Jetzt gibt's Argumente

Weg mit der Krawatte vom Männerhals – nicht nur wegen der Hitze

Wissenschaftler aus Kiel haben herausgefunden, dass beim Tragen von Krawatten der zerebrale Blutfluss sinkt. Hat dies klinische Auswirkungen?

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Keine Lust auf Krawatte? Man(n) hat jetzt wissenschaftliche Argumente, auf den Schlips zu verzichten.

Keine Lust auf Krawatte? Man(n) hat jetzt wissenschaftliche Argumente, auf den Schlips zu verzichten.

© Boris Bulychev /stock.adobe.com?

KIEL. Dass Krawattenträger in ihrem Denkvermögen eingeschränkt wären – so viel vorweg – wird durch eine neue Studie nicht bewiesen. Dennoch sollten sich Männer gut überlegen, ob sie künftig nicht besser auf die gesellschaftlich akzeptierte Strangulation verzichten wollen: Wie ein Team um den Schmerzforscher Robin Lüddecke vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein herausgefunden hat, engt der Schlips den Männerhals unter Umständen so stark ein, dass sich die Hirndurchblutung nachweislich verschlechtert.

MRT-Studie mit 30 Männern

Hinweise dafür fanden die Wissenschaftler in einer MRT-Studie, an der 30 gesunde junge Männern im mittleren Alter von knapp 25 Jahren teilgenommen haben (Neuroradiology 2018, online 30. Juni).

Bei der einen Hälfte blieb der Hals frei, die andere Hälfte ließ sich eine Krawatte mit typischem Windsor-Knoten umbinden. Von den Teilnehmern beider Gruppen wurden Hirnscans in jeweils drei Phasen angefertigt, von denen jede 15 Minuten dauerte.

Die drei Phasen:

» Phase 1 war der Ausgangs-Scan: In der Krawattengruppe hing der Schlips gelockert um den Hals, ohne diesen einzuengen. Der Kragen stand bei allen Teilnehmern offen.

» In Phase 2 wurde der Kragen geschlossen. Die Krawattengruppe musste den Knoten zuziehen, bis sich "leichtes Unbehagen" einstellte.

» In Phase 3 wurde der Knoten wieder gelockert, der Kragen wurde geöffnet.

Die Perfusionsmessung erfolgte mit der Methode des Arterial SpinLabelling (ASL). Eine spezielle Software errechnete aus den Daten den zerebralen Blutfluss (CBF) während der einzelnen Phasen. Zusätzlich wurde eine quantitative Phasenkontrastangiografie (PCA) der Jugularvenen durchgeführt.

Wie Lüddecke und sein Team berichten, nahm der CBF nach dem Zuziehen der Krawatte gegenüber dem Ausgangszeitpunkt signifikant ab, nämlich im Mittel um 4,3 ml/ min/100 g. Dies entspricht einer Abnahme um 7,5 Prozent. Überraschenderweise setzte sich der Rückgang fort, und zwar um weitere 3,1 ml/ min/100 g, nachdem der Knoten wieder gelockert war. Dagegen blieb der CBF in der Kontrollgruppe im Mittel konstant, ohne nennenswerte Abfälle in irgendeiner Phase.

Signifikanter Unterschied beim Blutfluss im Gehirn

Wenn man die einzelnen Teilnehmer betrachtete, sah man einen CBF-Abfall bei 13 Krawattenträgern (87 Prozent) und bei sechs Angehörigen der Kontrollgruppe (40 Prozent). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen war signifikant. Allerdings fanden die Forscher keine nennenswerte Veränderung des Blutflusses in den Jugularvenen.

"Der zerebrale Blutfluss", so Lüddecke und Kollegen, "ist bekanntlich indirekt proportional zum intrakraniellen Druck (ICP)." Die Forscher können sich ihre Befunde nur so erklären, dass sich der ICP aufgrund der Kompression des Halses erhöht habe. Dabei müsse es zu einer Behinderung des venösen Rückflusses mit Druckanstieg in den Jugularvenen gekommen sein.

Warum der CBF nach Lockern der Krawatte noch weiter abfiel, lässt sich nicht ganz leicht erklären. Möglicherweise, so das Team um Lüddecke, liege das am verstärkten Blutabfluss nach der Wiedereröffnung des Engpasses. Alternativ könne es sich auch um einen Gewöhnungseffekt handeln.

Die Forscher betonen, dass sich die zerebrale Durchblutung in keinem Fall über den physiologischen Normbereich hinaus vermindert habe. Ob der Effekt klinisch relevant sei, müsse man in weiteren Studien eruieren. Von Interesse seien dabei vor allem die Auswirkungen bei speziellen Risikogruppen wie starken Rauchern, älteren Patienten sowie Menschen mit Gefäßerkrankungen.

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