Duale Plättchenhemmung - kein Maßanzug für jeden Risikopatienten

Charisma bedeutet starke Ausstrahlungskraft. Im Falle der CHARISMA-Studie dürfte die Ausstrahlungskraft ihrer Ergebnisse auf die Praxis jedoch schwächer als erwartet sein. Denn das Ziel, die doppelte Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel als neues globales Therapiekonzept für Gefäßpatienten zu etablieren, ist nicht erreicht worden. Als Fehlschlag wollen ihre Initiatoren die Studie dennoch nicht verstanden wissen. Nach ihrer Ansicht liefern die CHARISMA-Daten wichtige Fingerzeige darauf, welche Patienten mit stabiler Gefäßerkrankung von einer zusätzlichen Behandlung mit Clopidogrel profitieren könnten.

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Peter Overbeck

Zu Verhinderung ischämischer Ereignisse bei Patienten mit Gefäßerkrankungen hat sich die Hemmung der Thrombozytenfunktion bewährt. Acetylsalicylsäure (ASS) ist deshalb seit langem fester Bestandteil der Basistherapie bei vaskulären Erkrankungen.

Clopidogrel hemmt die Thrombozytenaktivität auf anderem Wege als ASS. Am Beginn der klinischen Erforschung dieses Plättchenhemmers stand mit CAPRIE eine große Studie, die ähnlich global angelegt war wie die aktuelle CHARISMA-Studie. Es ging um den klinischen Nutzen von Clopidogrel und ASS bei einem breiten Spektrum von Patienten mit atherothrombotischen Gefäßerkrankungen - nicht in der Kombination, sondern als Monotherapien, die im direkten Vergleich aneinander gemessen wurden.

Clopidogrel erwies sich in CAPRIE als die Substanz, die in der Sekundärprävention die Inzidenz ischämischer Komplikationen signifikant stärker reduzierte - besonders bei Patienten mit sehr hohem Risiko. Dennoch ging man im Praxisalltag nicht gleich daran, alle Patienten von ASS auf Clopidogrel umzustellen. Grund dafür war nicht zuletzt der Kostenvorteil von ASS. Experten empfahlen die Behandlung mit Clopidogrel aufgrund seines Wirkungsvorteils vor allem bei Patienten mit besonders hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.

Im übrigen wurde schnell klar, daß die Frage der optimalen Plättchenhemmung nicht nach dem Entweder-oder-Prinzip entschieden wird. So machte man die Erfahrung, daß sich nach Stent-Implantation durch die Kombination von ASS mit einem ADP-Hemmer - anfangs Ticlopidin, das dann durch das besser verträgliche Clopidogrel ersetzt wurde - akute und subakute Stent-Thrombosen effektiv verhindern ließen.

Erfolg mit Clopidogrel bei akutem Koronarsyndrom und Herzinfarkt

Es folgten vier große Studien, in denen das Konzept der dualen Plättchenhemmung seine Prüfung bei bestimmten Hochrisiko-Gruppen zu bestehen hatte. In der CURE-Studie wurde die Rate kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ohne ST-Streckenhebung) durch eine bis zu 12monatige Zusatzbehandlung mit Clopidogrel signifikant um 20 Prozent gesenkt. In der CREDO-Studie erwies sich eine entsprechende Behandlung auch nach elektiver Koronarintervention mit Stent-Implantation als vorteilhaft.

CLARITY und COMMIT als jüngste Studien lieferten Belege dafür, daß eine Zusatztherapie mit Clopidogrel beim akuten ST-Hebungs-Myokardinfarkt - auch in Kombination mit einer Lyse-Therapie - die Prognose der Patienten verbessert. So dokumentieren die Daten der COMMIT-Studie auch eine signifikante Reduktion der Gesamtsterblichkeitsrate.

Als neue Zielsetzung für die weitere Forschung lag nun natürlich nahe, die duale Plättchenhemmung - ähnlich wie am Anfang die Monotherapie in CAPRIE - unter globalem Aspekt zu untersuchen. In der CHARISMA-Studie ging man dabei noch einen Schritt weiter: Außer Patienten mit dokumentierter koronarer, zerebraler und peripherer Gefäßerkrankung (ca. 80 Prozent) sind für diese Studie auch Patienten ohne vaskuläre Erkrankung, aber mit multiplen Risikofaktoren (ca. 20 Prozent), rekrutiert worden.

