Mitochondrienspende

US-Mediziner preschen vor – trotz Unwägbarkeiten

Es hat lange gedauert, bis die erste wissenschaftliche Publikation zur ersten Geburt eines Menschen nach neuartiger Mitochondrienersatztherapie erschienen ist. Obwohl es Hinweise auf negative Einflüsse etwa auf die Zellentwicklung gibt, sollen die nächsten Behandlungen schon bald folgen, auch in Großbritannien. Keine gute Entwicklung.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
In-vitro-Fertilisation im Modell.

In-vitro-Fertilisation im Modell.

© medistock / fotolia.com

Jetzt ist er ein Jahr alt, der Junge, bei dessen Zeugung in der Petrischale zuvor erstmals ein Mitochondrienersatz mithilfe eines Verfahrens gewagt wurde, das dem Klonen ähnelt. Dr. John Zhang und seinen Kollegen vom New Hope Fertility Center in New York zufolge geht es dem Kind gut. Dessen asymptomatische Mutter trägt die genetischen Anlagen für das Leigh-Syndrom und hat bereits zwei an dieser Mitochondriopathie erkrankte Kinder. Informationen über das medizinische Experiment waren zunächst über Medien verbreitet und erste Details dann während einer Tagung von US-Reproduktionsmedizinern in Salt Lake City den Kollegen und der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Erst vor Kurzem haben die Ärzte schließlich mit der geforderten Fachpublikation nachgezogen (Reprod Biomed Online 2017; 34: 361–368).

Damit sind die US-Mediziner, die Teile des Therapieverfahrens bei der 36-jährigen Frau wegen der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht in den USA, sondern am New Hope Fertility Center in Guadalajara in Mexiko vorgenommen hatten, britischen Ärzten zuvorgekommen. Denn in Großbritannien ist die Mitochondrienersatztherapie erst jetzt gesetzlich erlaubt und daher noch nicht angewandt worden. Nach Angaben der Behörde HFEA (Human Fertilisation & Embryology AUTHORity) wurde der Klinik Newcastle Fertility Centre at Life vor Kurzem die Genehmigung erteilt, Patientinnen mit mitochondrialen Erkrankungen mithilfe der Mitochondrienersatztherapie zu behandeln. Im nächsten Schritt muss darüber hinaus jeweils noch ein entsprechender Einzelantrag der Patientinnen, die jünger als 35 sein müssen, genehmigt werden.

Gegen mexikanisches Recht verstoßen

Dass die US-Ärzte dafür sorgten, dass die Behandlung in Mexiko statt in den USA erfolgte, wurde mit den besseren rechtlichen Rahmenbedingungen in Mexiko begründet. Allerdings ist das offenbar doch nicht so eindeutig, wie Zhang und seine Kollegen behaupten. Denn einer aktuellen Analyse britischer und mexikanischer Juristen zufolge haben die US-Reproduktionsmediziner sehr wohl gegen mexikanisches Recht im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung – festgeschrieben in den "Regulations of the General Health Law on Health Research", etwa im Artikel 56 des Gesetzes – verstoßen (J Law Biosciences 2017; 1–20). Die erste Geburt eines Kindes nach Mitochondrienspende in Mexiko habe nun einerseits die Diskussion über die Therapieform entfacht, andererseits aber auch jenen den Weg geebnet, die deren Verbot befürworten.

Bei der Mitochondrienersatztherapie erfolgt – vereinfacht gesagt – ein Austausch der Mitochondrien mit DNA-Mutationen einer Patienten-Eizelle, indem der Zellkern der Oozyte in einem bestimmten Entwicklungsstadium entnommen und in eine zuvor entkernte Eizelle einer gesunden Spenderin übertragen wird. Nach diesem als Spindeltransfer bezeichneten Verfahren wird die so präparierte Eizelle mit einem Spermium des Partners per intrazytoplasmatischer Spermieninjektion künstlich befruchtet und wenige Tage später im Blastozystenstadium – nach einer genetischen Untersuchung – in die Gebärmutter verpflanzt, wenn der Test auf genetische Veränderungen negativ ist.

Mit der von Zhang und seinen Kollegen angewandten Technik gelingt es allerdings nicht, die Übertragung von Mitochondrien mit mutierter DNA in die Spender-Eizelle zu vermeiden. Etwa zwei Prozent der mutierten und krankheitsverursachenden Mitochondrien werden in die entkernte Eizelle mitgeschleppt. Nach Angaben der Ärzte beträgt der Anteil der mutierten DNA bei dem vor einem Jahr geborenen Jungen weniger als zehn Prozent. Je nach untersuchtem Zelltyp liege der Anteil der mutierten Mitochondrien bei der asymptomatischen Mutter jedoch zwischen 23 und 34 Prozent. Die Ärzte rechnen deshalb nicht damit, dass der Junge symptomatisch wird. Sie vermuten, dass sogar bis zu einem Anteil unter 60 Prozent keine Symptome zu erwarten seien.

Haben mutierte Mitochondrien Replikationsvorteil?

So sicher ist das alles allerdings nicht, denn es gibt Hinweise aus In-vitro-Versuchen, dass die Spender-Mitochondrien mit jeder Zellteilung selbst durch die anfangs wenigen mutierten Organellen verdrängt werden, weil diese unter bestimmten Bedingungen einen Replikationsvorteil haben (Nature 2016; 540, 270–275). Die Autoren halten dies auch während der Embryonalentwicklung im Uterus für möglich. Und dann wäre doch wieder mit einer mitochondrialen Erkrankung zu rechnen. Ob sich eine solche Entwicklung bei dem Jungen anbahnt, bleibt abzuwarten. Zhang und seine Kollegen wollen das Kind bis zum 18. Lebensjahr regelmäßig untersuchen – alle drei Monate im ersten, alle sechs Monate im zweiten Lebensjahr und danach jährlich. Danach hoffen sie, die Fertilität des Jungen überprüfen zu können. Solange es keinen klinischen Nutzen habe, lehnten die Eltern jedoch eine weitere Untersuchung auf mitochondriale Mutationen ab, so die Ärzte.

Der bisherige Ausgang der ersten Mitochondrienersatztherapie mag als Erfolg der Reproduktionsmediziner gewertet werden, weil der Junge (noch) gesund zu sein scheint. Dennoch bleibt es aufgrund der noch nicht beantworteten Fragen ein medizinisches Experiment. Und das auf Kosten des nicht einwilligungsfähigen Kindes. Unverständlicherweise planen die beteiligten Reproduktionsmediziner nach Angaben des US-TV-Senders Fox News 20 weitere Therapien dieser Art noch innerhalb des ersten Halbjahres 2017. Es bleibt ein Unbehagen, auch wenn die Mitochondrienersatztherapie nun in Großbritannien legal ist. Letztlich sind weder biologische noch ethische Fragen ausreichend beantwortet.

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