Enttäuschende Bilanz

Glutamin ohne Überlebensvorteil auf Intensiv

Die Hoffnung, durch Glutamin-Supplementation die Überlebenschancen von Intensivpatienten zu verbessern, wird durch eine Metaanalyse nicht bestätigt. Hohe Dosierungen können sogar den gegenteiligen Effekt haben.

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NANJING. Schwerkranke Patienten haben einen erhöhten Umsatz von Glutamin. Sinken die Plasmaspiegel der Aminosäure zu stark ab, nimmt die Darmmukosa Schaden und die Immunabwehr wird geschwächt. Ein Glutaminmangel ist daher bei kritischen Erkrankungen mit einem Anstieg von Infektionsrisiko und Mortalität assoziiert.

Ob Intensivpatienten Glutamin zugeführt werden soll, ist trotzdem umstritten. Zwar haben mehrere Untersuchungen einen Rückgang von nosokomialen Infekten nachgewiesen. Die Daten zum Überleben sind jedoch widersprüchlich. Erst im letzten Jahr wurde in der bisher größten Studie mit dem Akronym REDOX eine erhöhte Mortalität festgestellt.

Nun haben Intensivmediziner aus China die vorhandenen Studien erneut einer Metaanalyse unterzogen - und kommen zu einer gemischten Bilanz (Critical Care 2014, 18: R8).

"Wie in früheren Metaanalysen reduzierte die Glutamin-Supplementation nosokomiale Infektionen. Im Gegensatz dazu brachte sie den Schwerkranken jedoch keinen Überlebensvorteil. Eine Subgruppenanalyse legt nahe, dass Glutamin-Tagesdosen über 0,5 g/kg die Mortalität sogar erhöhten", schreiben die Ärzte von der Universität Nanjing.

Für die Analyse hatten sie 18 randomisierte kontrollierte Studien herangezogen, davon sechs mit hohen (› 0,5 g/kg/d) und vier mit niedrigen Glutamindosierungen (‹ 0,3 g/kg/d). 17 Studien mit 3383 Patienten lieferten Daten zur Sterberate: Weder im Krankenhaus noch innerhalb von sechs Monaten zeigten sich hier Unterschiede zwischen Glutamin- und Placebogruppen.

Dabei spielte es auch keine Rolle, ob die Aminosäure enteral oder parenteral zugeführt wurde. Lediglich bei chirurgischen Intensivpatienten war unter Glutamin ein nicht signifikanter Trend zu einer geringeren Mortalität festzustellen.

Das Sterberisiko war dagegen signifikant erhöht, und zwar um 18 Prozent (von 28,2 auf 33,5 Prozent), wenn die Patienten - wie in der REDOX-Studie - mit hohen Dosierungen behandelt wurden.

Einen positiven Einfluss hatte Glutamin auf Infektionen mit Krankenhauskeimen: Die Erkrankungsrate lag relativ um 15 Prozent niedriger als bei einer Placebobehandlung. Dieser Vorteil kam allerdings allein durch die chirurgischen Intensivpatienten zustande, bei ihnen war das Risiko sogar um 30 Prozent gesenkt.

Bei Patienten anderer Intensivstationen wurde das Erkrankungsrisiko nicht beeinflusst. Für die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes war es generell ohne Belang, ob die Patienten Glutamin oder Placebo erhielten.

Die Wirkung von Glutamin hängt demnach von der Art der Intensivstation ab. "Chirurgische Intensivpatienten profitieren von einer Zufuhr, im Gegensatz zu den Patienten von allgemeinen oder gemischten Intensivstationen", schreiben die Studienautoren um Qi-Hong Chen.

Gleichzeitig betonen sie die Dosisabhängigkeit der Glutamineffekte. So würden nicht alle Schwerkranken niedrige Glutaminspiegel aufweisen; erhöhte Plasmaspiegel seien aber schon früher mit einer erhöhten Mortalität in Zusammenhang gebracht worden.

Laut Chen und Kollegen ist es deswegen dringend erforderlich, vor einer Glutamingabe die Plasmaspiegel zu bestimmen. Sie empfehlen, "Glutamin in Tagesdosen zwischen 0,3 und 0,5 g/kg zuzuführen, wenn der Plasmaspiegel unter 420 µmol/l liegt". Um die Wirkung von Glutamin abschließend zu klären, halten sie aber weitere Studien für notwendig. (bs)

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