Antipsychotika absetzen

Wann droht bei Demenz ein Rezidiv?

Eigentlich sollten Demenzkranke nicht allzu lange Antipsychotika erhalten. Bei auditorischen Halluzinationen ist das Rückfallrisiko nach dem Absetzen aber extrem hoch.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Hatten Demenzkranke zu Behandlungsbeginn visuelle Halluzinationen, war die Rezidivrate nach Absetzen von Antipsychotika nicht erhöht, wohl aber bei auditorischen Halluzinationen.

Hatten Demenzkranke zu Behandlungsbeginn visuelle Halluzinationen, war die Rezidivrate nach Absetzen von Antipsychotika nicht erhöht, wohl aber bei auditorischen Halluzinationen.

© helior / fotolia.com

NEW YORK. Sind Antipsychotika bei Demenzkranken aufgrund von Verhaltensproblemen oder psychotischen Symptomen nötig, hat die Behandlung "mit der geringstmöglichen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum zu erfolgen", fordert die aktuelle Demenzleitlinie. Hintergrund ist die erhöhte Sterberate von Demenzkranken unter Antipsychotika. Da vor allem Daten zur Wirksamkeit von Risperidon bei Demenzkranken vorliegen, wird dieses Medikament in der Leitlinie explizit zur Therapie bei aggressivem und agitiertem Verhalten empfohlen, sofern sich diese Symptome ohne Antipsychotika nicht ausreichend lindern lassen.

Setzen Ärzte Risperidon nach erfolgreicher Behandlung jedoch wieder ab, kommt es bei einem Teil der Patienten rasch zu Rückfällen. Es wäre nun wichtig zu wissen, welche Patienten ein besonders hohes Rückfallrisiko haben. Nach Angaben von US-Psychiatern sind es vor allem solche mit auditorischen Halluzinationen bei Behandlungsbeginn.

Studie mit 180 Alzheimerpatienten

Für die Studie "Antipsychotic Discontinuation in Alzheimer's Disease (ADAD)" konnten Ärzte um Dr. Anjali Patel von der Columbia University in New York 180 Alzheimerkranke mit psychotischem Verhalten, starker Agitiertheit oder Aggressionen gewinnen (Am J Psychiatry 2016; online 18. November). Auf den entsprechenden Subskalen im Neuropsychiatrischen Inventar (NPI) mussten die Patienten jeweils mindestens vier von maximal zwölf Punkten erreichen. Sie wurden anschließend mit Risperidon in individuellen Dosierungen behandelt. Nach 16 Wochen waren die Beschwerden bei 110 Betroffenen deutlich zurückgegangen. Diese erhielten nun für 16 bis 32 Wochen weiter Risperidon oder Placebo.

Die Psychiater um Patel schauten sich anschließend die Rückfallraten an. Ein Rezidiv wurde als mindestens 30-prozentiger Wiederanstieg des NPI-Werts oder eine Zunahme um mindestens fünf Punkte definiert. Hatten sich die Symptome nach dem Arzturteil stark oder sehr stark verschlechtert, gingen die Psychiater ebenfalls von einem Rückfall aus.

Insgesamt sahen die Ärzte bei einem Drittel (23 von 70 Patienten) der Responder unter fortgeführter Risperidontherapie ein Rezidiv, 60 Prozent waren es beim Wechsel auf Placebo (24 von 40 Patienten).

Im nächsten Schritt unterteilten die Forscher ihre Patienten nach Art und Schwere der Symptome zum Studienbeginn. Dabei fanden sie eine rund dreifach erhöhte Rezidivrate bei ausgeprägten Halluzinationen zum Start der Untersuchung, allerdings nur bei auditorischen, nicht bei visuellen Halluzinationen.

Insgesamt kam es bei 13 von 17 der Patienten (77 Prozent) mit Halluzinationen, die auf Placebo umgestellt wurden, zum Rezidiv, aber nur bei 10 von 26 (39 Prozent) derjenigen, die weiterhin das Antipsychotikum erhielten. Die Weiterbehandlung kann nach diesen Daten das Rezidivrisiko bei Alzheimerkranken mit Halluzinationen also halbieren.

Von den elf Patienten mit ausgeprägten Halluzinationen erlitten unter Placebo zehn (91 Prozent) einen Rückfall, unter Risperidon waren es vier von sieben.

Reizbarkeit ist ebenfalls prädiktiv

Ähnliche Unterschiede ergaben sich auch bei Patienten mit sehr ausgeprägter Reizbarkeit zum Studienbeginn: Vier von 21 (19 Prozent) erlitten unter Risperidon ein Rezidiv, aber fast alle (13 von 14) ohne das Antipsychotikum. Bei leichter Reizbarkeit waren hingegen keine größeren Unterschiede zwischen Placebo und Risperidon erkennbar.

Andere Symptome, etwa Wahnvorstellungen, Ängste, Depression, Aggression und Agitiertheit sagen nach diesen Daten hingegen wenig über das Rezidivrisiko aus. Möglicherweise liegt dies jedoch auch an der kleinen Patientenzahl der Studie.

Für die Autoren scheint zumindest eine auditorische Halluzination zum Behandlungsbeginn ein Indikator für ein hohes Rezidivrisiko zu sein. Sprechen solche Patienten auf die Behandlung an, sollten es sich Ärzte gut überlegen, ob sie die Medikation anschließend absetzen wollen. Tun sie es, sei ein gründliches Monitoring nötig. Ähnliches dürfte auch für Patienten mit starker Reizbarkeit gelten.

Bei allen anderen Patienten scheint das Rezidivrisiko weniger stark von der Antipsychotika-Weiterbehandlung abzuhängen. Hier wäre ein Absetzversuch nach spätestens drei Monaten also gut zu rechtfertigen.

Mehr zum Thema

Unlauterer Wettbewerb

Demenz-Vorsorge mit Hörgerät? Wettbewerbszentrale mahnt ab

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen