Pharmakotherapie

Zuviel an Medikamenten? FORTA hilft beim Aussortieren

Wie grenzt man umfangreiche Medikationslisten bei hochbetagten Patienten ein? Geriater Privatdozent Andrej Zeyfang und seine Kollegen wenden das FORTA-Konzept an.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Ältere haben eine andere Pharmakokinetik als Jüngere.

Ältere haben eine andere Pharmakokinetik als Jüngere.

© Getty Images/iStockphoto

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Zeyfang, inwiefern ist Polypharmazie für Sie als Geriater ein Problem?

PD Dr. Andrej Zeyfang: Das Einschränken von Medikamenten im Alter darf nicht auf Fatalismus hinauslaufen.

PD Dr. Andrej Zeyfang: Das Einschränken von Medikamenten im Alter darf nicht auf Fatalismus hinauslaufen.

© Medicus Kliniken

PD Andrej Zeyfang: Es gibt nicht nur ungeeignete und ein Zuviel an Medikamenten, sondern sehr wohl auch geeignete Medikamente, welche alten Menschen nicht ausreichend häufig verordnet werden. Das Einschränken von Medikamenten im Alter darf nicht auf Fatalismus hinauslaufen. Insofern helfen uns reine Negativ-Arzneimittellisten kaum weiter.

Andererseits müssen wir uns vor Augen halten, was die schiere Anzahl an Medikamenten bedeutet. Dabei hilft die Formel "I = (n2 - n) : 2". Dabei steht I für die Anzahl der Interaktionen und n für die Anzahl der Medikamente. Bei 7 Medikamenten ergeben sich aus der Formel 21 potenzielle Interaktionen. Wer kann die schon aus dem Gedächtnis auflisten?

Nun können drei Geriater drei Meinungen zur Optimierung der Pharmakotherapie eines alten Menschen haben. Wie schwierig erleben Sie die Priorisierung von Krankheiten und von Medikationen?

Listen gehen von Medikamenten aus, der Geriater geht vom individuellen Menschen aus. Selbst wenn wir über das gleiche Krankheitsbild sprechen, ist die Arzneimitteltherapie von Patient zu Patient verschieden – natürlich auch von Arzt zu Arzt. Jeder arbeitet gern mit dem, was er am besten kennt.

Das hat jedoch den Nachteil, dass dieses spezifische Medikament für jenes Individuum nicht unbedingt das Richtige sein muss. Alte Menschen haben nun Mal eine ganz andere Pharmakodynamik und Pharmakokinetik als jüngere. Nicht zu vergessen: Ein Medikament muss erst in den Patienten hinein, bevor es wirken kann – die Darreichungsform beeinflusst ebenfalls stark, ob ein Medikament für den alten Menschen geeignet ist oder nicht.

Sie gehören zu jenen, die die FORTA-Liste mit entwickelt haben und mit pflegen. Schauen Sie da auch ab und zu noch mal rein?

Ja, das tue ich. Dazu habe ich mir gleich die App geholt und gebe das auch dringlich an meine Assistenzärzte weiter. Mithilfe der Liste vergewissern wir uns im Zweifelsfall, ob es für ein Krankheitsbild eine Empfehlung gibt, wie stark diese ist und ob es eine Gegenempfehlung gibt, gemäß den Kategorien A, B, C und D. Nicht immer muss es ein Medikament mit FORTA-Bewertung A sein.

Wie räumen Sie und Kollegen im Alltag eine große Medikationsliste mithilfe des FORTA-Konzepts auf?

Im ersten Schritt listen wir alles auf, was tatsächlich eingenommen wird, auch die Medikamente, die nur gelegentlich und auf Empfehlung des Apothekers eingenommen werden. Wir fragen: Wofür wurde dies oder jenes einmal angesetzt und muss das tatsächlich weiter genommen werden? Ein Beispiel sind Protonenpumpenhemmer, die irgendwann einmal rezeptiert wurden und einfach immer weiter durchlaufen. Da ist sehr oft ein Absetzversuch gerechtfertigt.

Und wie reduzieren Sie die Anzahl von Wirkstoffen?

Wir nehmen zusammen mit dem Patienten eine Priorisierung vor. Dazu sortieren wir die wichtigsten und damit behandlungsrelevanten Diagnosen. Häufig sind das ein Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, eine Osteoporose und Schmerzen. Dann stoßen wir sehr schnell auf Medikamente, die gleichzeitig für mehrere Indikationen empfohlen werden, etwa ACE-Hemmer, die bei arterieller Hypertonie, bei Herzinsuffizienz und für das Koronarsyndrom geeignet sind.

Wir schauen, ob zum Beispiel ein Blutdruck von teilweise unter 120 / 60 mmHg mehr schadet, als nützt und grenzen die Antihypertensiva-Behandlung dann konsequent ein. Dafür greifen wir auf A- und B-bewertete Medikamente zurück.

Warum tun es dafür nicht auch Negativlisten wie die Priscus- oder die Beers-Liste?

FORTA enthält sowohl Positiv- wie auch Negativbewertungen. Das Konzept stützt, was wir Geriater schon lange tun: Wir gehen von den Bedürfnissen des individuellen Patienten aus.

Die aktuelle FORTA-Liste ist auf der Homepage der Uni Heidelberg als PDF-Datei sowie als kostenlose Android-App verfügbar. Die App für Apple-Geräte soll bald folgen.

PD Dr. Rom Andrej Zeyfang

» Aktuelle Position: Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Altersmedizin und Palliativmedizin, Medius Klinik Ostfildern-Ruit

» seit 2005 Vorsitzender der AG Diabetes der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

» 2006 bis 2017 Chefarzt am Bethesda Krankenhaus Stuttgart

» 2002 bis 2015 Vorsitzender der AG Diabetes und Geriatrie der DGG

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