Paul Ehrlich-Nachwuchspreis

Erforschung weißer und brauner Fettzellen

Professor Tim J. Schulz erforscht die Entstehung von Adipositas und hat besonders die weißen und braunen Fettzellen im Blick.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Professor Tim J. Schulz forscht zum Thema Adipositas.

Professor Tim J. Schulz forscht zum Thema Adipositas.

© Antje Lenz von Kolkow, Facela

Ärzte Zeitung: Herr Professor Schulz, anfangs haben Sie sich mit Mitochondrien beschäftigt. Jetzt steht braunes und weißes Fettgewebe im Fokus, wofür Sie mit dem Paul-Ehrlich-Nachwuchspreis geehrt worden sind. Welche Verbindung besteht zu Ihrer aktuellen Forschung?

Professor Tim Schulz: Das Besondere am braunen Fett ist, dass es extrem viele Mitochondrien enthält. Diese Fettzellen gehören wohl zu jenen mit den meisten dieser Organellen. Mitochondrien stehen im Zentrum der Funktion der braunen Fettzellen.

Weißes Fett ist "schlecht", braunes Fett ist "gut" – ist diese Bewertung gerechtfertigt?

Prof. Tim J. Schulz

- Aktuelle Position: Leiter der Abteilung Fettzell-Entwicklung und Ernährung (ADE) am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) (seit 2016)

- Ausbildung: 2004–2007 Promotion bei Professor Michael Ristow an der Universität Jena 2007–2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Joslin Diabetes Center an der Harvard Medical School in Boston 2012–2016 Leiter einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am DIfESeit 2016 W2-Professur an der Universität Potsdam

- Forschung: Erforschung der grundlegenden molekularen Mechanismen der Adipositas-Entstehung und der damit assoziierten metabolischen Erkrankungen

- Auszeichnungen (Auswahl): 2007 Promotionspreis der Biologisch-Pharmazeutischen Fakultät der Universität Potsdam 2010 Keystone Symposia Scholarship, Conference on Adipose Tissue Biology 2018 Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis

Schulz: So vereinfacht gesagt natürlich nicht. Durch die moderne Ernährung ist die Energiespeicherkapazität der weißen Zellen überlastet, was das weiße Fett zum "schlechten" Mitspieler in dem System macht. Braune Fettzellen enthalten zwar auch Fett, aber ihre Funktion ist – soweit wir das heute verstehen – die Wärmeproduktion.

Die Energiespeicher im braunen Fettgewebe sind sehr schnell aufgebraucht, wodurch in der Folge weiße Fettzellen angezapft werden. Das könnte vielleicht eines Tages therapeutisch bei Übergewicht genutzt werden.

Säuglinge haben noch viel braunes Fett für die Wärmeproduktion, Erwachsene nur noch rudimentär, vor allem am Hals und entlang großer Gefäße. Beruht der Verlust auf dem Altern oder wird es gezielt abgebaut?

Schulz: Grundsätzlich wird braunes Fett nur dann gebildet, wenn es gebraucht wird, etwa wenn es kalt ist. Neugeborene müssen sich durch mehr aktive braune Fettzellen warm halten. Beim Heranwachsenden ist das immer weniger notwendig. So verlieren wir in den ersten Lebensjahren relativ viel braunes Fett. Aufgrund der Fehlfunktion von Stammzellen geht mit der Zeit die Fähigkeit verloren, die erforderliche Menge an braunem Fett zu erzeugen. Viele Funktionen dieser Zellen sind jedoch noch nicht verstanden.

Gibt es eine gemeinsame Vorläuferstammzelle für braune und weiße Fettzellen, deren Schicksal man gezielt steuern könnte?

Schulz: Das erforschen auch wir derzeit in meinem Labor in Potsdam. Wir wollen wissen, wie wir Stammzellen dazu bringen können, braune Fettzellen zu bilden, und versuchen, die beteiligte Signalmolekülkaskade sowie Mechanismen zu verstehen, die diese Kaskade beeinflussbar machen.

Es gibt im Übrigen das Konzept der mesenchymalen Stammzelle, kurz MSC, das jedoch noch sehr heftig diskutiert wird. Diese MSC gibt es nicht nur im Fettgewebe, sondern in allen Organen, auch im Knochen. Es wird diskutiert, ob der Begriff MSC wirklich adäquat ist.

In meinem Labor wollen wir diese heterogene Population auseinanderpflücken und nach Untergruppen schauen. Wir wollen genauer definieren, welche Zellen auf Stimuli ansprechen, die die Entwicklung brauner Fettzellen einleiten. Und wir überprüfen, welche Untergruppe besonders sensitiv ist, um ausschließlich regulatorische Funktionen in diesem Zusammenhang zu übernehmen, ohne sich selbst zu differenzieren.

Entstehen Fettzellen tatsächlich auch im Knochen?

Schulz: Ich bin überzeugt, dass diese Zellen im Knochen entstehen, auch wenn es dazu Kontroversen gibt. Im Knochen fällt die Entscheidung, ob Knochen- oder Fettgewebe gebildet wird, und zwar ausschließlich aus weißen Fettzellen, denn braune Zellen kommen hier nicht vor.

Sie haben entdeckt, dass die Stammzellen im Knochenmark durch Alterung und fettreiche Ernährung nicht mehr in der Lage sind, Knochensubstanz aufzubauen, weil weiße Fettzellen das verhindern. Wie könnte diese Entwicklung aufgehalten bzw. rückgängig gemacht werden?

Schulz: Bei Versuchen mit Gliptinen haben wir entdeckt, dass sich damit die Knochenheilung verbessern lässt. Solche Diabetesmedikamente hemmen das Enzym Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) und verhindern den Abbau von Inkretinhormonen wie GLP-1. DPP-4 hat außer Inkretinen eine Reihe weiterer Substrate.

Noch weiß man aber nicht, welche das im Knochen sind. Vielleicht sind es dort ebenfalls Inkretine, es könnten aber auch etwa Zytokine wie der Wachstumsfaktor CXCL12 sein. Mehr als dass Gliptine einen positiven Effekt auf die Knochenheilung haben, können wir jedoch derzeit noch nicht sagen. Noch befinden wir uns im Tierversuchsstadium.

Langfristig suchen wir eine neue Anwendung für Gliptine, durch die die Knochenheilung etwa bei Diabetikern oder Menschen mit Adipositas verbessert wird.

Lesen Sie dazu auch: Vom "Tinnef" zur erfolgreichen Arznei

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen