Pränatale Diagnostik

Kind mit Prüfsiegel? Trisomie-Bluttest könnte Präzedenzfall werden

Der GBA soll entscheiden, ob der Bluttest auf Trisomie 21 Kassenleistung wird. Politiker fordern eine Gesellschaftsdebatte.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Blutabnahme bei einer Schwangeren: Wie weit sollen Tests auf genetische Störungen gehen?

Blutabnahme bei einer Schwangeren: Wie weit sollen Tests auf genetische Störungen gehen?

© Astroid / fotolia.com

KÖLN. Deutschland braucht eine gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit dem Risiko, dass Kinder mit Behinderungen oder Krankheiten auf die Welt kommen. Das fordert der Präsident der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo), Rudolf Henke. Eine Frage wird sich aus seiner Sicht nicht mehr lange ignorieren lassen: "Wollen wir weiterhin eine unbeeinflusste und natürliche Fortpflanzung — oder wollen wir in Zukunft das qualitätsgesicherte Kind?", sagt er der "Ärzte Zeitung".

Der CDU-Politiker Henke ist einer von zehn Bundestagsabgeordneten, die ein Positionspapier "Vorgeburtliche Bluttests – wie weit wollen wir gehen?" unterzeichnet haben. Angesichts der im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anstehenden Entscheidung, ob der Bluttest auf Trisomie 21 Kassenleistung werden soll, machen sich die Abgeordneten aus allen Fraktionen außer der AfD für eine parlamentarische Debatte stark. Sie werben zurzeit in ihren Fraktionen um Unterstützung.

Angesichts der vielen moralischen und ethischen Implikationen kann das Thema nach Ansicht der Abgeordneten, zu denen auch die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gehört, nicht allein dem GBA überlassen werden. "Er kann die Frage nicht abschließend entscheiden, ohne zu wissen, wie sich die Politik und die Gesellschaft positionieren", sagt Henke. Das IQWiG hatte im Juni den Bluttest als zuverlässig zur Bestimmung von Trisomie 21 bewertet.

Der Umgang mit vorgeburtlichen Bluttests eignet sich nach seiner Ansicht gut für die im Koalitionsvertrag von Union und SPD vorgesehenen Orientierungsdebatten ohne Fraktionszwang und -absprachen. "Wir müssen das Thema einmal grundsätzlich diskutieren, nicht nur mit Blick auf eine bestimmte Indikation oder einen konkreten Test."

Bei den zehn Abgeordneten scheint es eine Mehrheit dafür zu geben, den Bluttest auf Trisomie 21 zu unterbinden. Ganz verhindern will Henke den Test nicht: "Zumindest wenn mit dem Test eine Amniozentese vermieden werden kann, darf man ihn den Frauen nicht vorenthalten." Schließlich sei die Fruchtwasseruntersuchung mit dem Risiko von Fehlgeburten verbunden.

Ganz klar ist für Henke aber auch: "Ich will keinen Reihentest auf Trisomie 21." Der Bluttest dürfe nicht zum Teil der normalen Schwangerschaftsvorsorge werden. Auch muss nach seiner Ansicht geklärt werden, ob er wirklich die Amniozentese ersetzen kann.

Die von ihm für notwendig gehaltene ethische Debatte geht weit über solche Fragestellungen hinaus. Die Gesellschaft müsse sich im Klaren darüber werden, ob es zum Normalfall werden soll, dass während der Schwangerschaft der Fötus auf genetische Störungen getestet wird. "Es ist klar, dass es nicht bei dem Trisomie-Test bleiben wird." Weitere Tests seien bereits in der Pipeline.

"Wir könnten in eine Situation kommen, in der alle vorgeburtlich vermessen werden", warnt Henke. Die aus seiner Sicht nicht wünschenswerte Folge wäre, dass Frauen – auch unter Verweis auf Kostenaspekte – in Erklärungsnot kommen, weil sie sich für die Geburt eines "nicht geprüften" Kindes entscheiden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Pränataldiagnostik: Diskussion ist notwendig

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