HINTERGRUND

Von einer Karotis-Op profitieren mehr Patienten als bisher gedacht - aber nur, wenn rasch operiert wird

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:

Ob Patienten mit symptomatischer Karotis-Stenose von einer Endarteriektomie profitieren, hängt wesentlich vom Grad der Stenose ab. Aber eben nicht nur davon. Denn ebenso müssen auch die Zeit berücksichtigt werden, die seit dem ischämischen Ereignis verstrichen ist, sowie Alter und Geschlecht der Patienten.

Daten von zwei großen Studien wurden erneut analysiert

Das betonen jetzt Wissenschaftler um Dr. Peter Rothwell aus Oxford in Großbritannien, nachdem sie die Daten der 5893 Patienten der Studien ECST (European Carotid Surgery Trial) und NASCET (North American Symptomatic Carotid Endarterectomy Trial) zusammengeführt und neu bewertet (Lancet 363, 2004, 915) haben. Die beiden Studien hatten ja ergeben, daß der Nutzen einer Endarteriektomie bei hochgradiger, über 70prozentiger Stenose, am größten ist. "Patienten mit 50- bis 69prozentiger Stenose profitierten zwar auch statistisch signifikant, aber deutlich weniger als Patienten mit hochgradigen Stenosen, so daß die Operation für diese Patienten nicht generell empfohlen werden kann", so Dr. Markus Busch aus der Klinik für Neurologie der Charité in Berlin.

Nach ihrer neuen Analyse plädieren Rothwell und seine Kollegen jetzt für eine möglichst frühe Intervention bei symptomatischer Karotis-Stenose - und zwar auch bei Patienten mit nur 50- bis 69prozentiger Stenose. Erfolge der Eingriff innerhalb von zwei Wochen, müßten nur fünf Patienten mit einer mindestens 50prozentigen Karotis-Stenose operiert werden, damit ein Schlaganfall verhindert werde, berichten sie. Erfolge er aber erst nach über zwölf Wochen, müßten 125 Patienten operiert werden.

Für Patienten mit über 70prozentiger Stenose ist dabei der Nutzen einer Op auch in der neuen Analyse deutlich am größten: Für sie ist das perioperative Risiko (Schlaganfall oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach der Op) bei einem Eingriff innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem ischämischen Ereignis um 30 Prozentpunkte geringer als das Risiko, bei reiner Pharmakotherapie innerhalb von fünf Jahren einen ipsilateralen Schlaganfall zu bekommen. Wird erst in der dritten und vierten Woche operiert, ist das Risiko noch immer um 18 Prozentpunkte geringer.

Aber auch bei nur 50- bis 69prozentiger Stenose gibt es entgegen bisheriger Daten Patienten, die klinisch bedeutsam von einer Endarteriektomie profitieren, nämlich diejenigen, die innerhalb von zwei Wochen operiert werden. Sie haben bei Operation ein um 15 Prozentpunkte geringeres Risiko als bei Pharmakotherapie. Nach zwei Wochen ist aber der Nutzen bei einer Differenz von maximal drei Prozentpunkten klinisch nicht mehr bedeutsam. Nach diesem Zeitpunkt schadet die Op bei 50-bis 69prozentiger Stenose also möglicherweise mehr, als daß sie nützt.

Vor allem Männern und älteren Patienten nützt die Op

Die neue Datenanalyse stützt auch bisherige Beobachtungen, daß vor allem Männer von einer Endarteriektomie profitieren und ältere Patienten mehr als jüngere.

"Die Tatsache, daß jetzt zusätzlich zum Stenosegrad drei signifikante Einflußgrößen auf das Benefit einer Endarteriektomie definiert worden sind, wird uns im klinischen Alltag großen Nutzen bringen", so Busch. "Wenn wir jetzt bei Patienten mit mittelgradigen Stenosen eine Operation in Betracht ziehen, dann nur bei denen, die früh kommen."

Bei bleibendem neurologischen Defizit sofort in die Klinik!

Generell sollten alle Patienten mit symptomatischer Karotis-Stenose und andauernden neurologischen Defiziten oder unklarer Diagnose sofort stationär eingewiesen werden, erinnert Busch. Bei Patienten ohne neurologische Defizite und mit typischer TIA-Anamnese rät er Hausärzten, sofort auch die Karotis mit Ultraschall zu untersuchen oder untersuchen zu lassen, falls das ohne Zeitverzögerung am gleichen Tag möglich ist. Typische TIA-Patienten seien etwa diejenigen, "bei denen morgens beim Rasieren am Spiegel der Mundwinkel hängt und auf der gleichen Seite der Arm taub oder kraftlos wird - und nach fünf Minuten ist wieder alles in Ordnung".

Gibt es Hinweise auf eine Karotis-Stenose, sollten die Patienten sofort stationär eingewiesen werden. Gleiches gilt, wenn die Ultraschall-Untersuchung nicht gleich gemacht werden kann. "Die Patienten sollten nicht erst zum ambulanten Neurologen überwiesen werden", betont Busch. "Das verzögert aus Termingründen oft unnötig!"

Ergibt bei klinisch stabilen Patienten der Ultraschall keinen auffälligen Befund und ist auch das Ekg unauffällig, kommt für Busch auch eine weitere ambulante Diagnostik in Frage. Dabei müsse aber gewährleistet sein, daß die Untersuchungen (etwa Echo, Langzeit-Ekg, Langzeit-Blutdruckmonitoring, Labor, Bildgebung) in wenigen Tage abgeschlossen sind.

Mehr zum Thema

Möglicher Langzeiteffekt bei älteren Frauen

Supplementation von Calcium und Vitamin D könnte Krebsmortalität senken

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken