Bei genetischem Risiko kommt es offenbar zur Diskriminierung

FRANKFURT AM MAIN (goet).Werden in Deutschland Menschen bereits aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften diskriminiert? Ja! Das sagen Betroffene der unheilbaren erblichen Huntingtonschen Krankheit. In einer Fallstudie berichten sie über ihre Erfahrungen mit Benachteiligungen im Alltag und ihre Angst, entdeckt zu werden.

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Genetisches Wissen kann zu neuen Formen von Ausgrenzung und Benachteiligung führen. Das geht aus der ersten Studie zu Formen genetischer Diskriminierung in Deutschland hervor. Dazu hat der Sozialwissenschaftler Dr. Thomas Lemke vom Institut für Sozialforschung der Universität Frankfurt am Main fast 50 Betroffene der Huntingtonschen Krankheit zu ihren Erfahrungen mit Diskriminierung befragt.

"Nahezu 80 Prozent der Befragten, sowohl bereits Erkrankte als auch sogenannte Risikopersonen, haben Diskriminierung erlebt oder fürchten zukünftig benachteiligt zu werden." Das hat Lemke im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" gesagt.

Eher selten würden direkte Benachteiligungen durch Arbeitgeber oder Institutionen wie Versicherungen, die einen Versicherungsschutz aufgrund des Krankheitsrisikos verweigern, genannt. Es überwögen indirekte Diskriminierungserfahrungen von Freunden und Bekannten, am Arbeitsplatz, bei der Partnersuche oder im Gespräch mit Ärzten.

Morbus Huntington wird autosomal dominant vererbt. Menschen, die das mutierte Gen haben, erkranken meist erst in der Lebensmitte, manche aber schon in jungen Jahren. Bisher gibt es keine Therapie gegen die tödlich verlaufende Krankheit. Etwa 8000 Menschen haben in Deutschland Morbus Huntington - dazu kommt ein Vielfaches an Risikopersonen.

Ein Schauplatz für indirekte Diskriminierung ist der Bereich Partnerschaft und Familienplanung. Befragte schilderten den Druck auf die Beziehung, nach dem bekannt wurde, daß sie Risikopersonen sind, so Lemke. Eine Frau erzählte von den Eltern ihres Freundes, die fragten, ob er es sich "gut überlegt" hätte, mit ihr zusammen zu sein. Andere Betroffene berichteten von Ärzten, die ihnen signalisierten, ihr Kinderwunsch sei unverantwortlich und moralisch bedenklich.

Deshalb versuchten Betroffene, die ein Risiko haben, durch eine Strategie der "vorsorglichen Geheimhaltung" erst gar nicht in die Rolle einer diskreditierten Person zu geraten, so Lemke. "Um sich ihren Berufswunsch zu erfüllen und etwa verbeamtet zu werden, machen Betroffene unter Umständen lückenhafte oder falsche Angaben."

Versicherungen würden familiäre Erkrankungsrisiken verschwiegen oder Fragen nach der Familienanamnese falsch beantwortet. Auch Arbeitskollegen, Freunde und Verwandte, manchmal sogar der Lebenspartner, werden im Unklaren über das Krankheitsrisiko gelassen.

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