Schlafapnoe

Risikofaktor für Krebs?

Mehrere epidemiologische Studien zeigen eine Assoziation von malignen Erkrankungen mit der Schlafapnoe. Vermutlich sind die rezidivierenden nächtlichen Entsättigungen die Ursache.

Von Dr. Holger Hein Veröffentlicht:
Polysomnographie: In einer Studie war die Zahl von Malignomen abhängig von der Dauer nächtlicher O2-Entsättigungen unter 90Prozent.

Polysomnographie: In einer Studie war die Zahl von Malignomen abhängig von der Dauer nächtlicher O2-Entsättigungen unter 90Prozent.

© Mathias Ernert, Uniklinik Mannheim

Seit dem Jahr 1988 werden im Rahmen der Wisconsin Sleep Cohort Study die Gesundheitsdaten von 2140 Personen systematisch untersucht. Die Probanden waren ursprünglich zwischen 30 und 60 Jahren alt, bei allen wurde zu Beginn eine Polysomnographie durchgeführt. Nach 22 Jahren zeigte sich eine Assoziation von malignen Erkrankungen und einer eventuell anfangs nachgewiesenen Schlafapnoe, auch nach Korrektur der Daten für die Einflussfaktoren Lebensalter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Raucherstatus.

Verglichen mit denjenigen ohne nächtliche Atmungsstörungen hatten diejenigen mit einer leichtgradigen Schlafapnoe, gekennzeichnet durch einen Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) zwischen 5 und 14,9/Stunde, eine 1,1-fache Anzahl (95 %-Konfidenzintervall (95 % CI) 0,5-2,7) von malignen Erkrankungen, bei einer mittelgradigen Schlafapnoe mit einem AHI von 15-29,9/Stunde lag der Wert bei 2,0 (95 % CI 0,7-5,5) und bei einem AHI größer 30/Stunde bei 4,8 (95 % CI 1,7-13,2). Wurde der Entsättigungs-Index zugrunde gelegt, betrugen die Werte 1,6 (95 % CI, 0,6-4,4), 2,9 (95 % CI, 0,9-9,8), und 8,6 (95 % CI, 2,6-28,7).

Auch eine spanische multizentrische retrospektive Untersuchung über im Mittel 4,5 (range: 3,4-5,2) Jahre von 4910 Patienten verschiedener Schlaflabore ergab eine Abhängigkeit der Anzahl maligner Erkrankungen von der Zeitdauer nächtlicher Entsättigungen unter 90 %. Verglichen mit denjenigen, die nachts 1,2% der Messzeit unter 90 % lagen, hatten diejenigen mit Entsättigungszeiten zwischen 1,2 und 12 % eine 1,58-fache Häufung (95 % CI 1,07-2,34), bei der Gruppe mit Entsättigungszeiten größer 12 % lag der Wert bei 2,33 (95 CI 1,57-3,46). In dieser Untersuchung zeigte der AHI keine Assoziation mit der Häufigkeit maligner Erkrankungen, außer bei denjenigen im Alter unter 65 Jahren.

Eine Fall-Kontroll-Studie von 2 Millionen Bewohnern Taiwans ergab für die Jahre 2001 bis 2011 ein mit 1,73 (95 % CI 1,57-1,9) signifikant erhöhtes Risiko für die Diagnose eines Mamma-Ca bei Frauen mit Insomnie oder Parasomnie (Risiko 2,76, 95 % CI 1,53-5). Bei einer Schlafapnoe lag das Risiko bei 2,1 (95 %-CI 1,16-3,8). Das Risiko für einen Krebs des Nasenrachenraums betrug bei einer gleichzeitig vorhandenen Schlafapnoe 5,96 (95% CI 1,02-7,24) und das für ein Prostata-Ca 3,69 (95 % CI 1,98-6,89).

Andererseits zeigte eine kanadische Fallkontrollstudie von 10.149 Patienten eines Schlaflabors, die in den Jahren zwischen 1994 bis 2010 untersucht wurden, im Vergleich zu Daten von Patienten der Jahre zwischen 1991 und 2013 aus der so genannten Ontario health administrative study keine erhöhte Inzidenz maligner Erkrankungen für diejenigen mit einer Schlafapnoe, unabhängig vom Schweregrad und dem Ausmaß der Entsättigungen. In einer Nachbeobachtungszeit von im Median 7,8 Jahren ergab sich für die 9629 Patienten des Schlaflabors, die zu Beginn der Untersuchung keine maligne Erkrankung hatten, nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Raucherstatus eine Odds-Ratio von 0,96 für diejenigen mit einem Apnoe-Hypopnoe-Index < 30/Stunde vs. < 5/Stunde (95 % CI 0,71-1,3).

Es gibt somit epidemiologische Hinweise für die Assoziation von Schlafstörungen, schlafbezogenen Atmungsstörungen und nächtlichen Sauerstoffentsättigungen mit malignen Erkrankungen, aber keine einheitlichen Daten. Ein Faktor für die Entstehung eines Ösophaguskarzinoms kann vermehrter gastroösophagealer Reflux sein, der bei obstruktiver Schlafapnoe gehäuft auftritt.

Aus Tierversuchen lässt sich ein Einfluss einer intermittierenden Hypoxie auf Tumorzellen und Tumorzellwachstum nachweisen. Werden Melanomzellen Mäusen subcutan injiziert und die Tiere für 14 Tage einer täglich sechsstündigen Hypoxie (60 x/ Stunde je 20 sec 5% O2) ausgesetzt, ist das Tumorwachstum nahezu verdoppelt verglichen mit der Kontrollgruppe. Auch Marker der Tumoraggressivität wie zum Beispiel der ribosomale RNA Transkriptionsfaktor Ki-67 oder der DNA-Synthese-Marker PCNA werden bei intermittierender Hypoxie vermehrt gebildet.

Werden Lungentumorzellen auf die Haut von Mäusen transplantiert, ein Teil der Tiere in normaler Umgebungsluft gehalten, und eine Gruppe einer intermittierenden Hypoxie ausgesetzt (12 Std. Raumluft/12 Std. für jeweils 90 Sek. 6 % und 90 Sek. 21 % O2), so entwickelt die Gruppe der Mäuse mit der intermittierenden Hypoxie deutlich größere und schwerere Tumore, und im Blut der Tiere sind DNA-Fragmente vermehrt nachweisbar. Der bei Patienten mit Schlafapnoe erhöhte oxidative Stress führt zu messbaren Schäden an Enzymsystemen, und zu einer Aktivierung verschiedener zellbiochemischer Funktionen, unter anderem auch einer Erhöhung von Gefäßwachstumsfaktoren.

Die in den epidemiologischen Studien gefundene erhöhte Rate maligner Erkrankungen bei Patienten mit einer Schlafapnoe, die ja im Rahmen der Grundkrankheit eine intermittierende Hypoxie über Jahre haben, findet somit eine mögliche Erklärung. Insgesamt ist die Datenlage jedoch spärlich und eröffnet den Raum für weitere Untersuchungen. Ein weiterer offener Punkt ist die Frage, ob die möglicherweise erhöhte Rate maligner Erkrankungen durch eine suffiziente Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen normalisiert werden kann.

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