Studie

Erhöhte Sterblichkeit durch Low-carb-Diät?

Kohlenhydratarme Diäten erhöhen die Sterblichkeit, wenn stattdessen viel Fleisch gegessen wird, so eine Studie. Andere Nahrungsmittel als Ersatz könnten dagegen funktionieren.

Von Veronika Schlimpert und Alexander JoppichAlexander Joppich Veröffentlicht:
Eine ausgewogene Ernährung mit Getreide und Früchten ist am ehesten gesundheitsförderlich – dazu darf auch Fisch und der richtige Anteil an tierischem Fett kommen.

Eine ausgewogene Ernährung mit Getreide und Früchten ist am ehesten gesundheitsförderlich – dazu darf auch Fisch und der richtige Anteil an tierischem Fett kommen.

© udra11 / stock.adobe.com

BOSTON. Es hilft vielleicht kurzfristig zur Gewichtsabnahme, den Kohlenhydrat-Anteil in der Ernährung zu reduzieren. Langfristig scheint eine solche Diät aber keinen Überlebensvorteil zu bringen, berichten US-Forscher um Dr. Sara Seidelmann vom Brigham and Women's Hospital in Boston (Lancet Public Health 2018; online 16. August).

Sie haben Daten aus der epidemiologischen ARIC-Studie (Atherosclerosis Risk in Communities) zur Ernährung von 15.428 Menschen zwischen 45 und 64 Jahren aus vier US-Bundesstaaten ausgewertet. Die Zusammensetzung der täglichen Kost war dabei zu ARIC-Studienbeginn und noch einmal sechs Jahre später abgefragt worden. In den folgenden 23 Jahren wurden dann die Sterberaten und Todesursachen registriert.

Metaanalyse stützt Ergebnisse

Ergebnis: Auch in dieser Studie ging eine hohe Kohlenhydrataufnahme mit einem erhöhten Sterberisiko einher. Eine niedrige Zufuhr wirkte sich aber ebenfalls nachteilig auf die Überlebenschancen aus (siehe nachfolgende Grafik).

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Die Studienautoren geben hier ein Beispiel: Nach den Daten würde ein 50-jähriger Mann, der weniger als 30 Prozent seiner täglichen Energiezufuhr über Kohlenhydrate aufnimmt, eine um vier Jahre kürzere Rest-Lebenserwartung haben, und zwar im Vergleich zu einer Kost mit einem Kohlenhydratanteil von 50 bis 55 Prozent (29,1 vs. 33,1 Jahre).

Bei einem Kohlenhydrat-Anteil von über 65 Prozent verliere er dieser Berechnung zufolge im Vergleich wieder 1,1 Lebensjahre.

Um ihre Ergebnisse zu bekräftigen, haben die Wissenschaftler ihre Daten mit denen von sieben weiteren prospektiven Studien in einer Metaanalyse gepoolt und ausgewertet; Daten von 432.179 Probanden gingen in die Analyse ein.

Hier war ein Kohlenhydratanteil von über 70 Prozent in der täglichen Ernährung mit einem um relative 23 Prozent höheren Sterberisiko assoziiert (im Vergleich zu einem Anteil von 50 bis 55 Prozent). Bei einer geringen Kohlenhydratzufuhr (unter 40 Prozent) war das Sterberisiko der Teilnehmer um relative 20 Prozent erhöht.

Zusammensetzung der Kost wichtig

Das Sterberisiko war bei "Low-carb"-Ernährung im Vergleich aber nur dann erhöht, wenn die Kohlenhydrate durch tierische Fette und Proteine ersetzt wurden, vor allem mit viel Fleisch (HR: 1,18).

Bevorzugten die Probanden stattdessen Lebensmittel mit hohem Anteil an pflanzlichen Fetten und Proteinen wie Nüsse, Schokolade oder Vollkornbrot, war ihr Sterberisiko geringer (HR: 0,82).

"Diese Daten liefern weitere Evidenz dafür, dass man von einer kohlenhydratreduzierten, auf tierischen Produkten basierenden Diät abraten sollte", so die Forscher. Alternativ scheine es – wenn der Kohlenhydratanteil gesenkt wird – für ein gesundes Altern womöglich förderlich zu sein, Kohlenhydrate durch pflanzliche Fette und Proteine zu ersetzen.

Zu beachten seien aber auch geographische und sozioökonomische Faktoren: In wohlhabenden Ländern gebe es tendenziell einen geringeren Anteil an Kohlenhydraten (unter 50 Prozent) in der Ernährung, während dieser in weniger reichen Ländern mit durchschnittlich über 60 Prozent höher sei. In Europa und Amerika essen die Menschen demnach mehr tierische Produkte, während Asiaten eher auf Früchte und Reis zurückgreifen.

In einem Kommentar halten die Professoren Andrew Mente und Salim Yusuf aus Hamilton in Kanada die zu beobachtende U-förmige Assoziation zwischen Kohlenhydratzufuhr und Sterblichkeit für plausibel. Wie bei den meisten essenziellen Nährstoffen auch, sei zu wenig nicht gut, weil dann Mangelzustände entstehen, und zu viel sei nicht gut, weil dann eine toxische Schwelle überschritten wird.

Einschränkungen der Studie beachten

Sie sehen als Limitation der Studie, dass das Ernährungsverhalten im Verlauf nicht erfasst worden ist. Das Essverhalten einiger Teilnehmer habe sich binnen 20 Jahren wahrscheinlich verändert. Aus der festgestellten Assoziation von Kohlenhydraten mit der Sterberate sei zudem keine Kausalität abzuleiten: Auch der Lebensstil könnten die beobachteten Effekte verursachen.

Die Autoren selbst sehen die relativ geringe Anzahl an Low-Carb-Teilnehmern in der Studie als Problem an. Auch habe die weltweite Aussagekraft Einschränkungen, da beispielsweise in asiatischen Ländern mehr Fisch konsumiert werde – diesen Einfluss habe die Studie nicht analysiert.

Wie bei großen Beobachtungsstudien üblich, könne man weiterhin nicht ausschließen, dass unbekannte Einflussfaktoren eine Rolle spielten: Eine Metaanalyse des jeweiligen persönlichen Essverhalts sei nötig, um dies abzuklären.

Trotz der Einwände halten Mentes und Yusuf eine moderate Kohlenhydratzufuhr von etwa 50 Prozent des Energiebedarfs für gesundheitsförderlicher als eine sehr niedrige oder eine hohe Zufuhr. Dies sei mit einer ausgewogenen Ernährung etwa mit Früchten, Gemüse, Nüssen, Fischen – alles in Maßen – wohl am ehesten in Einklang zu bringen. (Mitarbeit: eis)

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