INTERVIEW

"Gesunde Kost kann HbA1cum zwei Prozentpunkte senken"

Bei der Diabetes-Aufklärungsaktion "Gesünder unter 7" können sich Patienten und Interessierte heute und am Freitag im Rhein-Center in Köln-Weiden Informationen und Tips zu gesunder Ernährung bei Diabetes holen. Worauf es bei der Ernährung von Diabetikern ankommt, hat Professor Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung der "Ärzte Zeitung" erläutert. "Wichtig ist für Patienten eine professionelle Beratung und eine individuell angepaßte Diätumstellung", sagte er im Gespräch mit unserem Mitarbeiter Thomas Meißner.

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Professor Pfeiffer, bedeutet Diabetiker-Diät Verzicht und Ernährung aus dem Diabetiker-Regal?

Pfeiffer: Das ist völlig überholt. Eine gesunde Ernährung für Diabetiker unterscheidet sich heute nicht von Ernährungsempfehlungen für jedermann. Eigentlich handelt es sich weniger um eine Diät als um einen neuen Lebensstil mit Ernährungskomponenten.

Ärzte Zeitung: Welche Grundregeln sind dabei zu beachten?

Pfeiffer: Erstens soll der Fettanteil auf 30 Prozent der Energiezufuhr limitiert werden. Höchstens zehn Prozent des Fettes sollten gesättigte Fettsäuren sein wie sie in Wurst und Fleisch vorkommen. Denn gesättigte Fettsäuren erhöhen das LDL-Cholesterin und sind damit sehr ungünstig für die Gefäße. Die einfach ungesättigten Fettsäuren sollten zehn bis 15 Prozent der Fettzufuhr ausmachen plus zehn Prozent mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Die monoungesättigten Fettsäuren zum Beispiel finden sich im Olivenöl und Rapsöl, mehrfach ungesättigte Fettsäuren in den meisten Pflanzenölen. So etwas in der Praxis umzusetzen ist natürlich nicht ganz einfach. Deshalb ist es empfehlenswert, sich beraten zu lassen.

Zweitens sollte die Ernährung einen hohen Ballaststoffanteil haben, etwa 30 g pro Tag. Dies hatte in allen Studien einen eindeutig präventiven Effekt sowohl auf Diabetes mellitus wie auch auf Herzinfarkt- und Schlaganfallrate. Zwar streitet man sich noch über die Wirkmechanismen, aber der Effekt ist sicher. Zur Aufnahme empfehlenswert sind Cerealien, Vollkornmehl, Vollkornbrot, Hülsenfrüchte. Auch in Pflanzenhüllen von Obst und Gemüse sind viele Ballaststoffe enthalten. Fünfmal am Tag eine Handvoll Obst reduziert eindeutig kardiovaskuläre Ereignisse.

Ärzte Zeitung: Wie sieht es mit Kohlenhydraten und Eiweiß aus?

Pfeiffer: Kohlenhydrate sollten 40 bis 55 Prozent der Energiezufuhr ausmachen, Proteine 15 bis 30 Prozent. Allerdings rudert man hier gerade etwas zurück, weil Kohlenhydrate ja gerade bei Diabetikern den Blutzucker erhöhen. Der Kohlenhydrat-Anteil muß gut mit Insulin abgedeckt sein. Neuerdings neigt man doch mehr zu einer proteinreichen Ernährung. Denn Protein hat eine relativ starke Insulin-freisetzende Wirkung und geht nicht in die Kohlenhydrat-Bilanz mit ein. Das Protein sollte vorzugsweise aus Milchprodukten oder bestimmten Gemüsen kommen wie Erbsen, Bohnen, Linsen oder Sojaprodukten.

Ärzte Zeitung: Wie setzt man solche Empfehlungen dauerhaft um?

Pfeiffer: Eine Ernährungsberaterin sollte mit den Betroffenen besprechen, was sie gerne essen und ein individuelles und alltagstaugliches Konzept entwickeln. Sonst werden die Empfehlungen nicht befolgt.

Ärzte Zeitung: Was kann ein Diabetiker mit einer guten Ernährung erreichen?

Pfeiffer: Die Qualität der Blutzuckerkontrolle ist gerade bei Typ-1- Diabetikern eng mit der richtigen Ernährung verknüpft, insbesondere mit der Kohlenhydratmenge. Spezielle Diabetiker-Nahrungsmittel enthalten viel Fruktose, die ebenfalls in die Kohlenhydrat-Bilanz mit eingeht. Insofern besteht kein Nutzen im Vergleich zu üblichen Nahrungsmitteln. Deshalb lehnen wir und alle Fachgesellschaften spezielle Diabetiker-Nahrungsmittel ab. Frisch diagnostizierte Typ-2-Diabetiker können mit einer ausgewogenen Ernährung die Phase der Tabletten- und Insulinpflichtigkeit hinauszögern, vor allem wenn sie ihr Gewicht deutlich reduzieren. In der UKPD-Studie haben die Teilnehmer im ersten Vierteljahr den HbA1c nur mit Lebensstiländerungen um zwei Prozentpunkte gesenkt. Eine proteinreiche Ernährung mit viel monoungesättigten Fettsäuren und wenig Kohlenhydraten hat in kleinen Studien ebenfalls eine zweiprozentige HbA1c-Senkung ergeben, auch über längere Zeiträume.

Ärzte Zeitung: Die Inzidenz des Typ-2-Diabetes nimmt weltweit rasant zu. Glauben Sie, daß eine ausgewogene Ernährung primärpräventiv wirken könnte?

Pfeiffer: Ich denke schon. Wir wollen, im Rahmen der von Fachgesellschaften und Diabetikerverbänden getragenen Initiative "Nationales Aktionsforum Diabetes mellitus" (NAFDM), entsprechende Programme bei etwa 4000 Menschen testen. Der Ballaststoffanteil in normalen Nahrungsmitteln wie Nudeln und Brot müßte deutlich erhöht werden. Das ist leicht machbar. Allein durch Erhöhung des Ballaststoffanteils und durch Senken des Fettanteils könnte man womöglich die Diabetes-Inzidenz um ein paar Prozent senken. Wenn die Leute dann noch ein paar Kilogramm Gewicht verlören und sich mehr bewegten, wäre der Effekt ungleich stärker.



Heute und Morgen Aktionen in Köln

"Gesunde Ernährung - auch Diabetiker dürfen genießen" ist das Motto der Aktionstage von "Gesünder unter 7" in Köln. Heute und am Freitag, jeweils von 10 bis 20 Uhr, können sich Besucher des Rhein-Center in Köln-Weiden bei der von Sanofi-Aventis initiierten Aufklärung über Risikofaktoren und Therapien bei Diabetes informieren. Betroffene können zudem den HbA1c-Wert messen lassen.

Heute wird Fernsehkoch Rainer Mitze gesunde und schmackhafte Gerichte für Diabetiker zum Selberkochen vorstellen. Die "Ärzte Zeitung" unterstützt die Aktion als Medienpartner.

Am 1. und 2. Juni endet die diesjährige Aktion in Hamburg im Elbe-Einkaufszentrum. Am 1. Juni gibt es dort Torwandschießen mit Uwe Seeler, Dimo Wache, Michael Hackert.

Weitere Informationen unter www.gesuender-unter-7.de 

 



ZUR PERSON

Professor Andreas Pfeiffer leitet die Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist die Ernährung bei Diabetes und die Prävention von Diabetes durch Lebensstiländerungen.

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