Forschung

Neuartiger Inhibitor hemmt Influenzaviren

Eine Kombination aus multivalenten Inhibitoren, die mit Hilfe zahlreicher Liganden an die Virusoberfläche binden, und sehr kurzen Antikörperfragmenten hemmt Influenza-A-Viren. Das haben In-vitro- und In-vivo-Experimente ergeben.

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BERLIN. Influenzaviren können für Menschen gefährlich werden. Darum versuchen Wissenschaftler, die Virusinfektion zu stoppen. Multivalente Inhibitoren, die mit Hilfe zahlreicher Liganden an die Virusoberfläche binden, scheinen dabei besonders vielversprechend zu sein, teilt das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) mit.

Forscher vom FMP, der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), Charité, dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) und der Freien Universität Berlin (FU) haben jetzt erstmals den multivalenten Ansatz mit Peptiden aus Antikörpern kombiniert (Angewandte Chemie 2017; 56(21): 5931–5936). In- vitro- und In-vivo-Experimente zeigten, dass sich Influenza-A-Viren zuverlässig mit dem neuen Wirkstoff hemmen lassen.

Proof-of-principle erbracht

Influenzaviren sind tückisch. Beim Einatmen gelangen sie in unsere Lunge und greifen dort die Lungenepithelzellen an, der erste und entscheidende Schritt bei einer Infektion durch diese Viren. Der Angriff ist möglich, weil die Viren an bestimmte Wirtszellen in der Lunge binden.

Genau diesen Schritt wollen die Wissenschaftler unterbinden und haben deshalb nach einem Wirkstoff gesucht, der Influenzaviren hemmt, selbst wenn die Infektion schon ausgebrochen ist. Bislang gibt es keine antivirale Therapie, die dazu in der Lage wäre.

Doch nach mehr als zweieinhalb Jahren institutsübergreifender Forschung scheint das Eis in der Grundlagenforschung gebrochen zu sein. "Wir haben den Proof-of-principle erbracht, dass sich mit unserem Ansatz Influenzaviren hervorragend hemmen lassen", wird Professor Christian Hackenberger, Bereichsleiter am FMP und Professor für Chemische Biologie an der Humboldt Universität, in der Mitteilung zitiert. "Damit haben wir ganz neue Türen für klinische Experimente aufgestoßen."

Bei der Wirkstoffentwicklung haben die Forscher auf sogenannte multivalente Inhibitoren zurückgegriffen. In diesem Fall handelte es sich um Nanopartikel, die auf ihrer Oberfläche zahlreiche Liganden tragen, die ganz spezifisch an das Influenzavirus binden. Durch die Vielzahl an Bindungen ist die Chance wesentlich größer, dass das Virus erkannt und Schachmatt gesetzt werden kann. Der multivalente Ansatz mit Zuckerliganden ist in der Literatur gut beschrieben. "Durch eine neue Strategie, in der wir Peptide als Liganden verwenden, konnten wir neue Inhibitoren herstellen, die für die chemische Synthese viel Spielraum bieten", sagt Maria Glanz, Chemikerin am FMP.

Bei Influenza bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Virus, ein Vorgang der auch jährlich bei einer Grippeschutzimpfung ausgenutzt wird. In Vorarbeiten hatten die Forscher die Regionen der Antikörper identifiziert, die das Virus erkennen. Die entscheidenden Stellen wurden dann herausgeschnitten und am FMP von Glanz synthetisiert. Die der Natur nachempfundenen Peptidsequenzen wurden dann als Liganden auf den Inhibitor gesetzt, und zwar in enormer Stückzahl. "Dadurch ist die Affinität zum Virus wesentlich größer, also bindungsstärker", so Professor Andreas Herrmann, Leiter des Bereichs Molekulare Biophysik an der HU. Dies habe sich auch in den Experimenten bestätigt: "In-vitro haben unsere multivalenten Peptid-Nanopartikel-Konjugate richtig gut gegriffen."

Erfolg auch im Mausmodell

Die Experimente mit dem neuen Inhibitor wurden an Modellmembranen sowie an humanen Zellkulturen erfolgreich durchgeführt. Auch im Mausmodell funktionierte die Inhibition der Influenzaviren, was sich unter anderem am Verlust bzw. Halten des Körpergewichts messen ließ.

Allerdings ging die antivirale Wirkung hier nach vier Tagen zurück, da die Tiere den Wirkstoff nur einmal bekamen. "Wir haben die Tiere nur einmal behandelt, um ihnen Stress zu ersparen", erläutert Daniel Lauster, Biologe am HU-Institut für Molekulare Biophysik. "Eine mehrmalige Gabe, so wie es bei anderen Medikamenten üblich ist, hätte garantiert länger anhaltende Effekte gehabt."

Im nächsten Schritt wollen die Forscher nun das Konzept für weitere Anwendungen optimieren. Der Forschung steht aber jetzt schon ein völlig neues Inhibitoren-Design zur Verfügung, das künftig für die Entwicklung neuer Bindungsinhibitoren verwendet werden kann.

Nach Auskunft der Forscher kann sich die neue Klasse von Molekülen viel leichter an die natürlichen Varianten des Virus anpassen, da sie auf unterschiedlichen Designs beruhen. Das ist wichtig, weil sich Virusproteine strukturell verändern können. Vorherige Systeme waren dagegen immer nur gegen eine Bindestelle am Virus gerichtet, heißt es in der Mitteilung des FMP. "Wir haben jetzt wesentlich mehr Möglichkeiten und können unser System viel leichter adaptieren, etwa wenn Resistenzen und Mutanten entstehen", erklärt Lauster. Weitere Vorteile seien, dass sich das neue Inhibitoren-Design auch für andere Peptidsysteme eigne und es sehr einfach zu synthetisieren sei. "Das wirklich Neue an dem Konzept ist die Kombination aus multivalentem Inhibitor und sehr kurzen Antikörperfragmenten", so Hackenberger. Der Beweis sei zwar an Influenza A Viren erbracht worden, lasse sich aber auch auf andere Virusinfektionen übertragen. (eb/ikr)

Entwicklung des Inhibitors

» Bei Influenza bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Influenzavirus.

» In Vorarbeiten hatten Forscher die Regionen der Antikörper identifiziert, die das Virus erkennen. Die entscheidenden Stellen wurden dann herausgeschnitten und synthetisiert.

» Die der Natur nachempfundenen Peptidsequenzen wurden anschließend als Liganden auf den Inhibitor gesetzt, und zwar in enormer Stückzahl.

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