Gesundheitsbericht Diabetes 2018

Herzkranke Diabetiker – Das ist jetzt anders

Drei von vier Diabetes-Patienten sterben an kardio- und zerebrovaskulären Ereignissen. Dagegen kann etwas getan werden.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Gesunde Gefäße: Eine gute Blutzuckereinstellung ist bei Diabetikern nicht alles, um Herzinfarkten und Schlaganfällen vorzubeugen.

Gesunde Gefäße: Eine gute Blutzuckereinstellung ist bei Diabetikern nicht alles, um Herzinfarkten und Schlaganfällen vorzubeugen.

© Getty Images

Die Koexistenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus ist der Prognose nicht zuträglich. Können Ärzte und Patienten sowie jene, die politische Rahmenbedingungen setzen, etwas dagegen tun, dass drei von vier Diabetes-Patienten an Herzinfarkt, Schlaganfall oder anderen Erkrankungen des Herz- und Gefäßsystems sterben? Die Antwort im "Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2018" lautet "Ja"!

Aus ärztlicher Perspektive haben sich zwei wesentliche Dinge verändert: das klinische Erscheinungsbild des herzkranken Diabetikers und das Vorhandensein prognostisch relevanter Therapieoptionen. "Früher ging es im Wesentlichen um die koronare Herzkrankheit, heute treten Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern in den Vordergrund", schreibt Professor Diethelm Tschöpe vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen an der Ruhr-Universität Bochum in dem Bericht.

So ist die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Herztodes bei reduzierter Ejektionsfraktion des linken Ventrikels hoch. Je höher der HbA1c-Wert, desto schlechter die klinische Prognose. Und es gibt einen linearen Zusammenhang zwischen HbA1c und Risiko von Vorhofflimmern (VHF).

Doch eine gute Blutzuckereinstellung ist nicht alles. Selbst bei optimalem HbA1c treten bei Diabetes-Patienten gehäuft Herzinfarkte und Schlaganfälle auf. Da ist es eine gute Nachricht, dass sich die Palette von Antidiabetika mit günstigen pleiotropen Effekten erweitert hat. Zusätzlich gilt es, sich anbahnende Herz-Kreislaufprobleme rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zeitnah antihypertensiv, antikoagulatorisch und/oder lipidsenkend zu reagieren. In einer idealen Welt soll das alles möglichst innerhalb eines Netzwerkes miteinander kommunizierender Primärärzte und Spezialisten geschehen.

Empfohlene Einzelmaßnahmen

Doch der Reihe nach. Sowohl die US-amerikanische (American Diabetes Association, ADA) als auch die europäische Diabetesvereinigung EASD fordern für die meisten Patienten mit Typ-2-Diabetes ein HbA1c-Ziel von unter 7 Prozent. Den HbA1c aggressiv auf unter 6,5 Prozent zu drücken, bringe kurzfristig keinen Überlebensvorteil, schreibt Tschöpe. "Günstige Effekte der strikten Glukoseeinstellung sind erst nach längerem Zeitraum zu erwarten."

Mit Gliflozinen (SGLT-2-Hemmer) wie Empagliflozin und Canagliflozin ist es gelungen nachzuweisen, dass sich mit ihnen prognostisch relevante Ereignisse wie nichttödliche Herz- und Hirninfarkte sowie kardiovaskuläre Todesfälle im Vergleich zu bisherigen antidiabetischen Therapien verhindern lassen. Aus den Einzelstudien sowie aus einer Registeranalyse geht hervor, dass es sich um einen Klasseneffekt handelt, wenngleich er pathophysiologisch noch nicht gut erklärt werden kann.

Ebenso ist für den GLP-1-Rezeptor-Agonisten Liraglutid eine verbesserte kardiovaskuläre Prognose und Reduktion der Gesamtmortalität beobachtet worden. Biochemisch lässt sich dies mit günstigen Effekten auf das Myokard begründen. Auch Metformin wirkt ja kardiovaskulär protektiv – es darf jetzt selbst bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer GFR (glomeruläre Filtrationsrate) von bis zu 30 ml/min eingesetzt werden.

