HINTERGRUND

Ballon im Magen verdirbt schwer Übergewichtigen den Appetit

Von Helmut Schneider Veröffentlicht:

Die Implantation eines Magenballons kombiniert mit Diät- oder Verhaltensberatung ist nach Angaben von Professor Rudolf A. Weiner aus Frankfurt am Main ein langfristig erfolgreiches Konzept zur Gewichtsabnahme.

Alarmierend nannte der Chirurg vom Krankenhaus Sachsenhausen aktuelle Daten zu Entwicklungen und Folgen von Adipositas in Deutschland. Demnach ist jeder zweite Bundesbürger übergewichtig, 36 Prozent von ihnen haben einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30 kg/m2, und fast 13 Prozent haben einen BMI über 30 kg/m2 und sind damit behandlungsbedürftig, sagte Weiner auf einer Veranstaltung der Obesity Academy in Frankfurt am Main.

10 kg weniger reduzieren Nüchtern-Glukosewert deutlich

Die positiven Effekte des Abspeckens verdeutlichte Weiner anhand dieser Zahlen: Bei nur 10 kg Gewichtsverlust nehmen die Diabetes-Mortalität um mehr als 30 und die mit Adipositas assoziierten Karzinom-Todesfälle sogar um über 40 Prozent ab. Nehmen Diabetiker 10 kg ab, reduziert sich der Nüchtern-Glukosewert nach seinen Angaben um die Hälfte, dieselbe Gewichtsabnahme senkt bei Hypertonikern den systolischen Druck um 10, den diastolischen um 20 mmHg.

Als enttäuschend bezeichnete der Chirurg die Möglichkeiten für Adipöse, allein durch Diäten abzunehmen. Diese Versuche scheiterten nicht nur innerhalb von fünf Jahren bei bis zu 95 Prozent dieser Menschen, sondern sie bescherten den Patienten nicht selten sogar ein erhöhtes Körpergewicht. Deshalb plädiert Weiner für moderne Gewichtsreduktionsstrategien, die auch langfristig erfolgreich sind.

Therapie wird von den Kassen noch nicht bezahlt

Bewährt habe sich zum Beispiel das BioEnterics Intragastric Balloon (BIB)-Programm. Dieses Konzept, das die sechsmonatige Magenballon-Therapie mit einer Ernährungs- und Verhaltensberatung kombiniert, ist nach seinen Angaben mittlerweile bei weltweit über 25 000 Übergewichtigen mit Erfolg angewendet worden. Die auf ein bis zwei Jahre angelegte Behandlung, die insgesamt 2900 bis 3900 Euro kostet, wird von den Krankenkassen noch nicht übernommen. Es laufen derzeit aber Verhandlungen zur Leistungsübernahme bei Adipositas Grad II, für Patienten also mit einem BMI ab 35.

Ballon wird für sechs Monate im Magen plaziert

Wie die Methode funktioniert, hat Dr. Michael Meinking aus Dresden erläutert: Der Ballon aus Silikon-Elastomer, gefüllt mit 500 bis 700 ml Kochsalzlösung, wird ambulant endoskopisch für sechs Monate im Magen plaziert. Zur Kontrolle, ob der Ballon dicht bleibt, wird zusätzlich eine Ampulle Methylenblau dazugegeben. Ob der Ballon defekt ist, erkennt der Patient am dann blau gefärbten Urin.

Während dieser halbjährigen Therapie und auch noch ein bis zwei Jahre nach Abschluß der Behandlung finden regelmäßige Ernährungskurse, Bioimpedanz-Analyse, Bewegungstreffs mit Walking und Joga sowie Erfahrungsaustausch mit anderen Patienten statt.

Der Magenballon verursacht nach Aussage von Meinking ein natürliches Sättigungsgefühl und vereinfacht so die Reduzierung der Nahrungsaufnahme und die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Zu hastiges Essen aber, ungenügendes Kauen - 15 bis 20 Mal für jeden Bissen, rät der Chirurg - und fettreiche Kost werden allerdings mit Übelkeit bestraft.

Als wichtige Voraussetzungen für die Magenballon-Therapie nannte Meinking eine hohe Motivation der Patienten für die eigene Verhaltensänderung, ein BMI zwischen 30 und 45 kg/m2 sowie mindestens 15 kg Fettüberschuß. Magengeschwüre, Antikoagulation oder NSAR-Einnahme gelten als Ausschlußkriterien.

Geeignete Kandidaten profitierten dauerhaft von diesem Therapieverfahren, so Meinking. Wie eine Studie an seiner Klinik bei 21 Patienten ergeben hat, nahm das Gewicht im Behandlungszeitraum um im Mittel 14,5 und das Fett um 14 kg ab, der BMI sank um 5,4 kg/m2. Das bestätigt eine von Dr. Alfredo Genco aus Rom vorgestellte BIB-Studie mit 408 adipösen Patienten, die während der Magenballon-Therapie eine ausgewogene 1000 Kilokalorien-Diät erhielten. Nach Angaben des Chirurgen sank der BMI bei Patienten mit Anfangswerten zwischen 32,8 und 54 kg/m2 im Mittel um 3,3 bis 7,4 kg/m2. Die Gewichtsabnahme lag nach Entfernung des Ballons sechs Monate dabei zwischen 10,7 und 13,2 Prozent.

Weitere Informationen zur Magenballon-Therapie in der Medical Well Clinic Dresden

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