ESC-Kongress

Ticagrelor eine Gratwanderung bei KHK-Patienten mit Diabetes

Ticagrelor reduziert bei stabilen KHK-Patienten mit Typ-2-Diabetes das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, zeigt die THEMIS-Studie. Eine gleichzeitige Zunahme des Blutungsrisikos setzt der Therapie aber Grenzen.

Von Peter Overbeck Veröffentlicht:
Thrombus: Von einer Therapie mit Ticagrelor könnte eine Subgruppe von KHK-Patienten mit Diabetes profitieren.

Thrombus: Von einer Therapie mit Ticagrelor könnte eine Subgruppe von KHK-Patienten mit Diabetes profitieren.

© Axel Kock / stock.adobe.com

Paris. Bei alleiniger Betrachtung der Wirksamkeit ist die randomisierte THEMIS-Studie zweifellos ein Erfolg: Ist doch der Nachweis gelungen, dass eine Behandlung mit Ticagrelor (plus ASS) bei Patienten mit stabiler KHK und Typ-2-Diabetes das Risiko für ischämische kardiovaskuläre Ereignisse im Vergleich zu Placebo (plus ASS) zwar moderat, aber statistisch signifikant verringert.

Die Kehrseite: Eine ebenfalls signifikante Zunahme von Blutungskomplikationen einschließlich intrakranieller Blutungen trübt die Nutzen/Risiko-Bilanz von Ticagrelor und verbietet eine uneingeschränkte Anwendung des Thrombozytenhemmers bei dieser Patientengruppe.

Studie beim ESC vorgestellt

Die Studie ist jetzt in einer „Hot Line“-Sitzung beim ESC-Kongress in Paris vorgestellt und im „New England Journal of Medicine“ publiziert worden (2019; online 1. September).

Die THEMIS-Studienautoren glauben allerdings, eine Patientengruppe identifiziert zu haben, bei der Ticagrelor ein positives Nutzen/Risiko-Profil offenbart habe, nämlich diabetische KHK-Patienten mit einer perkutanen Koronarintervention (PCI) in der Vorgeschichte.

Ergebnisse der entsprechenden THEMIS-Substudie (THEMIS-PCI) sind in derselben Sitzung beim Kongress in einem separaten Vortrag vorgestellt und in „The Lancet“ (2019; online 1. September) veröffentlicht worden.

Risikoreduktion um 10 Prozent

In der von Dr. Deepak Bhatt vom Brigham and Women’s Hospital, Boston, vorgestellten THEMIS-Hauptstudie reduzierte Ticagrelor das Risiko für den primären Studienendpunkt (kardiovaskulär verursachter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) im Verlauf von 3,3 Jahren relativ um 10 Prozent im Vergleich zu Placebo (Inzidenz: 7,7 vs. 8,5 Prozent; Hazard Ratio [HR] 0,90; 95%-Konfidenzintervall [CI], 0,81 -0,99; p=0,04). Triebkraft dafür war eine relative Reduktion von Herzinfarkten um 16 Prozent und von ischämischen Schlaganfällen um 20 Prozent. Kardiovaskuläre und Gesamtmortalität blieben unbeeinflusst.

Dieser Reduktion stand eine signifikante Zunahme des Risikos für schwerwiegende Blutungen (TIMI major) um mehr als das Doppelte gegenüber (2,2 vs. 1,0 Prozent; HR 2,32; 95% CI, 1,82 – 2,94; p<0,001).

THEMIS-Studie

  • An der THEMIS-Studie waren 19 122 Patienten mit stabiler KHK und Typ-2-Diabetes beteiligt, die per Zufallszuteilung eine Therapie mit Ticagrelor oder Placebo additiv zu ASS erhalten hatte.
  • Aufgenommen wurden nur Patienten, die zuvor noch keinen Schlaganfall oder Myokardinfarkt erlitten hatten.
  • Die mediane Dauer der Nachbeobachtung betrug 39,9 Monate.
  • Die Rate an Therapieabbrüchen war in der Ticagrelor-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (34,5 vs. 25,4 Prozent).

Diese Risikoerhöhung schloss auch eine signifikante Zunahme intrakranieller Blutungen ein (0,7 vs. 0,5 Prozent; HR 1,71; 95% CI, 1,18 – 2,48; p=0,005). Mit Blick auf tödliche Blutungen gab es keinen Unterschied zwischen Ticagrelor und Placebo.

Günstiges Nutzen/Risiko-Verhältnis?

