Demenz

Kleine Kapseln im Hirn bremsen Alzheimer

Kapseln mit Wachstumsfaktor-produzierenden Zellen im Gehirn verlangsamen möglicherweise die Alzheimerkrankheit. Das zeigt eine schwedische Studie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Der geistige Abbau bei Alzheimer lässt sich möglicherweise durch Kapseln im Hirn verlangsamen.

Der geistige Abbau bei Alzheimer lässt sich möglicherweise durch Kapseln im Hirn verlangsamen.

© Osterland / fotolia.com

STOCKHOLM. Bislang können Ärzte einer Alzheimerdemenz bekanntlich wenig entgegensetzen.

Nachdem sich Forscher lange Zeit vergeblich auf Therapien gegen Beta-Amyloid konzentriert hatten, steigt jetzt offenbar wieder das Interesse an anderen Ansätzen, vor allem solchen, die Patienten helfen sollen, die bereits an Alzheimer erkrankt sind.

Das ist nicht einfach, da bei einer klinisch manifesten Demenz schon ein beachtlicher Teil des Gehirns irreversibel zerstört ist.

Hier geht es folglich darum, die Neurodegeneration zu stoppen oder zumindest deutlich zu bremsen.

Ziel: Schutz von Nervenzellen verbessern

Die kognitiven Fähigkeiten scheinen bei Alzheimerdemenz vor allem unter der Degeneration des cholinergen Systems zu leiden.

Die zur Alzheimertherapie bisher verwendeten Cholinesterasehemmer können zwar die entstehenden cholinergen Defizite etwas lindern, nicht aber die weitere Degeneration cholinerger Neurone verhindern.

Den Schutz dieser Nervenzellen wollen nun schwedische Forscher verbessern, indem sie Alzheimerkranken eine Art Bioreaktor ins Gehirn verpflanzen.

Dieser besteht aus gentechnisch veränderten Humanzellen, die den Wachstumsfaktor NGF (Nerv Growth Factor) produzieren.

Die Zellen werden in einen Zentimeter große semipermeable Kapseln (encapsulated cell biodelivery) verfrachtet und in die Näher cholinerger Zentren ins Gehirn implantiert.

Die Kapseln erlauben den Zellen, NGF in die Umgebung auszuschütten, gleichzeitig gelangen durch die Membran die benötigten Nährstoffe zu den Zellen.

Nervenschutz mit Wachstumsfaktor

Die Wissenschaftler um Azadeh Karami vom Karolinska-Institut in Stockholm haben das Verfahren nun erstmals bei sechs Alzheimerpatienten getestet (Alzheimer's & Dementia 2015, ePub 9 Februar 2015).

Sie wählten NGF, weil Experimente zuvor ergeben hatten, dass cholinerge Zellen diesen Faktor dringend benötigen und die Produktion von NGF bei Alzheimerkranken nicht mehr gut funktioniert.

Der Mangel an NGF in den cholinergen Zentren wie dem Nucleus basalis ist ihrer Auffassung nach ein Grund für die cholinerge Neurodegeneration und damit für die kognitiven Defizite bei Alzheimer.

Eine ausreichende Versorgung dieser Neurone mit NGF sollte danach ihre Degeneration und die kognitiven Defizite verhindern.

Die sechs Patienten, die an der Studie teilnahmen, waren noch relativ jung (im Mittel 62 Jahre) und hatten erst eine leichte Demenz (Mini-Mental-Status-Wert zwischen 19 und 24 Punkten).

Alle waren schon mindestens sieben Monate zuvor auf Cholinesterasehemmer eingestellt worden und erhielten diese Medikamente auch während der Studie.

Die Ärzte setzten nun bei allen Patienten bilateral je eine Zellkapsel in den Einzugsbereich des Nucleus basalis (Ch4), die Hälfte bekam zusätzlich zwei weitere Kapseln in das diagonale Band von Broca (Ch2). Alle Kapseln wurden nach einem Jahr wieder entfernt.

Neben einer Reihe von Kognitionstests interessierten sich die Forscher vor allem für cholinerge Biomarker im Liquor.

Die Aktivität des Enzyms Cholinacetyltransferase (ChAT) spiegelt in gewisser Weise das Wohlergehen der cholinergen Neurone wider.

ChAT kommt zwar hauptsächlich im Inneren cholinerger Zellen vor, ein Teil findet aber auch den Weg in den Liquor.

Drei von sechs Patienten blieben kognitiv stabil

Nach einem Jahr waren drei der Patienten kognitiv stabil geblieben, ihr MMST-Wert hatte sich im Schnitt nicht verändert und der ADAS-cog-Wert war nur leicht gestiegen.

Drei Patienten sprachen auf die Therapie nicht an, ihr MMST-Wert war innerhalb eines Jahres um zwei oder mehr Punkte zurückgegangen.

Wie sich nun herausstellte, war die ChAT-Aktivität bei den kognitiv stabilen Patienten um etwa ein Viertel angestiegen, bei den Non-Respondern war sie dagegen unverändert.

Zusätzlich untersuchten die Forscher den Liquor bei 17 Alzheimerpatienten ohne die NGF-Therapie; hier kam es im Schnitt ebenfalls zu keinen Veränderungen, bei den fünf Patienten mit deutlichem kognitivem Abbau war die ChAT-Aktivität innerhalb eines Jahres sogar um ein Viertel gesunken.

Insgesamt, so die Forscher, scheint die NGF-Therapie die ChAT-Aktivität bei einem Teil der Patienten deutlich zu steigern, und dies geht mit einem verringerten kognitiven Abbau einher.

Veränderungen beobachteten die Forscher jedoch auch bei klassischen Alzheimer-Biomarkern.

Das Glukose-PET deutete auf einen erhöhten Hirnstoffwechsel bei Patienten mit erhöhter ChAT-Aktivität, und bei solchen Patienten stiegen auch die Werte von Aß42 und Tauprotein im Liquor an - ein Zeichen dafür, dass diese Eiweiße im Gehirn weniger verklumpen und die Neurodegeneration gebremst wird.

Nach dem Entfernen der Kapseln wurden die Patienten über ein Jahr lang weiter untersucht.

In dieser Zeit bauten die Non-Responder geistig weiterhin schnell ab, die Responder hingegen deutlich langsamer.

27 Monate nach Therapiebeginn lag der MMST-Wert bei den Patienten mit erhöhten ChAT-Werten bei etwa 17 Punkten, bei den Non-Respondern hingegen nur noch bei rund 8 Punkten.

Auch wenn sich aufgrund des Studiendesigns nicht klar zeigen lässt, dass dieser Unterschied durch die Therapie bedingt ist - möglicherweise hatten die Responder unabhängig von der NGF-Therapie einen langsameren Krankheitsverlauf - so deuten die erhöhten ChAT-Werte bei einem Teil der Behandelten nach Ansicht der Studienautoren doch auf einen gewissen Nutzen der Therapie.

Dieser muss nun allerdings in größeren, kontrollierten Studien bestätigt werden.

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