Neue Antidiabetika

Kardiale Risikoreduktion – der nächste Erfolg

Aus drei werden vier: Nach Empagliflozin, Liraglutid und Semaglutid ist nun auch für Canagliflozin bewiesen, dass sich damit nicht nur der Blutzucker senken, sondern auch die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse signifikant reduzieren lässt.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:

Dass es gelingen könnte, durch eine Behandlung mit blutzuckersenkenden Antidiabetika das bei Patienten mit Typ-2-Diabetes deutlich erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen substanziell zu reduzieren, galt lange Zeit als fraglich. Das änderte sich mit der im Jahr 2015 vorgestellten Studie EMPA-REG OUTCOME, in der der SGLT-2-Hemmer Empagliflozin bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko die kardiovaskuläre Mortalität signifikant verringerte.

In der LEADER- und SUSTAIN-6-Studie waren in der Folge auch die beiden GLP-1-Agonisten Liraglutid und Semaglutid in Sachen kardiovaskuläre Risikoreduktion erfolgreich. Die blutzuckersenkende Wirkung der drei neueren Antidiabetika scheint für den gezeigten prognostischen Nutzen ohne Bedeutung zu sein. Sie präsentieren sich damit als herzwirksame Medikamente ähnlich den Statinen, ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptorblockern.

Ein Trio wird zum Quartett

Mit Canagliflozin wird das Trio der nachweislich kardioprotektiver Antidiabetika nun zum Quartett erweitert. Den Eintritt in diesen erlesenen Kreis der Antidiabetika hat sich der SGLT2-Hemmer mit den Ergebnissen des CANVAS-Studienprogramms verschafft. Studienleiter Dr. Bruce Neal aus Sydney hat sie am 12. Juni bei der Jahrestagung der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft ADA in San Diego vorgestellt (NEJM 2017; online 12. Juni).

Das CANVAS-Programm besteht aus der 2009 gestarteten CANVAS-Studie und der 2014 initiierten CANVAS-R-Studie. Im Fokus der später begonnenen CANVAS-R-Studie standen mögliche renale Effekte (Progression der Albuminurie) von Canagliflozin. Auf Basis der Daten aus beiden Studien sollte die Wirkung auf kardiovaskuläre Ereignisse evaluiert werden. Insgesamt waren daran 10.142 Patienten mit Typ-2-Diabetes beteiligt, von denen 66 Prozent bereits eine vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen. Additiv zur Standardtherapie erhielten sie eine Behandlung mit Canagliflozin oder Placebo. Die Dauer der Nachbeobachtung betrug im Mittel rund 3,6 Jahre.

Signifikante Risikoreduktion durch Canagliflozin

Mit einer Kombination der Ereignisse kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall ist der primäre Studienendpunkt in CANVAS der gleiche wie in EMPA-REG-OUTCOME. Und ebenso wie durch Empagliflozin in EMPA-REG-OUTCOME wurde auch in CANVAS das relative Risiko für diesen kombinierten Endpunkt durch Canagliflozin signifikant um 14 Prozent im Vergleich zu Placebo reduziert (p = 0,02 für Überlegenheit). Entsprechende Ereignisse traten unter Placebo im Schnitt bei 31,5 Teilnehmern und unter Canagliflozin bei 26,9 Teilnehmern pro 1000 Patientenjahre auf.

Die Ereignisrate in CANVAS ist damit deutlich niedriger als in EMPA-REG-OUTCOME, wo sie bei 43,9 (Placebo) versus 37,4 (Empagliflozin) Ereignisse pro 1000 Patientenjahre lag. Grund dafür könnte sein, dass in EMPA-REG-OUTCOME praktisch alle Teilnehmer bereits kardiovaskulär vorerkrankt waren, in CANVAS dagegen nur zwei Drittel. Bei gleicher relativer Risikoreduktion für den primären Endpunkt ist damit der mit Canagliflozin erzielte absolute Nutzen in CANVAS zwangsläufig niedriger.

Damit nicht genug der Unterschiede. Während Empagliflozin bekanntlich die Rate für kardiovaskuläre Todesfälle signifikant reduzierte (relativ um 38 Prozent), war dies unter Canagliflozin nicht der Fall. Obwohl sich sowohl bei der kardiovaskulären Mortalität als auch bei Herzinfarkten und Schlaganfällen jeweils eine tendenzielle Abnahme unter Canagliflozin abzeichnete, erreichten die Unterschiede bei den drei Komponenten des primären Endpunktes jeweils keine Signifikanz.

Die Frage nach dem Klasseneffekt

Die Behandlung mit Canagliflozin war in der Studie auch mit einem niedrigeren Risiko für Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz, einer verringerten Progression der Albuminurie und einem niedrigeren Risiko für substanzielle Nierenfunktionsverluste (eGRF-Abfall um 40 Prozent) assoziiert. Auf Basis der in der Studie angewandten statistischen Testverfahren wurden diese Ergebnisse aber als "nicht signifikant" betrachtet.

Ein Klasseneffekt der SGLT2-Hemmer in puncto kardiovaskuläre Risikoreduktion lässt sich nach diesen Ergebnissen wohl noch nicht postulieren. Zwar scheint die identische relative Risikoreduktion für den primären Studienendpunkt dafür zu sprechen. Aufgrund der nicht sicher belegten Reduktion von kardiovaskulärer Mortalität und von durch Herzinsuffizienz verursachten Klinikeinweisungen durch Canagliflozin gibt es aber noch einige Fragezeichen.

Höheres Risiko für Amputationen

Das gilt auch im Hinblick auf das Risiko für Amputationen. Schon zuvor war bekannt geworden, dass Amputationen im Bereich der unteren Extremitäten (vorwiegend Zehen) in CANVAS zwar relativ selten, unter Canagliflozin aber etwa doppelt so häufig waren wie unter Placebo. Eine entsprechende Risikoerhöhung ist in Studien mit anderen SGLT2-Hemmern wie Dapagliflozin und Empagliflozin bisher nicht beobachtet worden, kann aber derzeit auch nicht ausgeschlossen werden. Die EMA bewertet nach einer vorgenommenen Risikobewertung das Nutzen/Risiko-Verhältnis der SGLT2-Hemmer – vorbehaltlich der Aufnahme entsprechender Warnhinweise zum Amputationsrisiko in die Produktinformation – weiterhin als positiv.

In Deutschland ist der Vertrieb von Canagliflozin schon vor einiger Zeit eingestellt worden. Grund war eine frühe Nutzenbewertung durch den GBA, deren Ergebnis – kein nachgewiesener Zusatznutzen – nicht den Erwartungen des Herstellers entsprach, der als Folge wohl Probleme bei den Preisverhandlungen mit Krankenkassen auf sich zukommen sah. Ob die neuen CANVAS-Daten die Chancen erhöhen, die Hürde Nutzenbewertung künftig erfolgreich zu nehmen und Canagliflozin eine Rückkehr auf den deutschen Markt ermöglichen, bleibt abzuwarten.

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