Bhatt und seine Mitautoren haben auch einen als „irreversible Schädigung“ (irreversible harm) bezeichneten „exploratorischen“ Endpunkt analysiert, der die Ereignisse Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und tödliche sowie intrakranielle Blutungen kombinierte.

Bezüglich dieses Endpunkts bestand kein signifikanter Unterschied zwischen Ticagrelor und Placebo (10,1 vs. 10,8 Prozent; HR 0,93; 95% CI, 0,86 – 1,02). Ein günstiges Nutzen/Risiko-Verhältnis lässt sich Ticagrelor bei dieser Studienpopulation somit kaum bescheinigen.

Substudie mit 11 154 Patienten

Ließe sich eine Subgruppe mit a priori hohem Risiko für ischämische Ereignisse und niedrigem Blutungsrisiko finden, könnte das Nutzen/Risiko-Verhältnis womöglich günstiger ausfallen. Als potenzielle Kandidaten, die davon profitieren könnten, haben die THEMIS-Autoren alle Studienteilnehmer mit PCI in der Vorgeschichte in der Substudie THEMIS-PCI gezielt ins Visier genommen.

11 154 der insgesamt mehr als 19 000 an THEMIS beteiligten Patienten waren in dieser Substudie vertreten.

Die Begründung für die Selektion gerade dieser Patienten als potenziell geeignete Kandidaten für eine Ticagrelor-Therapie lautet: Patienten, die bereits eine PCI mit Stent-Implantation hinter sich haben und die anschließende Phase der dualen Plättchenhemmung als „Belastungstest“ ohne schwere Blutungen überstanden haben, sind damit quasi als Personen mit niedrigem Blutungsrisiko qualifiziert. Bei ihnen könnte der Nutzen von Ticagrelor somit das Risiko überwiegen.

„Richtige“ Kandidaten gefunden?

Dass damit die „richtigen“ Kandidaten gefunden wurden, wollte Professor Philippe Gabriel Steg, Hôpital Bichat, Paris, anhand der Ergebnisse der von ihm vorgestellten THEMIS-PCI-Studie belegen. Auch in der Substudie war die Inzidenz von Ereignissen des primären Studienendpunktes mit 7,3 vs. 8,6 Prozent unter Ticagrelor signifikant niedriger als unter Placebo.

Der Unterschied entspricht einer relativen Risikoreduktion um 15 Prozent durch Ticagrelor (HR 0,85; 95% CI, 0,97 – 2,48; p=0,013). Die Raten für kardiovaskuläre Mortalität (3,1 vs. 3,3 Prozent) und Gesamtsterblichkeit (5,1 vs. 5,8 Prozent) unterschieden sich nicht signifikant.

Auch im Studienkollektiv der Patienten mit vorangegangener PCI waren schwerwiegende Blutungen (TIMI major) unter Ticagrelor rund doppelt so häufig wie unter Placebo (HR 2,03; 95% CI 1,48-2,76, p<0,001). Bei den intrakraniellen Blutungen war jedoch kein Unterschied auszumachen (0,6 vs. 0,6 Prozent, p=0,45).

Langzeittherapie mit Ticagrelor

Die Rate für den klinischen Nettonutzen (net clinical benefit: Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, tödliche oder intrakranielle Blutung) war diesmal in der Ticagrelor-Gruppe signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (9,3 vs. 11,0 Prozent, 95% CI 0,75-0,96, p=0,005). In der Subgruppe ohne PCI hatte Ticagrelor dagegen kein entsprechend positives Nutzen/Risiko-Verhältnis vorzuweisen.

Eine Langzeittherapie mit Ticagrelor sollte deshalb bei Patienten mit Diabetes und PCI in der Vorgeschichte, die zuvor eine plättchenhemmende Therapie gut vertragen und ein hohes Risiko für ischämische Komplikationen und ein niedriges Blutungsrisiko haben, zusätzlich zu ASS in Betracht gezogen werden, schlussfolgern die THEMIS-PCI-Autoren.

An der THEMIS-Studie waren 19 122 Patienten mit stabiler KHK und Typ-2-Diabetes beteiligt, die per Zufallszuteilung eine Therapie mit Ticagrelor oder Placebo additiv zu ASS erhalten hatten. Aufgenommen wurden nur Patienten, die zuvor noch keinen Schlaganfall oder Myokardinfarkt erlitten hatten.

Die mediane Dauer der Nachbeobachtung betrug 39,9 Monate. Die Rate an Therapieabbrüchen war in der Ticagrelor-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (34,5 vs. 25,4 Prozent).

Mehr Infos zur Kardiologie unter www.springermedizin.de

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