Große Langzeitstudie

Beeren-Liebhaber bleiben länger geistig fit

Begeistern sich Männer über Jahre hinweg für Gemüse und Obst, fühlen sie sich im Alter länger geistig auf Zack. Vor allem Salat, Tomaten, Beeren und Orangensaft gehen mit einem guten Gedächtnis einher.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Beeren haben womöglich einen kognitiven Schutzeffekt.

Beeren haben womöglich einen kognitiven Schutzeffekt.

© dkgilbey / Getty Images / iStock

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Erhalten Obst und Gemüse die geistige Leistung im Alter?

Antwort: Resultate einer großen Langzeitstudie sprechen dafür.

Bedeutung: Wer im mittleren Lebensalter viel Blattgemüse, Tomaten, Beeren und Orangensaft konsumiert, darf sich auf eine gute kognitive Leistung im Alter freuen.

Einschränkung: Trotz aller Adjustierungen bleibt unklar, ob ein hoher Obst- und Gemüsekonsum tatsächlich vor geistigem Abbau schützt oder nur einen Marker für einen gesunden Lebensstil darstellt; die Resultate gelten nur für Männer.

BOSTON. Ein gesunder Lebensstil – so viel ist aus unzähligen Studien klar geworden – kann die Demenzgefahr deutlich senken.

Zu einem solchen Lebensstil gehört neben viel Bewegung, wenig negativem Stress und dem Verzicht auf Tabak sowie ungesunde Mengen Alkohol auch eine hirngesunde Ernährung.

Wie diese genau aussehen soll und welchen Beitrag sie zur Demenzprävention leistet, ist nach wie vor umstritten, hauptsächlich, weil sich die einzelnen Lebensstilfaktoren nicht klar voneinander trennen lassen. Wer sich gesund ernährt, bewegt sich in der Regel auch mehr und führt insgesamt ein gesünderes Leben.

Bisherige epidemiologische Studien lieferten daher meist wenig glaubwürdige und teilweise widersprüchliche Resultate zur Bedeutung der Ernährung: Oft ist die Zahl der Teilnehmer zu gering für belastbare Aussagen, Ernährungsgewohnheiten werden nur ein einziges Mal eruiert oder die Nachbeobachtungszeit ist zu kurz.

Solche Schwachpunkte konnte eine große Langzeituntersuchung von Epidemiologien um Dr. Chang Zheng Yuan von der Harvard School of Public Health in Boston weitgehend ausräumen (Neurology 2018; 21. November). Sie zählt daher zu den etwas besseren ihrer Art.

28.000 Ärzte befragt

Das Team um Yuan hatte Angaben von knapp 28.000 Männern der Health Professionals Follow-up Study (HPFS) ausgewertet.

Alle Teilnehmer – das waren vorwiegend Ärzte – hatten zwischen 1986 und 2002 mehrfach einen umfassenden Ernährungsfragebogen ausgefüllt. Dabei sollten sie für 130 Lebensmittel angeben, wie häufig sie diese konsumieren.

Gefragt wurde dabei auch nach 24 Gemüse- und 13 Obstsorten sowie fünf Fruchtsaftvarianten. Die Forscher bekamen also ein relativ gutes Bild der qualitativen und quantitativen Ernährung. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer füllten den regelmäßig versandten Fragebogen fünfmal aus.

Die Forscher interessierten sich vor allem für den langfristigen Obst- und Gemüsekonsum und bildeten dazu Durchschnittswerte aus den einzelnen Erhebungen.

In den Jahren 2008 sowie 2012 fragten sie sämtliche Teilnehmer gezielt nach subjektiven kognitiven Beschwerden. Anhand von sechs Fragen berechneten sie einen Score, der die Teilnehmer in solche ohne, mit moderaten oder schwerwiegenden kognitiven Beschwerden aufteilte; auch hier wurden die Resultate beider Befragungen gemittelt.