Angesichts der zunehmend häufigen Verordnung von Gliflozinen muss jedem verordnenden Arzt allerdings das zwar seltene, aber potenziell fatale Phänomen einer euglykämischen Ketoazidose bekannt sein, betont Tschöpe. Gut zu überlegen sei zudem die Wahl der Antidiabetika bei Herzinsuffizienz-Patienten mit Diabetes: Glitazone sind kontraindiziert, Metformin muss bei kardialer Dekompensation abgesetzt werden.

"Die Herzinsuffizienz sollte parallel zum Stoffwechselproblem behandelt werden, damit der diuretische Effekt hoher Glukosegehalte unterhalb der Nierenschwelle ausgeglichen wird." Und: "Sulfonylharnstoffe und Mischinsuline schneiden schlechter ab als DPP-4- und SGLT-2-Inhibitoren."

Blutdruck und Lipid-Management

Zweitens Blutdruck: Bereits bei einem Blutdruck über 120/80 mmHg sollen die Natriumzufuhr gesenkt, die Kaliumzufuhr gesteigert sowie körperliche Bewegung und allenfalls moderater Alkoholkonsum empfohlen werden, so die ADA. Denn bereits diese Patienten sind kardiovaskulär gefährdet. Bei Übergewicht ist selbstredend die Gewichtsreduktion anzustreben. Zusätzlich zu Lebensstil-Interventionen ist bei allen Diabetes-Patienten mit einem bestätigten Blutdruck von über 140/90 mmHg die antihypertensive Medikation angezeigt, für jene mit über 160/100 mmHg bereits initial eine antihypertensive Zweierkombination (Diab Care 2017; 40 (Suppl 1): S75-S87).

Drittens Lipid-Management: Patienten mit Typ-2-Diabetes haben überdurchschnittlich oft Fettstoffwechselstörungen. Intensivierte Lebensstilinterventionen empfiehlt die ADA bei Triglyceridspiegeln von über 150 mg/dl sowie bei niedrigem HDL (Männer unter 40 mg/dl, Frauen unter 50 mg/dl). Wenn bei unter 40-Jährigen zusätzliche kardiovaskuläre Risiken vorliegen, kann frühzeitig die Statintherapie erwogen werden, ab 40 Jahre empfiehlt die ADA dies Diabetes-Patienten auch ohne Vorliegen weiterer Risiken.

"Neue PCSK9-Inhibitoren zur Therapie der Dyslipoproteinämie haben das Potenzial, den LDL-Wert um 50 bis 70 Prozent unabhängig vom Ausgangswert zu senken", erklärt Tschöpe im Gesundheitsbericht. Damit erscheine der bei Diabetikern mit Herzkreislaufproblemen vorgeschlagene LDL-Zielwert von unter 70 mg/dl erreichbar. Da dies auch ein Kostenproblem ist, laufen derzeit Studien, aus denen ein angemessener Indikationsalgorithmus resultieren soll.

Antikoagulation bei VHF

Zu Plättchenhemmung und Antikoagulation sagt Tschöpe: "Vorhofflimmern ist ein starker Prädiktor für die kardiovaskuläre Prognose von Typ-2-Diabetikern." Der Diabetologe fordert dazu auf, bereits im Vorfeld struktureller Herzerkrankungen sowie bei klinischem Verdacht Diabetes-Patienten gezielt nach dem Vorliegen von VHF zu untersuchen.

Die Antikoagulation bei chronischem oder intermittierendem VHF zähle bei ihnen neben der Blutdruckeinstellung zu den "wirksamsten Maßnahmen der Schlaganfallprävention". Bei manchen Patienten könne die elektrische Stabilisierung des Herzens mit resynchronisierenden und/ oder katheterablativen Maßnahmen erwogen werden. Bei KHK und Diabetes erfolgt die Plättchenhemmung nach EASD-Leitlinie mit 75 bis 160 mg Acetylsalicylsäure täglich.

