlichen Jour-fixe-Terminen, sagen Eikenberg und Körner. "Im Zweifel würden wir heute viel schneller die große Task-Force einberufen."

Wenn heute zwei Kinder betroffen wären, kontaktieren die Verantwortlichen sofort den Hygiene-Facharzt "und suchen nach den Übertragungswegen." Gab es dasselbe Personal? Die gleichen Medikamenten-Chargen? Die gleiche Nahrung? Dasselbe Zimmer? "Die Fakten müssen auf den Tisch", sagt Körner.

Übersicht über Keime

"Bei uns tritt das Infektionsmanagement in Kraft, auch wenn kein Kind besiedelt ist." Was Körner damit meint, sieht man auch auf dem Bildschirm hinter den beiden Männern.

Dort flimmert die Software "Hybase". Sämtliche isolierten Keime in sämtlichen GeNo-Stationen sind hier mit Datum ihres Auftretens und dem Verlauf in ihrer Häufung grafisch dargestellt.

"Bei auffälligen Häufungen können wir eingreifen", sagt Kinderarzt Körner.

Auch wenn es niemals eine keimfreie Station geben wird, würde er einen Fehler nicht wieder machen, sagt Hygienefachmann Eikenberg: "Zu viel nach außen zu erklären und zu wenig nach innen das Problem zu begrenzen."

Lesen Sie dazu auch: Interview: "Nachrichten haben sich überschlagen"

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