Blutzuckerselbstmessung

Tacho für Diabetiker

Die Diabetes-Therapie ist im Wandel, regelmäßige Blutzuckermessungen gehören aber nach wie vor dazu. Wer von sehr engmaschigen Messungen bis hin zum kontinuierlichen Glukosemonitoring besonders profitiert, ist aber noch umstritten.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Die Blutzuckermessung ist bei Diabetes wichtig.

Die Blutzuckermessung ist bei Diabetes wichtig.

© evgenyb/fotolia.com

Sechs bis acht Millionen Menschen leiden in Deutschland an einem Diabetes. Zu 95 Prozent ist es ein Typ 2-Diabetes.

Dessen Behandlungsmaximen haben sich in den letzten Jahren geändert. Eine monomane Fixierung auf feste, für jeden Patienten identische HbA1c-Zielwerte ist out.

In dem neuen, gemeinsamen Positionspapier der europäischen und amerikanischen Diabetesgesellschaften EADS und ADA wird nicht einmal mehr ein HbA1c-Ziel genannt.

Hat sich durch den Wandel bei der Therapie auch der Stellenwert der Blutzuckermessung und des Blutzuckerselbstmanagements geändert? Nicht zum Negativen jedenfalls:

"Genauso wie ein Autofahrer zum Einhalten des Tempolimits einen Tacho benötigt, braucht der Diabetespatient die Blutzuckerselbstmessung als erste und direkte Rückmeldung. Sie unterstützt ihn nicht nur bei der medikamentösen Therapie, sondern auch bei diätetischen Maßnahmen", betont Professor Andreas Fritsche, Sprecher der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) von der Universität Tübingen.

1500 Teststreifen pro Jahr für Typ 1

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Die entscheidende Frage ist freilich, in welchem Umfang die Selbstmessungen nötig beziehungsweise erstattungsfähig sind. Beim Typ 1-Diabetes ist die Sachlage klar. Diese Patienten sind insulinpflichtig und dosieren ihr Medikament streng nach Blutzucker und Kalorienaufnahme.

Vier Messungen am Tag sind die Regel. "Bei jungen Menschen, bei Schwangeren und in bestimmten Lebenssituationen können es aber auch deutlich mehr sein", so Fritsche.

Mit anderen Worten: Knapp 1500 Teststreifen pro Jahr braucht praktisch jeder Typ 1-Diabetiker. Bei manchen sind es mehrere tausend. Die Krankenkassen erstatten das in der Regel anstandslos.

Etwas anders sieht es beim Typ 2-Diabetes aus. Auch hier gibt es Patienten, die ihr Insulin blutzuckeradaptiert spritzen und entsprechend ähnlich häufig messen wie Typ 1-Diabetiker. "Andere kommen dagegen mit 50 Messungen im Quartal aus, das kann man nicht über einen Kamm scheren", so Fritsche.

Derzeit sei es so, dass die Krankenkassen bei Teststreifen für Patienten, die Medikamente mit Hypoglykämiegefahr einsetzen, selten Probleme machten. Das betrifft in erster Linie Insulin und die Sulfonylharnstoffe.

Bei anderen Typ 2-Diabetikern ist die Erstattung der Teststreifen Ermessenssache. 50 Streifen pro Quartal sind meist kein Problem, aber es gibt Unterschiede zwischen den KV-Bezirken.

Mitunter werde von den Kassen nachgefragt, aber: "In der Regel bekommen Typ 2-Diabetiker ihre Teststreifen dann erstattet, wenn der Arzt das vernünftig begründen kann", so Fritsche.

Innerärztliche Uneinigkeit

Leider ist sich die Ärzteschaft beim Stellenwert der Blutzuckerselbstmessungen intern nicht völlig einig. Im Entwurf der Nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes taucht auf Initiative von Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft und Deutscher Gesellschaft für Allgemeinmedizin die Urinzuckermessung als Alternative zur Blutglukosemessung wieder auf. Die DDG hat das scharf kritisiert.

Die Erstattung der Teststreifen ist nicht das einzige Sorgenkind der deutschen Diabetologie. Auch bei den Messsystemen kriselt es. "Die Ärzte werden von Krankenkassen und KVen massiv dazu gedrängt, billige Systeme zu verordnen", sagt ein Sprecher des Verbands der Diagnostica-Industrie VDGH.

Das sei deswegen kritisch, weil die Gefahr von Defiziten beim Service und bei der Messgenauigkeit bestehe. Das könne letztlich auch die Patienten gefährden, warnt der VDGH.

Spannend sind derzeit die Diskussionen um die kontinuierliche Glukosemessung (CGM). Hier arbeitet das IQWiG im Moment an einer Stellungnahme. Die interessante Frage ist, welche Patienten vom CGM profitieren.

Viele Diabetesexperten betrachten das Verfahren vor allem bei Patienten mit Typ 1-Diabetes mit stark schwankenden Blutzuckerwerten und Unterzuckerungsproblematik als hilfreich. "Hier wird die Datenlage immer besser", so Fritsche.

Telemedizin wieder im Aufwind

Der Charme des CGM liegt unter anderem darin, dass es bei Patienten mit Insulinpumpe automatisierte Antworten des Systems erlaubt, die zu einer besseren Blutzuckereinstellung führen, ohne dass ständig manuell nachgesteuert werden muss. Das "automatisierte Pankreas" rückt damit in Reichweite.

So konnte in der ASPIRE-In-home Studie gezeigt werden, dass sich nächtliche Hypoglykämien bei einer sensorgestützten Pumpentherapie (zum Einsatz kam das MiniMed Veo-System von Medtronic) durch eine automatisierte Abschaltung der Pumpe verhindern lassen (N Engl J Med 2013; 369:224-232).

Ein mögliches Zukunftsszenario ist die Kopplung eines automatisierten Pankreas an eine telemedizinische Überwachung, wie das kürzlich für die künstliche Bauchspeicheldrüse MD-Logic demonstriert wurde.

Aber auch ohne künstliche Bauchspeicheldrüse hat die Diabetes-Telemedizin wieder etwas Aufwind bekommen - auch wenn eine reguläre Erstattung durch die GKV noch immer nicht in Sicht ist.

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