Diabetes bedroht Schwangere

Frauen im Fokus beim weltweiten Aktionstags

"Frauen und Diabetes" ist das Motto des diesjährigen Weltdiabetestages. Auch in Deutschland liegt hier vieles im Argen, wie die hohen Zuwächse bei Gestationsdiabetes belegen. Wichtig wären vor allem bessere Früherkennung und mehr Prävention.

Von Dr. Helmut Kleinwechter Veröffentlicht:
Frauen im Fokus des Weltdiabetestages: 60 Millionen der Patientinnen sind im gebährfähigen Alter.

Frauen im Fokus des Weltdiabetestages: 60 Millionen der Patientinnen sind im gebährfähigen Alter.

© RFBSIP / stock.adobe.com

Stellen Sie sich am 14. November ab 18.30 Uhr in 35 Meter Höhe auf die Plaza der Elbphilharmonie in Hamburg! Schauen Sie auf den Michel, der dann leuchtend blau angestrahlt wird. Das Hamburger Wahrzeichen ist Teil der weltweiten "Blue Monument Challenge" zum Weltdiabetestag.

Der Tag wurde 1991 von der WHO und der "International Diabetes Association (IDF)" eingerichtet und wird von der UN seit 2006 offiziell ausgerufen. In diesem Jahr heißt das weltweite Motto: "Frauen und Diabetes – unser Recht auf eine gesunde Zukunft".

Weltweit leben derzeit 199 Millionen Frauen mit Diabetes, für das Jahr 2040 werden es voraussichtlich 313 Millionen sein. Von den Frauen mit Diabetes sind 40 Prozent – 60 Millionen – im reproduktiven Alter. Frauen mit Typ-1-Diabetes haben erhöhte Risiken für Frühaborte und die Geburt eines Kindes mit einer großen Fehlbildung.

Diabetes steht global an neunter Stelle der Todesursachen bei Frauen, das sind 2,1 Millionen Todesfälle pro Jahr. Frauen mit Typ-2 Diabetes haben ein rund zehnmal höheres Risiko für eine koronare Herzkrankheit als Frauen ohne Diabetes.

Die IDF weist auf die immer noch bedrückende, weltweite Situation schwangerer Frauen mit erhöhten Blutzuckerwerten hin:

» Global liegt bei 14,3 Prozent der Geburten ein Gestationsdiabetes (GDM) vor.

» 2015 hatten 20,9 Millionen (16,2 Prozent) aller lebend geborenen Kinder eine Mutter mit irgendeiner Form der Hyperglykämie in der Schwangerschaft.

» Fast 50 Prozent der Frauen mit vormals bestehendem Gestationsdiabetes entwickeln binnen fünf bis zehn Jahren nach Geburt einen Typ-2 Diabetes.

» Die Hälfte der Fälle mit einer Hyperglykämie in der Schwangerschaft treten bei Frauen mit einem Alter unter 30 Jahren auf.

» Die Mehrzahl der Fälle von Hyperglykämie findet sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Familieneinkommen. In diesen Ländern ist oftmals der Zugang zur Schwangerenbetreuung limitiert oder fehlt ganz, die Säuglingssterblichkeit ohnehin hoch.

Situation in Deutschland

2016 hatten nach dem Qualitätsbericht Geburtshilfe rund 5,4 Prozent aller Neugeborenen in Deutschland eine Mutter mit GDM – 40.648 Fälle. Die Zahl ist in den letzten 15 Jahren um das 4,5-fache gestiegen. Pro Jahr nimmt der GDM in Deutschland seit 2014 jährlich um mehr als 14 Prozent zu.

Nach einer mehr als 20 Jahre dauernden Initiative der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) wurde 2012 ein generelles Screening auf GDM in die Mutterschaftsrichtlinien eingeführt. Allerdings hat der Gesetzgeber vor die Diagnostik mit dem 75-g oralen Glukosetoleranztest einen 50-g Suchtest vorgeschrieben, der als Diagnosetest nicht validiert ist. So werden 20 bis 30 Prozent der Fälle mit GDM übersehen. Das hätte man besser entscheiden können!

Beim präkonzeptionell bekannten Diabetes finden sich zunehmend Frauen mit Typ-2-Diabetes. Erhebungen aus England und Frankreich belegen, dass der Typ-2-Diabetes hier die 50-Prozent-Marke bereits überschritten hat. Daten aus unserem Land liegen nicht vor.

Ursache ist ein zunehmend hoher BMI. 2016 waren bei uns 14,2 Prozent der Schwangeren adipös, 15,4 Prozent haben mehr als 30 Prozent ihres Ausgangsgewichtes zugenommen und 9,5 Prozent aller Neugeborenen wogen mehr als 4500 g. Ein bekannter Diabetes lag bei 6745 Schwangeren vor. Typ-2-Diabetes bei Schwangeren hat nicht selten einen GDM als Vorgeschichte.

Schlüsselfiguren für gesunden Lebensstil

Deutschland gehört zu den wirtschaftlich stärksten Nationen mit ausgezeichnetem Gesundheitssystem und perinataler Mortalität unter 0,5 Prozent. Trotzdem knickt die Gesundheitspolitik vor den Lobbyisten der Nahrungsmittelindustrie ein. Die DDG fordert seit langem die Nahrungsmittelkennzeichnung nach dem Ampelsystem, das Verbot von Zuckerwerbung und die Etablierung von Bewegungsprogrammen zur Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen.

Frauen und Mädchen sind die Schlüsselfiguren für die Übernahme eines gesunden Lebensstils und für die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden jetziger und künftiger Generationen. Mütter sind die Hüter der Ernährung im Haushalt und Vorbilder für Lebensstil-Gewohnheiten. Was muss getan werden?

» 70 Prozent der Fälle von Typ-2- Diabetes können durch Prävention verhindert werden, das betrifft Ernährung und Gesundheitsverhalten vor und nach der Schwangerschaft genauso wie die Ernährung der Neugeborenen durch Stillen und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter.

» Junge Frauen mit Diabetes sollen über sichere Kontrazeption aufgeklärt werden, um ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden.

» In der Schwangerschaft sollen bisher unerkannte Diabetesfälle früh entdeckt, rechtzeitig zur GDM-Diagnostik ein einzeitiger 75-g-oGTT eingesetzt und die Nachsorge organisiert werden.

» Frauen mit bekanntem Diabetes sollen Zugang zu präkonzeptioneller Beratung haben, und es sollen ihnen alle Möglichkeiten der Diabetestherapie nach aktueller Evidenz ohne Hindernisse zur Verfügung gestellt werden.

» Alle Schwangeren mit einer Hyperglykämie sollen von diabetologisch qualifizierten Ärzten und deren Teams betreut werden.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe formuliert in seinem Grußwort zum Weltdiabetestag 2017: "Die Stärkung der Prävention und die bestmögliche Versorgung des Diabetes ist eine gesundheitspolitische Herausforderung ersten Ranges" (https://www.diabetesde.org/grusswort-weltdiabetestag-2017). Nehmen wir ihn beim Wort!

Dr. Helmut Kleinwechter ist Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe, war von 1993 bis 2017 Leiter einer Diabetes-Schwerpunktpraxis in Kiel und ist aktuell als Gerichtsgutachter und in der diabetologischen Fortbildung tätig.

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