Gentests können Risiko für Gallensteine aufdecken

Etwa jeder zehnte Europäer bekommt irgendwann in seinem Leben Gallenblasensteine. Bei etwa jedem vierten müssen die Steine aufgrund von Beschwerden entfernt werden. Pro Jahr wird deshalb etwa 150 000 Bundesbürgern laparoskopisch die Gallenblase entfernt, die Mortalität des Eingriffs wird auf bis zu 0,7 Prozent geschätzt. Wie die derzeit optimale Behandlung aussieht, und was die Patienten von neueren Entwicklungen auf diesem Gebiet erwarten können, hat Professor Frank Lammert im Gespräch mit Nicola Siegmund-Schultze erläutert. Lammert arbeitet in der Abteilung Innere Medizin I der Universitätsklinik in Bonn.

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Forschung und Praxis: Pro Jahr sterben an den Folgen einer laparoskopischen Cholezystektomie Schätzungen zufolge tausend Menschen in Deutschland. Woran liegt dies?

Prof. Frank Lammert: Viele Patienten, die operiert werden, haben außer Gallenblasensteinen noch andere Erkrankungen, zum Beispiel Karzinome. Diese Erkrankungen erhöhen das Risiko für Komplikationen bei einer Cholezystektomie. Würden wir nur Niedrig-Risiko-Patienten operieren, läge die Mortalität vermutlich um 0,1 Prozent.

FuP: Was sind die häufigsten Todesursachen im Zusammenhang mit dem Eingriff?

Lammert: Sepsis, Cholangitis und Herzinfarkte.

FuP: Warum ist man von konventionellen Methoden wie der Behandlung mit Ursodeoxycholsäure (UDC) oder der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) abgekommen?

Lammert: Größere Steine lassen sich damit in der Gallenblase - im Gegensatz zu Gallengangssteinen, wo die ESWL die Methode der Wahl ist - nicht auflösen, und das Rezidivrisiko ist hoch. Es liegt bei etwa fünfzig Prozent nach fünf Jahren. Wir können derzeit noch nicht Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko von solchen mit höherem unterscheiden. Es gibt aber Hinweise darauf, daß eine gute Kontraktionsfähigkeit der Gallenblase mit niedrigem Rezidivrisiko assoziiert ist.

FuP: Das könnten also Kandidaten für ein konservatives Vorgehen sein?

Lammert: Ja, aber diese Frage muß in größeren Studien geklärt werden.

FuP: Welches Vorgehen wird aktuell empfohlen?

Lammert: Gallensteine, die Beschwerden verursachen, sollten durch eine Cholezystektomie entfernt werden. Bei Steinen mit einem Durchmesser bis 10 mm kann man in Einzelfällen auf Wunsch des Patienten einen Behandlungsversuch mit UDC machen, bei größeren Steinen bis 20 mm Steindurchmesser empfiehlt sich die ESWL kombiniert mit UDC.

FuP: Wie lang sollte die pharmakologische Behandlung dauern?

Lammert: Ursodeoxycholsäure sollte nach Auflösung der Steine noch drei Monate weiter eingenommen werden.

FuP: Sie haben herausgefunden, daß bei 74 Prozent der Patienten, die Symptome bekommen, offenbar genetische Faktoren von Bedeutung sind. Welche sind das?

Lammert: Zunächst einmal wirken viele Faktoren zusammen, also genetische mit zahlreichen Umweltfaktoren wie Ernährung. Drei Viertel der Patienten mit Beschwerden durch Gallensteine haben aber offenbar eine familiäre Belastung, zum Beispiel durch Mutationen in Genen für Transportproteine in der Leber. Die Aktivität der Transportproteine beeinflußt die Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit, die im wesentlichen aus Wasser, Gallensäuren und Phospholipiden besteht. Gelangen zuwenig Gallensäuren oder Phospholipide in die Galle - beide müssen aktiv aus dem Inneren der Leberzellen in die Galle transportiert werden -, bilden sich leichter Gallensteine.

FuP: Können Gentests sinnvoll sein?

Lammert: Ja, durchaus. Zum Beispiel bei Patienten, bei denen außer Steinen Gallensekretionsstörungen festgestellt worden sind und die Familienmitglieder mit solchen Störungen haben.

FuP: Wem könnten die Tests nutzen?

Lammert: Asymptomatischen Familienangehörigen mit hohem Risiko für Gallensteine. Sie könnten zum Beispiel eine Prophylaxe mit Ursodeoxycholsäure erhalten, um die Bildung der Gallensteine zu unterdrücken und damit Beschwerden und Komplikationen zu vermeiden.

FuP: Wer macht solche Tests?

Lammert: Diese Gentests sind keine Routineuntersuchungen. Kollegen können sich an uns wenden. Auch an der Uni-Klinik Düsseldorf werden solche Genuntersuchungen vorgenommen.

Nähere Infos: frank.lammert@ukb. uni-bonn.de, Tel.: 0228 / 732870

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