Insgesamt 15 603 Patienten, die alle ASS in niedriger Dosierung (75 - 162 mg / Tag) erhielten, sind im Median 28 Monate lang zusätzlich mit Clopidogrel (75 mg / Tag) oder Placebo behandelt worden. In der Rate für den primären Wirksamkeitsendpunkt (Myokardinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingter Tod) bestand am Ende kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Behandlungsgruppen (6,8 versus 7,3 Prozent).

Beim wichtigsten sekundären Endpunkt (primäre Endpunktereignisse plus Klinikeinweisung wegen ischämischer Ereignisse) verbuchte die Kombination der Plättchenhemmer dagegen einen signifikanten Vorteil (16,7 versus 17,9 Prozent; relative Risikoreduktion: 18 Prozent).

Wie Studienleiter Dr. Deepak Bhatt berichtete, setzt sich das neutrale Hauptergebnis aus divergierenden Resultaten in den zwei wichtigsten Subgruppen zusammen. Bei Patienten ohne erkennbare Gefäßschäden, die allein aufgrund von multiplen Risikofaktoren in die Studie kamen, spiegelte sich im primären Endpunkt ein tendenziell ungünstiger Effekt der intensiveren Plättchenhemmung wider (6,6 versus 5,5 Prozent).

Bei den 12 153 Patienten mit manifester Gefäßerkrankung hatte die - in diesem Fall sekundärpräventive - Behandlung mit Clopidogrel und ASS dagegen einen signifikant günstigen Effekt auf die Rate primärer Endpunktereignisse (6,9 versus 7,9 Prozent). Die Risikoreduktion betrug 12 Prozent.

Die Rate schwerwiegender (einschließlich intrakranieller) Blutungen war in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich. Weniger schwere Blutungen wurden dagegen bei Patienten mit plättchenhemmender Kombinationstherapie signifikant häufiger beobachtet.

Was sind die Schlußfolgerungen aus diesen Ergebnissen? Einige Experten sehen den Erkenntnisgewinn aus CHARISMA mit Hinweis auf das neutrale Ergebnis beim primären Endpunkt einzig und allein darin, daß die gestellte Frage, ob die Strategie der intensiveren Plättchenhemmung im gewählten Patientenkollektiv von Nutzen sei, mit einem Nein beantwortet wurde. Mehr nicht.

Wer trotzdem die Studiendaten nach einem möglichen Nutzen in einzelnen Untergruppen durchforstet, begebe sich auf ein gefährliches analytische Glatteis. Herauskommen könnten dabei bestenfalls Hypothesen als Ausgangsfragen für neue Studien.

Ganz so sieht Studienleiter Bhatt die Dinge nicht. Er plädierte dafür, "das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten". Denn immerhin hätten sich in der Subgruppe der mehr als 12 000 Patienten mit manifester Gefäßerkrankung klare Indizien dafür ergeben, daß die zusätzliche Gabe von Clopidogrel in der Sekundärprävention von signifikantem Vorteil sein könne.

Bhatt argumentierte für eine individualisierte Therapieentscheidung, bei der zwischen dem Risiko für ischämische Ereignisse einerseits und Blutungen andererseits abgewogen werden müsse. So ist für ihn beispielsweise ein Infarktpatient, der trotz ASS-Therapie einen Re-Infarkt erleidet, ein Kandidat für die zusätzliche Gabe von Clopidogrel. Weitere Analysen seien nötig, um klarere Vorstellungen vom Nutzen-Risiko-Verhältnis der Clopidogrel-Behandlung in der langfristigen Sekundärprävention bei Patientengruppen mit hohem kardiovaskulären Risiko zu bekommen.

Für definitiv geklärt hält auch Bhatt den Stellenwert dieser Behandlung bei Patienten mit relativ niedrigem Risiko. Nach CHARISMA kann die Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel bei Patienten, die zwar Risikofaktoren wie Diabetes oder Hypertonie, aber noch keine klinisch auffällige Gefäßschädigung aufweisen, auf keinen Fall zur Primärprävention empfohlen werden.

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