Zu Beginn waren die Teilnehmer im Schnitt 51 Jahre alt, beim kognitiven Assessment 73 Jahre. 55 Prozent hatten dann noch keine subjektiven kognitiven Defizite, 38 Prozent moderate und sieben Prozent schwere.

Wie zu erwarten, hatten diejenigen mit Gedächtnisproblemen ein bis zwei Dekaden zuvor deutlich ungesünder gelebt als solche ohne: Sie hatten sich weniger bewegt, waren häufiger Raucher, hatten einen höheren Blutdruck, höhere Cholesterinwerte und öfter eine Diabetesdiagnose, zudem waren sie zu Beginn schon wesentlich älter.

Am stärksten differierte jedoch der Anteil der Depressiven: Dieser betrug 15 Prozent unter Teilnehmern, die später schwere subjektive kognitive Probleme entwickelten, sieben Prozent bei denen mit moderaten und nur knapp vier Prozent bei denen ohne kognitive Beschwerden.

Ein Drittel weniger ausgeprägte kognitive Probleme

Dagegen zeigten sich auf den ersten Blick kaum Unterschiede beim Obst- und Gemüsekonsum. Diese offenbarten sich erst, wurde das anfängliche Alter und die Gesamtkalorienaufnahme berücksichtigt.

Dann ließ sich für Teilnehmer im Quintil mit dem höchsten Gemüsekonsum eine um 38 Prozent reduzierte Rate für eine schlechte und eine um 22 Prozent reduzierte Rate für eine moderat beeinträchtigte kognitive Funktion berechnen.

In ähnlicher Weise waren die Raten im Quintil mit dem höchsten Obstkonsum um 21 Prozent und zwölf Prozent reduziert und im Quintil mit dem höchsten Fruchtsaftkonsum um 35 Prozent und 26 Prozent.

Berücksichtigen die Forscher sämtlich bekannten Begleitfaktoren, also etwa Rauchen, Bewegung, Alkoholkonsum, BMI, Blutdruck und Depressionen oder Herzkreislauferkrankungen, so änderte sich kaum etwas beim Zusammenhang von kognitiven Beschwerden und dem Gemüse- sowie Fruchtsaftkonsum, allerdings wurde die Assoziation mit dem Obstverzehr deutlich abgeschwächt.

Schauten die Wissenschaftler um Yuan einzelne Obst und Gemüsesorten an, deutete sich vor allem bei hohem Konsum von Blattgemüse, Karotinoid-reicher Nahrung und Beeren ein kognitiver Schutzeffekt an.

Bezogen auf einzelne Nahrungsmittel galt dies primär für Tomaten, Salat, Rosenkohl, Sprossen, Paprika, Honigmelonen und Erdbeeren, nicht hingegen für stärkereiches Gemüse, Zitrusfrüchten und die meisten Kohlsorten.

Protektiver Orangensaft

Nicht so gut ins Bild passt allerdings, dass Orangensaft wiederum besonders protektiv sein soll. Eine mögliche Erklärung sehen die Studienautoren in den Zeitebenen.

So ergab sich für den Gemüsekonsum ein Langzeiteffekt: Wer 22 bis 18 Jahre vor der kognitiven Evaluation viel Gemüse konsumiert hatte, entwickelte unabhängig von dem, was er später aß, kaum kognitive Probleme, dagegen schien Orangensaft vor allem dann protektiv zu wirken, wenn bei den letzten Ernährungsumfragen viel davon getrunken wurde.

Die Forscher vermuten, das Karotinoide wie ß-Cryptoxanthin aus Orangensaft vor allem das alternde Hirn schützen.

Wie immer bei solchen epidemiologischen Untersuchungen sind die kausalen Beziehungen unklar. Trotz aller Adjustierungen könnten auch andere Lebensstilfaktoren als die Ernährung dazu führen, dass Beerenfreunde und Orangensaftliebhaber im Alter weniger vergesslich sind.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren