Diskussion um SPRINT-Studie

Zielwert-Turbulenz bei Hypertonie

An der SPRINT-Studie hat sich eine neue Debatte darüber entzündet, wie tief der optimale Blutdruck-Zielwert für die antihypertensive Therapie sein sollte.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Blutdruckmessung: Was ist der ideale Zielwert? Die Diskussion über den optimalen Zielblutdruck ist noch längst nicht beendet.

Blutdruckmessung: Was ist der ideale Zielwert? Die Diskussion über den optimalen Zielblutdruck ist noch längst nicht beendet.

© Alexander Raths / stock.adobe.com

Dass eine Senkung erhöhter Blutdruckwerte vor Schlaganfall und Herzinfarkt schützt, ist gut belegt. Fachgesellschaften haben bislang für nahezu alle Patienten eine Blutdrucksenkung auf Werte unter 140/90  mmHg empfohlen. Bei vielen Patienten mit Hypertonie wird sich daran auch nichts ändern.

Zumindest bei Hypertonikern mit hohem kardiovaskulärem Risiko ist man sich dessen nicht mehr sicher. Der Grund ist die SPRINT-Studie. Sie hat bekanntlich ergeben, dass bei Patienten mit strikter eingestelltem Blutdruck (systolische Werte unter 120 mmHg) kardiovaskuläre Ereignisse signifikant seltener auftraten als bei nach konventioneller Zielvorgabe behandelten Patienten (systolische Werte unter 140 mmHg).

Klar ist, dass die SPRINT-Ergebnisse repräsentativ nur für die Gruppe der Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko sind. Für Hypertoniker mit Diabetes oder jene mit einem Schlaganfall in der Vorgeschichte, die von der Studienteilnahme ausgeschlossen waren, gelten sie nicht.

Zunächst wurde die Studie geradezu begeistert begrüßt. Die Deutsche Hochdruckliga (DHL) feierte SPRINT nach Bekanntwerden ihrer Ergebnisse im November 2015 als "absolute Schlüsselstudie", die "maßgeblichen Einfluss auf die Empfehlungen zur Blutdruckbehandlung haben" werde. Eine Festlegung auf niedrigere Blutdruck-Zielwerte schien sich anzukündigen.

Doch ein Jahr später war man zu einer völlig anderen Einschätzung gelangt: SPRINT werde sich nicht auf die deutschen und wohl auch nicht auf die europäischen Leitlinien auswirken, konstatierte der DHL-Vorstandsvorsitzende, Professor Martin Hausberg bei der DHL-Jahrestagung im Dezember 2016 mit.

Was war geschehen? Im Zuge der Diskussion über die SPRINT-Ergebnisse ist die Methode, mit der in der Studie der Blutdruck gemessen worden war, kritisch hinterfragt worden. Die Messungen waren automatisch und ohne Beaufsichtigung durch Ärzte oder Praxismitarbeiter durchgeführt worden. Diese Art der Messung liefere durch den Wegfall des "Weißkitteleffekts" niedrigere Blutdruckwerte als die konventionelle Messung, wurde argumentiert. Somit sei der Vergleich von SPRINT mit anderen Studien schwierig. Der für die striktere Blutdruckeinstellung in SPRINT maßgebliche Wert (unter 120 mmHg) entspreche vermutlich einem konventionell gemessenen Blutdruckwert von unter 130 bis 140 mmHg – also praktisch dem ohnehin schon empfohlenen Zielwert. Die DHL sieht deshalb derzeit keine Veranlassung zu einer Korrektur.

Andere Fachgesellschaften dagegen schon. In den USA haben das American College of Cardiology (ACC), die American Heart Association (AHA) und die Heart Failure Society of America (HFSA) Ende April 2017 ihrer Leitlinien zum Management bei Herzinsuffizienz aktualisiert. Mit Hinweis auf die SPRINT-Studie wird nun empfohlen, sowohl zur Prävention einer Herzinsuffizienz als auch bei Patienten mit manifester Herzschwäche den Blutdruck künftig auf systolische Werte unter 130 mmHg zu senken.

Noch ist nicht ganz klar, ob es mit zunehmender Senkung des Blutdrucks wieder zu einer Zunahme von kardiovaskulären Ereignissen kommt. Große Metaanalysen ergaben keine J-förmige Kurve für die Beziehung zwischen Blutdruckhöhe und kardiovaskulärem Risiko. Dem stehen Ergebnisse von Studien gegenüber, die entsprechende Befürchtungen zumindest mit Blick auf bestimmte Patientengruppen nähren.

Die Diskussion über den optimalen Zielblutdruckwert ist noch längst nicht beendet. Einiges spricht aber dafür, dass die Zeit pauschaler Empfehlungen von Zielwerten für die Blutdrucksenkung zu Ende geht. Vermutlich wird die Entscheidung über den therapeutisch anzustrebenden Blutdruckwert künftig individualisierter und stärker in Abhängigkeit von bestehenden Risikofaktoren und Komorbiditäten getroffen werden.

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