Neue Diagnosekriterien bei Alzheimer

Ob PET, SPECT, MRT oder Liquortest - mit neuen Methoden lässt sich Alzheimer früher und zuverlässiger nachweisen. Solche Verfahren sollen nun im US-Diagnose-Manual berücksichtigt werden. Damit wäre Alzheimer nicht mehr nur eine Ausschlussdiagnose, sondern würde auf Befunden beruhen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Durch neue bildgebende Verfahren ist die Alzheimer-Diagnostik derzeit im Umbruch.

Durch neue bildgebende Verfahren ist die Alzheimer-Diagnostik derzeit im Umbruch.

© Getty Images / iStockphoto

NEU-ISENBURG. Die Alzheimer-Diagnostik befindet sich dank neuer bildgebender Verfahren und biochemischer Nachweismethoden im Umbruch. Dies wird nun offenbar auch bei der Revision des US-Diagnosemanuals DSM berücksichtigt, das im Jahr 2013 in fünfter Version veröffentlicht werden soll.

So wird man sich bei Demenzerkrankungen von einer reinen Ausschlussdiagnostik hin zu positiven Befunden bewegen: Ein Morbus Alzheimer gilt nicht mehr nur dann als wahrscheinlich, wenn keine anderen Ursachen für die kognitiven Symptome infrage kommen, sondern wenn zum klinischen Bild auch ein positiver Biomarkerbefund vorliegt.

Die neuen Kriterien hat Professor Harald Jürgen Hampel aus Frankfurt am Main auf einem Symposium beim Kongress der DGPPN in Berlin vorgestellt. Sie decken sich teilweise mit den 2009 vorgeschlagenen Forschungskriterien einer Arbeitsgruppe um Dr. Bruno Dubois aus Paris.

Nach diesen ist von einem Morbus Alzheimer auszugehen, wenn Gedächtnisstörungen seit mindestens sechs Monaten bestehen und sich zusätzlich entweder per MRT eine Atrophie des medialen Temporallappens nachweisen lässt oder ein pathologischer Liquor-Befund vorliegt (etwa auffällige Beta-Amyloid- oder Tau-Werte).

Die neuen Kriterien, wie sie für das DSM V vorgeschlagen werden, gehen jedoch noch darüber hinaus, so Hampel auf einem Symposium von Merz Pharmaceuticals: Mit ihnen soll sich eine Alzheimer-Erkrankung bereits in einem präklinischen Stadium nachweisen lassen.

Drei Syndrom-Kategorien

Im DSM V werden neurodegenerative Erkrankungen in drei große Syndromkategorien gegliedert: Delir, leichte neurokognitive Erkrankungen (mild neurocognitive disorders) und schwere neurokognitive Erkrankungen (major neurocognitive disorders).

Diese unterteilt man dann wiederum entsprechend ihrer Ätiologie. Bei den leichten Erkrankungen gibt es etwa solche, die durch Morbus Alzheimer (associated with Alzheimer's Disease), durch eine vaskuläre Erkrankung, HIV, Substanzmissbrauch oder etwa Parkinson bedingt sind.

Bei leichten Gedächtnisstörungen (Mild Cognitive Impairment, MCI) ist nach dem neuen Manual dann von einem Morbus Alzheimer auszugehen, wenn zu den kognitiven Störungen auch Befunde aus Bildgebung und biochemischen Markern vorliegen.

Vorschläge, um welche Befunde es sich genau handeln soll, haben jetzt das National Institute of Aging und die Alzheimer's Association unterbreitet:

Hoch ist die Wahrscheinlichkeit für Morbus Alzheimer bei MCI, wenn sowohl Biomarker für Beta-Amyloid als auch für Neurodegeneration einen positiven Befund ergeben. Als Beta-Amyloid-Marker gelten etwa das Amyloid-PET oder ein Nachweis des Amyloidfragments Aß-42 im Liquor. Marker für Neurodegeneration sind Liquor-Tau, Hippocampus-Atrophie im PET oder spezifische Veränderungen im FDG-PET sowie SPECT.

Mittelhoch ist die Wahrscheinlichkeit für Morbus Alzheimer bei MCI, wenn entweder Biomarker für Beta-Amyloid oder solche für Neurodegeneration einen positiven Befund ergeben.

Unwahrscheinlich ist Morbus Alzheimer bei MCI, wenn weder Biomarker für Beta-Amyloid noch solche für Neurodegeneration einen positiven Befund ergeben.

Keine Aussage lässt sich treffen, wenn die Biomarker widersprüchliche Ergebnisse liefern. Analog zu MCI haben die beiden US-amerikanischen Verbände auch neue, dreistufige Kriterien zur Diagnostik einer manifesten Alzheimer-Erkrankung vorgeschlagen.

Liegen nur positive klinische Befunde vor, wird von einer wahrscheinlichen Alzheimer-Erkrankung ausgegangen. Zu den klinischen Befunden zählen ein schleichender Beginn der Störungen über Monate bis Jahre, eine stetige Verschlechterung sowie Probleme beim Gedächtnis, bei der Sprache, der räumlichen Wahrnehmung oder bei Exekutivfunktionen.

Wird zusätzlich der kognitive Abbau durch Fremdanamnese oder wiederholte Tests bestätigt oder liegen Genmutationen vor, die Morbus Alzheimer auslösen können, dann ist von einer "wahrscheinlichen Alzheimer-Erkrankung mit erhöhter Sicherheit" die Rede.

Kommt dann noch ein positiver Befund aus der Bildgebung oder mit biochemischen Markern hinzu, ist von einer "wahrscheinlichen Alzheimer-Erkrankung mit Evidenz für eine Alzheimer-Pathologie" auszugehen.

Weitere Studien sind notwendig

Bis sich solche Diagnosekriterien in der Praxis durchsetzen, dürften allerdings noch Jahre vergehen, so Hampel. Besonders relevant werden sie, wenn man vielleicht eines Tages mit neuen Arzneien bereits in der Frühphase der Erkrankungeingreifen kann.

Hampel warnte aber ausdrücklich vor Angeboten, die heute schon versprechen, bei Patienten mit subtilen oder subjektiv empfundenen Gedächtnisstörungen für viel Geld per Bildgebung oder Biomarker eine Alzheimer-Erkrankung zu detektieren.

Solche Angebote seien meist nicht seriös, denn die neuen Kriterien wurden primär zu Forschungszwecken und für klinische Studien konzipiert, sie seien daher zunächst Referenzzentren der Alzheimer-Diagnostik vorbehalten. Für die Praxis müssten sie erst noch in Studien validiert werden.

Natürlich solle dennoch möglichst jeder Patient mit Alzheimer-Verdacht ein MRT erhalten, schon um andere Ursachen als eine neurodegenerative Erkrankung auszuschließen. Eine solche Bildgebung, wie sie auch in den S3-Leitlinien gefordert wird, sei jedoch noch immer die Ausnahme und nicht die Regel.

Nach Daten einer Befragung schicken Ärzte bislang nur etwa 10 Prozent ihrer Demenzpatienten zum Radiologen. Hier könne man also auch ohne aufwändige Biomarkertests schon einiges tun, um die Diagnostik zu verbessern.

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