Neues Referenzsystem

Metabolisches Syndrom – Hilfe für die Diagnose bei Kindern

Ein neues Referenzsystem zur frühzeitigen Diagnose des Metabolischen Syndroms bei Kindern hat das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS entwickelt. Der Clou: Es ist alters- und geschlechtsspezifisch.

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Die Messung des Hüftumfangs ist ein wesentliches Instrument bei der Diagnostik eines Metabolischen Syndroms.

Die Messung des Hüftumfangs ist ein wesentliches Instrument bei der Diagnostik eines Metabolischen Syndroms.

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BREMEN. Übergewicht, Bluthochdruck, Insulinresistenz und ein gestörter Fettstoffwechsel sind die vier Kennzeichen des Metabolischen Syndroms, von dem immer häufiger bereits Kinder betroffen sind. Um möglichst früh geeignete therapeutische Maßnahmen einleiten zu können, ist es wichtig, betroffene Kinder rechtzeitig zu identifizieren und eine verlässliche Diagnose zu stellen. Lange fehlten dazu jedoch passende Referenzwerte, an denen sich Kinder- und Jugendärzte orientieren konnten, teilt das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS mit. Mit einem neuen Referenzsystem schließt das BIPS genau diese Lücke. Zudem wurde ein Online-Tool entwickelt, das Kinder- und Jugendärzten bei der Diagnose des Metabolischen Syndroms unterstützt.

Vier Hauptsymptome

Die International Diabetes Federation (IDF) definiert das Metabolische Syndrom über vier Hauptsymptome:

  • Übergewicht (Adipositas) mit abdomineller Fettverteilung,
  • Dyslipidämie,
  • Insulinresistenz,
  • Bluthochdruck.

Bei dieser Definition wird klar, dass leichtes Übergewicht allein noch nicht zwangsläufig die Alarmglocken der Eltern schrillen lassen muss, heißt es in der Mitteilung. Überschreiten jedoch drei oder gar vier Komponenten bestimmte Grenzwerte, liegt ein Metabolisches Syndrom mit dringendem Handlungsbedarf vor.

Und bei genau diesen Grenzwerten gab es bislang noch große Unsicherheiten. Neben der Definition der IDF gibt es noch andere, die sich voneinander unterscheiden und somit zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Diagnose des Metabolischen Syndroms führen, so das BIPS. Darüber hinaus leitet sich etwa die gängige Definition der IDF von Daten ab, die für Erwachsene erhoben wurden. Diese lassen sich jedoch nicht ohne weiteres auf Kinder "herunterrechnen", da sich in der Kindesentwicklung etwa Köpergröße und -proportionen – und damit auch die Fettverteilung – stark verändern.

Zudem haben auch die Pubertät und damit verbundene Veränderungen im Hormonhaushalt starken Einfluss – etwa auf die Insulinsensitivität. Und nicht zuletzt: Aufgrund der limitierten Übertragbarkeit auf sehr junge Menschen empfiehlt etwa die International Diabetes Federation, dass das Metabolische Syndrom nicht bei Kindern unter 10 Jahren diagnostiziert werden sollte. Kinder unter 6 Jahren wurden wegen der unzureichenden Datenlage sogar komplett aus der Definition herausgenommen.

Daten aus IDEFICS-Studie als Basis

Um angesichts dieser zahlreichen Unsicherheiten und Einschränkungen Abhilfe zu schaffen, entwickelten Forscher des BIPS ein völlig neues, flexibles Referenzsystem, das auf Daten der IDEFICS-Studie basiert. Im Fokus der IDEFICS-Studie (Identification and prevention of dietary- and lifestyle-induced health effects in children and infants) standen kindliches Übergewicht und Adipositas und deren langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit. An der Studie beteiligt waren 23 renommierte Forschungsinstitute und klein- und mittelständische Unternehmen aus 11 verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten. Koordiniert wurde die Studie vom BIPS.

Das neue Referenzsystem fußt auf den Daten von mehr als 12.000 Kindern aus acht europäischen Ländern im Alter von drei bis zehn Jahren und ist alters- und geschlechtsspezifisch. In internationalen Fachkreisen hat das Referenzsystem des BIPS bereits Anklang gefunden, heißt es in der Mitteilung des Instituts. So empfehlen Experten in einem jüngst erschienenen Kommentar in "Lancet Child Adolesc Health" (2017; 1(2): 79) eine weltweite Nutzung des Systems zur Diagnose des Metabolischen Syndroms bei Kindern.

Um Kinder- und Jugendärzten genau diesen diagnostischen Zugang schnell und unkompliziert zu ermöglichen, hat das BIPS im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts ein webbasiertes Online-Tool entwickelt. Um das Online-Tool für die Diagnose nutzen zu können, erhebt der behandelnde Arzt vier Parameter.

Das sind die relevanten Parameter:

  1. Hüftumfang (als Gradmesser für die abdominelle Fettverteilung),
  2. Triglyzerid- bzw. HDL-Cholesterinwerte,
  3. Nüchternglucosewert und
  4. systolischen/diastolischen Blutdruck.

Anschließend trägt der Arzt die Werte der Messungen zusammen mit dem Alter, dem Geschlecht und der Größe des Kindes in die Eingabemaske ein. Bereits während der Eingabe der Daten zeigen verschiedene Grafiken, inwieweit sich die Messwerte des Kindes von denen seiner Altersgenossen unterscheiden. Liegen diese Messwerte bei mindestens drei der vier Hauptsymptome in einem auffälligen Bereich (oberhalb des sogenannten 90%-Perzentils), empfiehlt das Online-Tool, die Entwicklung des Kindes aufmerksam weiterzuverfolgen (Monitoring Level). Bei noch deutlicherer Abweichung von der Norm (oberhalb des 95%-Perzentils) wird eine pädiatrische Intervention empfohlen – der Arzt sollte also zügig therapeutisch eingreifen (Action-Level). Darüber hinaus errechnet das Online-Tool einen Score, der sämtliche Komponenten des Metabolischen Syndroms in einem für Alter und Geschlecht standardisierten, aggregierten Wert abbildet. Der behandelnde Arzt verfügt somit über ein stetiges Maß, mit dem sich insbesondere Änderungen im zeitlichen Verlauf der Entwicklung eines Kindes beobachten lassen. Zu guter Letzt lassen sich nach Eingabe der nötigen Parameter sämtliche Messwerte, dazu gehörende Referenzkurven und die zusammenfassende Bewertung der Ergebnisse in einem kompakten PDF-File mit Klick auf den Download-Button herunterladen.(eb)

Das Online-Tool kann frei genutzt werden: https://www.bips-institut.de/forschung/software/mets-score.html

Referenzsystem für Diagnostik beim Kind

» Das neue Referenzsystem fußt auf den Daten von mehr als 12.000 Kindern aus acht europäischen Ländern im Alter von 3 bis 10 Jahren und ist alters- und geschlechtsspezifisch.

» Um den Zugang zum System schnell und unkompliziert zu ermöglichen, wurde ein webbasiertes Online-Tool entwickelt.

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