HINTERGRUND

Kontroverse um Embryonen, die Erbmaterial von zwei Frauen und einem Mann haben

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:

In Großbritannien hat eine Diskussion über Versuche eingesetzt, in denen menschliche Embryonen mit der DNA von drei verschiedenen Menschen erzeugt wurden. Ziel der - in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verbotenen - Forschung ist, Frauen mit einer mitochondrialen Erkrankung zu gesunden eigenen Kindern zu verhelfen.

Wie gemeldet haben Forscher aus Newcastle um die Professoren Dr. Patrick Chinnery und Dr. Doug Turnbull von der Universität von Newcastle die Versuche erstmals mit menschlichen Keimzellen gemacht. Genehmigt wurden die Experimente bereits 2005 von der Aufsichtsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority). Verboten bleibt in Großbritannien dagegen derzeit noch die Übertragung so erzeugter Embryonen in die Gebärmutter.

Insgesamt zehn Embryonen wurden hergestellt

Bei den Versuchen wird das Kern-Erbgut eines Spermiums und das einer Eizelle von einer Frau mit mitochondrialer Erkrankung kurz nach der Befruchtung - also noch als sogenannte Vorkerne - in die zuvor entkernte Eizelle einer gesunden Frau übertragen. Die Vorkerne enthalten nur das Erbgut aus Kern des Spermiums oder der Eizelle. Insgesamt zehn Embryonen haben die britischen Forscher mit dieser Methode hergestellt.

Nach fünf Tagen Entwicklung wurden die Embryonen zerstört. Detaillierte Analysen wurden bei einem der zehn Embryonen vorgenommen. Nach Angaben der Forscher hatten sich die Embryonen bis zum fünften Tag normal entwickelt. In Großbritannien ist die Forschung an menschlichen Embryonen bis zum 14. Tag nach der Befruchtung erlaubt.

Gegner der britischen Forschung wie die Pro-Life-Organisation Comment on Reproductive Ethics betonen, dass die Forscher mit menschlichem Leben experimentieren. Befürchtet wird von Gegnern auch, dass während der Übertragung der Vorkerne gezielt das Erbgut verändert werden könnte. Turnbulls und Chinnerys Forschung wird dagegen etwa von der britischen Organisation Muscular Dystrophy Campaign unterstützt. "Wir sind zuversichtlich, dass Eltern eines Tages die Möglichkeit gegeben werden kann, ein gesundes Kind zu bekommen", so Dr. Marita Pohlschmidt, Leiterin der Organisation, zum "Telegraph". Chinnery und Turnbull hoffen, dass schon in drei Jahren diese veränderte Form der In-vitro-Fertilisation klinisch genutzt werden kann.

Der Öffentlichkeit bekannt geworden sind die noch nicht in einer wissenschaftlichen Publikation veröffentlichten Versuche vor kurzem bei einer Anhörung im britischen Parlament. Die Forscher aus Newcastle hatten kurz zuvor die Ergebnisse bei einer Tagung des Medical Research Councils in London diskutiert.

Patienten haben Mutationen im Mitochondrien-Erbgut

Bei mitochondrialen Erkrankungen, etwa dem MELAS*-Syndrom, haben die Patienten Mutationen in der Mitochondrien-DNA oder es fehlen in diesem Erbgut sogar kurze DNA-Sequenzen. Die ringförmige DNA der Mitochondrien, den Energielieferanten der Zelle, ist nur etwa 16 000 Bausteine lang. Zum Vergleich: Die DNA der Chromosomen im Kern menschlicher Zellen enthält drei Milliarden Bausteine und etwa 25 000 Gene. Die Mitochondrien-DNA stellt den Bauplan für nur 13 Eiweißmoleküle der Atmungskette. In jeder Körperzelle stecken einige Hundert bis zu wenigen Tausend Mitochondrien. Ein Teil der Gene für die Atmungskette ist in die DNA des Zellkerns eingebaut.

*MELAS: Mitochondriale Enzephalomyopathie, Laktatazidose und schlaganfallähnliche Episoden

Weitere Infos zu mitochondrialen Erkrankungen unter www.dgn.de

STICHWORT

Mitochondriale Erkrankungen

Die Prävalenz mitochondrialer Erkrankungen liegt in Deutschland bei etwa 12 pro 100 000 Menschen. Bisher gibt es keine kausale Therapie. Das Spektrum der klinischen Symptome reicht von leichten Verläufen mit gewebsspezifischer Beteiligung bei Erwachsenen bis zu schweren Multiorganschäden bei Kindern. Erwachsene haben meist Zeichen einer Myopathie, oft assoziiert mit einer ZNS-Beteiligung. Gewebe, das besonders von der Energieproduktion in den Mitochondrien abhängt und einen hohen Energiebedarf hat, sind häufig am stärksten betroffen. Dazu gehören Augen, Innenohr, ZNS und peripheres Nervensystem, Herz- und Skelettmuskulatur, Pankreas, Nieren und Leber. (ple)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Neue Debatte nach altem Muster

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