HINTERGRUND

Viel Bewegung und geistige Aktivität halbieren das Demenz-Risiko, Vitaminpillen bringen dagegen wenig

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Täglich eine Vitamin-Pille, dazu noch eine Fischölkapsel, vielleicht noch ein paar Flavonoide, und schon ist man die Sorge um eine Alzheimer-Erkrankung los - schön wär‘s! Leider kann man mit Pillen bislang nur Mäuse vor einer Demenz bewahren. Menschen müssen sich schon etwas mehr anstrengen, um ihr Demenz-Risiko zu senken.

Tierversuche brachten Ergebnisse, die fast zu schön waren, um wahr zu sein: Fütterte man in Studien Mäuse mit Omega-3-Fettsäuren oder Vitamin E, dann bildeten sie weniger Beta-Amyloid, dann waren sie geistig reger und hatten auch mehr Synapsen als Kontrolltiere. Dass Ähnliches auch bei Menschen passiert, die solche Substanzen einnehmen, ließ sich bislang aber nicht belegen.

In einer neuen Analyse der Hirnliga wurden jetzt 23 Kohorten-Studien und Fall-Kontroll-Studien zur Aufnahme von Vitamin E und Omega-3-Fettsäuren aus der Nahrung oder aus Pillen überprüft (Schriftenreihe der Hirnliga, Band 3). Von zehn Kohorten-Studien ergaben nur fünf ein geringeres Demenz-Risiko bei Menschen mit hoher Vitamin-E-Aufnahme. Bei den übrigen, darunter eine Langzeitanalyse über 30 Jahre, war Vitamin E für das Demenz-Risiko irrelevant, bei einer war mit Vitamin E das Demenz-Risiko sogar erhöht.

Fischölkapseln schützen offenbar nicht vor Demenz

Ähnlich sieht es bei Omega-3-Fettsäuren aus. Diese sind in hoher Konzentration in Fischöl enthalten, und Fischölkapseln sind ein beliebtes Nahrungsergänzungsmittel. Von vier Studien deutete sich jedoch nur in zwei ein Nutzen zur Demenz-Prävention an, in einer gab es keinen Effekt und in einer Studie war Fischöl sogar mit einem erhöhten Demenz-Risiko assoziiert, sagte Professor Lutz Frölich vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Der Gerontopsychiater hat die Daten bei einer Veranstaltung der Hirnliga in Frankfurt am Main vorgestellt.

Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen Tierversuchen und epidemiologischen Daten erklären? Nach Angaben von Professor Walter Müller vom Pharmakologischen Institut der Uni Frankfurt könnte ein Grund die kurze Lebensdauer der Mäuse sein: Dauert der Versuch im Labor ein halbes Jahr, entspricht dies immerhin einem Viertel der Gesamtlebensdauer der Tiere. Bezogen auf die menschliche Lebensspanne liegen solche Langzeitdaten kaum vor. Und natürlich sind die pathologischen Prozesse bei den zum Teil genetisch veränderten Alzheimer-Mäusen und bei Menschen nicht identisch.

Heißt das also, eine gesunde Ernährung mit viel Vitaminen und mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist zwar insgesamt gesund, nützt dem Hirn aber wenig? Diesen Schluss kann man nicht unbedingt aus den Daten ziehen. Es gibt, so Müller, durchaus Studien, die ein deutlich vermindertes Demenz-Risiko bei einer gesunden Ernährung mit viel Vitaminen und ungesättigten Fettsäuren ergeben haben. Die Betonung liegt dabei aber auf gesunder Ernährung, weniger auf Vitaminen und Fettsäuren.

Müller nannte als Beispiel zwei große epidemiologische Studien, die vor fünf Jahren zeitgleich publiziert worden sind. Darin wurde nach der Demenz-Rate bei Menschen geschaut, die viele Vitamin-E- und Vitamin-C-Pillen einnahmen. Die Rate war nicht erniedrigt. Zudem wurde nach der Demenz-Rate bei Menschen geschaut, die viel Vitamin E und Vitamin C über die Nahrung zu sich nahmen. Bei diesen Personen war die Demenz-Rate bis um die Hälfte reduziert (JAMA 287, 2002, 3223-3237).