Warum dies alles so wichtig ist, ergibt sich aus den ultrastrukturellen und funktionellen Schädigungsmechanismen. Lässt man das Gefäßsystem einmal außer Acht, so kennzeichnen vier Dinge das Diabetikerherz.

Das sind die vier Kennzeichen eines Diabetikerherzens

  • Relativer Energiemangel trotz Hyperglykämie, weil der Substratfluss nicht ausreichend an den jeweiligen Bedarf angepasst werden kann. Es sammeln sich Lipid- und Glukosestoffwechselprodukte an.
  • Gewebeumbau, der durch koronarsklerotische Veränderungen und durch die nun weiter verschlechterte Energieausbeute beschleunigt wird.
  • Eine autonome Neuropathie macht das Herz anfällig für Rhythmusstörungen. Die Patienten nehmen Warnsymptome nur eingeschränkt wahr.
  • Eingeschränkte hämodynamische Leistungsfähigkeit.

Zum relativen Energiemangel kommt es laut Tschöpe deshalb, weil der Substratfluss nicht ausreichend an den jeweiligen Bedarf angepasst werden kann. Es sammeln sich Lipid- und Glukosestoffwechselprodukte an, die die Energiebilanz weiter verschlechtern. Dies führt zum Umbau myokardialen Gewebes, befeuert durch koronarsklerotische Veränderungen und beschleunigt durch die nun konsekutiv weiter verschlechterte Energieausbeute, etwa aufgrund inflammatorischer Prozesse und Störungen des Substrattransports.

Die kardiale Neuropathie macht das Herz anfällig für Rhythmusstörungen, und die Patienten nehmen Warnsymptome, etwa eines drohenden Herzinfarktes, eingeschränkt wahr – Stichwort "stummer Infarkt". Schließlich schränkt der Umbau des Herzens die hämodynamische Leistung ein. "Blutgerinnsel lösen das eigentliche Infarktereignis aus, was durch Glukosespitzen gefördert wird", erklärt Tschöpe.

Komplexe Interaktion

Aus der gestörten Pumpfunktion entwickelt sich schließlich die Herzinsuffizienz, von der vermutlich deutlich mehr als die bisher angenommenen 40 Prozent der Typ-2-Diabetes-Patienten betroffen sind. In der PARADIGM-HF-Studie hatten drei von vier Herzinsuffizienzpatienten im NYHA-Stadium III und IV eine gestörte Glukoseregulation, die Hälfte hatte bereits einen manifesten Diabetes. Auch für Typ-1-Diabetiker stelle die Herzinsuffizienz "ein Kardinalproblem" dar, betont Tschöpe unter Verweis auf das Schwedische Diabetesregister.

Die diastolische Dysfunktion mit erhaltener linksventrikulärer Auswurfleistung fällt klinisch zunächst nicht auf. Echokardiographie, Bestimmung von NT-proBNP und invasive Hämodynamik-Messungen ermöglichen die frühe Diagnose. Die vegetative Aktivität des Herzens kann mit dem 12-Kanal-Ruhe-EKG erfasst werden. "Dabei sollte vor allem nach Anzeichen der Ischämie gefahndet werden." Weiter schreibt der Bochumer Diabetologe: "Langzeit-EKG, Echokardiographie und Belastungsuntersuchungen ergänzen die Diagnostik. Dabei können auch Herzfrequenz und Herzfrequenzvariabilität zur Abklärung einer kardialen autonomen Neuropathie bestimmt werden."

Schließlich ist noch auf die häufige Koexistenz von Herzinsuffizienz und Atemstörungen hinzuweisen: Beim metabolischen Syndrom tritt oft ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom auf. Dieses fördert wiederum Insulinresistenz und Diabetes mellitus, es werden Stresshormone ausgeschüttet, womit sich alle genannten Pathomechanismen erneut verstärken.

Fazit: Diabetes und Herzkrankheiten interagieren in komplexer Weise miteinander. Frühe Diagnostik vorausgesetzt, lässt sich jedoch mit Lebensstilmodifikationen und medikamentösen Maßnahmen einiges erreichen.

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