Misserfolg in Phase III

Serotonin-Rezeptor-Antagonist bringt nichts bei Alzheimer

Erneut ist ein therapeutischer Ansatz gegen Morbus Alzheimer gescheitert. Der Wirkstoff Idalopirdin – entwickelt zur symptomatischen Therapie – konnte die Kognition bei Patienten mit leichter bis moderater Erkrankung nicht verbessern.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Alzheimer: Ist die Therapie mit selektiven Serotonin-Rezeptor-Blockern vom Tisch?

Alzheimer: Ist die Therapie mit selektiven Serotonin-Rezeptor-Blockern vom Tisch?

© wildpixel / Getty Images / iStock

SAN FRANCISCO. Es ist ein Trauerspiel – schon wieder muss ein vielversprechender Ansatz gegen Alzheimer begraben werden. Die Krankheit scheint sich einem besseren therapeutischen Zugriff nach wie vor zu entziehen. Waren es in den vergangenen Jahren jedoch vor allem gegen Beta-Amyloid gerichtete krankheitsmodifizierende Therapien, die den Verlauf bremsen sollten, haben Forscher um Dr. Alireza Atri vom Ray Dolby Brain Health Center in San Francisco einen symptomatischen Ansatz getestet. Bisher gibt es für viele Alzheimerkranke nämlich nur Antidementiva mit eher geringen bis moderatem Effekt.

Alternative Ansätze gefragt

Während sich die Forschung zuletzt immer mehr auf Prävention und Beta-Amyloid konzentriert hat, ist die symptomatische Behandlung in den Hintergrund geraten. Inzwischen ist jedoch klar, dass eine Therapie gegen Beta-Amyloid bei bereits Erkrankten nichts mehr bringt – es sind hier also dringend alternative Ansätze gefragt.

Eine gewisse Hoffnung haben Wissenschaftler bislang auf selektive Serotonin-Rezeptor-Antagonisten gesetzt. So blockiert der Wirkstoff Idalopirdin gezielt den 5-Hydroxytryptamin-6-Rezeptor. Diese Blockade verstärkt die cholinerge, noradrenerge, glutamaterge und dopaminerge Neurotransmission. Vor allem über die Verbesserung der cholinergen und glutamatergen Funktion versprechen sich Forscher eine stärkere kognitive Leistung. In Tierversuchen ließen sich damit tatsächlich günstige Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten nachweisen, dies war auch in einer vor mehr als drei Jahren veröffentlichten Phase-II-Studie mit 278 Alzheimerkranken der Fall: Unter 90 mg pro Tag schnitten die Patienten nach einem halben Jahr beim ADAS-cog-Test um 2,2 Punkte besser ab als Patienten mit Placebo. Der Unterschied war damit zwar nicht besonders groß, aber statistisch signifikant.

Das Unternehmen Lundbeck initiierte daraufhin ein großes internationales Phase-III-Studienprogramm: Über 2500 Alzheimerpatienten aus 34 Ländern nahmen teil, alle bekamen 24 Wochen lang Idalopirdin oder Placebo (JAMA 2018; 319:130-142). Zwei der Studien wurden dreiarmig konzipiert – mit zwei verschiedenen Idalopirdin-Dosen (10–60 mg) und Placebo – eine verglich 60 mg der Substanz gegen Placebo. Auf die in Phase II wirksame 90-mg-Dosierung hatten die Studiendesigner verzichtet, ausschlaggebend dafür waren Analysen, nach denen schon bei 60 mg/d eine 5-HT6-Rezeptorsättigung von über 80 Prozent erzielt werden kann. Auch eine erhöhte Nebenwirkungsrate mit 90 mg/d dürfte zu der Entscheidung beigetragen haben, welche die Studienautoren angesichts der Resultate nun vielleicht bereuen.

Die Patientencharakteristika waren in allen drei Studien ähnlich – im Schnitt betrug das Alter 74 Jahre, zwei Drittel waren Frauen, der Wert im Mini-Mental-Status-Test (MMST) lag bei rund 17 und der ADAS-cog-Wert bei 26 Punkten. Teilnehmen durften Patienten mit einem MMST-Wert von 12 bis 22 Punkten, also solche mit leichter bis moderater Demenz. Im Schnitt lag die Diagnose eineinhalb bis knapp zwei Jahre zurück, alle Patienten waren seit mindestens vier Monaten mit Cholinesterase-Hemmern behandelt worden und sollten diese Therapie fortführen – Idalopirdin wurde also zusätzlich verabreicht.

Kein Vorteil gegenüber Placebo

Als primären Endpunkt hatten die Autoren Veränderungen im ADAS-cog-Wert gewählt. In der ersten Studie verschlechterte sich der Wert unter Placebo im Laufe von sechs Monaten um 0,41 Punkte; 0,37 Punkte waren es mit der 60-mg- und 0,61 mit der 30-mg-Dosis. Hier zeigte sich gegenüber Placebo also kein Vorteil.

Ähnlich frustrierend das Resultat in der zweiten Studie: Der ADAS-cog-Wert verschlechterte sich mit der höchsten Dosierung (30 mg) sogar um 1,01 Punkte; nur 0,53 und 0,56 Punkte waren es jeweils mit 10 mg und Placebo. In der dritten Studie schnitten Patienten mit 60 mg Idalopirdin zwar etwas besser ab als unter Placebo – der ADAS-cog-Wert verschlechterte sich jeweils um 0,38 und 0,60 Punkte – doch auch hier war die Differenz nicht statistisch signifikant.

Nicht besser sah es bei sekundären Endpunkten wie der Funktion im Alltag oder dem klinischen Gesamteindruck aus – auch hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zu Placebo.

Immerhin erwies sich die Therapie als recht gut verträglich. Die Abbruchraten mit Placebo sowie 10 und 30 mg Idalopirdin lagen bei knapp 10 Prozent, mit der 60-mg-Dosierung etwas über 11 Prozent. Therapiebedingte Abbrüche wurden unter 60 mg/d bei 6–7 Prozent der Teilnehmer beobachtet, 5–6 Prozent waren es unter 30 mg/d und knapp über 4 Prozent mit der niedrigsten Dosierung. Unter Placebo lag dieser Anteil bei 3–5 Prozent.

Numerisch etwas häufiger als unter Placebo wurden mit Idalopirdin Stürze, Übelkeit und Erbrechen beobachtet.

Ende September 2017 waren bereits negative Top-Line-Resultate zu einem weiteren 5-HT6-Antagonisten veröffentlicht worden. Danach lässt sich die Kognition auch mit dem Wirkstoff Intepirdin bei Alzheimerpatienten nicht signifikant verbessern. Die selektive Serotonin-Rezeptor-Blockade dürfte damit als Alzheimertherapie vom Tisch sein.

Lesen Sie dazu auch: Aktuelle Studie: Diabetesmittel wirkt bei Mäusen mit Alzheimer-Symptomen

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