Die vielen Vitamine stammten bei ihnen hauptsächlich aus Obst und Gemüse. "Und solche Nahrung enthält auch noch viele andere gesunde Substanzen, etwa Flavonoide", so Müller. Nicht einzelne Vitamine und Fette beeinflussen demnach das Demenz-Risiko, sondern die gesamte Ernährungsweise.

Besonders vorteilhaft ist offenbar die mediterrane Diät. Mit ihr ist nicht nur das kardiovaskuläre Risiko gering, sondern auch die Gefahr einer Alzheimer-Demenz. Zur Mittelmeer-Diät zählen viel Fisch, Gemüse, Obst, ungesättigte Fettsäuren, wenig rotes Fleisch, wenig gesättigte Fettsäuren und ein mäßiger Rotweinkonsum. In einer US-Studie bei über 75 Jahre alten Bewohnern in New York war die Alzheimer-Rate mit einer solchen Diät um 40 Prozent niedriger als bei Bewohnern derselben Stadt, die viel rotes Fleisch und wenig Obst und Gemüse aßen (Ann Neurol 59, 2006, 912).

Ähnliche Ergebnisse haben auch andere Studien zur mediterranen Diät gebracht. Welche Substanzen in der Nahrung das Demenz-Risiko reduzieren, dazu muss noch viel geforscht werden. Eine Pille mit Vitaminen und anderen Pflanzenstoffen, die vor Alzheimer schützt, ist jedenfalls nicht in Sicht.

Zeitlebens viel Bewegung sorgt im Alter für einen klaren Kopf

Viel klarer sieht es aus, was den Nutzen von körperlicher und geistiger Aktivität betrifft. Hier decken sich die Daten von Mäusen und Menschen. In der Meta-Analyse der Hirnliga ergaben 16 von 18 Studien Hinweise darauf, dass körperliche Bewegung Menschen vor Demenz schützt, und zwar sowohl Sport, Gartenarbeit als auch Handarbeiten. Je nach Studie und Intensität war die Demenz-Rate bei den körperlich Aktiven um 45 bis 60 Prozent reduziert, so Frölich. Eine ähnliche Reduktion ist offenbar auch durch geistige Aktivität möglich, das haben 15 von 17 Studien ergeben.

Viel körperliche Bewegung, geistige Aktivität und gesunde Ernährung - das ist also nach den bisherigen Daten wirkungsvoller als der Griff zu Vitamin-Präparaten und Fischölkapseln. Wie stark der Effekt ist, wenn man alle günstigen Faktoren zur Lebensweise berücksichtigt, ist jedoch unklar, so Frölich, da die meisten Faktoren zusammenhängen: Wer viel Sport treibt, ernährt sich meist auch gesund und ist geistig aktiver. So jemand darf aber zumindest hoffen, dass er damit sein Demenz-Risiko halbiert - wenn er sich zeitlebens so gesund verhält. "Fängt jemand mit einer gesunden Lebensweise erst an, wenn er merkt, dass das Gedächtnis nachlässt, dann ist es vermutlich zu spät", gibt Frölich zu bedenken.



FAZIT

Viel Bewegung, geistige Aktivität und eine gesunde Ernährung mit wenig rotem Fleisch, viel Fisch, Obst und Gemüse - damit lässt sich das Demenz-Risiko nach Studien-Daten in etwa halbieren. Wie lange man so gesund leben muss, sagen die Studien jedoch nicht: Am ehesten profitiert wohl, wer sich zeitlebens danach richtet. Deutliche Hinweise, dass Nahrungsergänzungsmittel vor Demenz schützen, gibt es bislang nicht.

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