Aussagekräftige Werte?

Was Patienten während der 24-Stunden-Blutdruckmessung tun

Wie aussagekräftig sind die bei einer 24-Stunden-Blutdruckmessung erhobenen Daten? Spiegeln sie die typischen Alltagsbelastungen der untersuchten Patienten wider? Kollegen in Bonn haben Antworten dazu geliefert.

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:
24-Stunden-Blutdruckmessung: Sicher hinderlich, aber auch ein Grund, sich zu schonen?

24-Stunden-Blutdruckmessung: Sicher hinderlich, aber auch ein Grund, sich zu schonen?

© Arteria Photography

BONN. Bitten Sie Hypertonie-Patienten, bei denen eine 24-Stunden-Blutdruckmessung geplant ist, für diese Untersuchung einen für ihren Alltag typischen Tag zu wählen und an diesem Tag allen Tätigkeiten wie sonst auch nachzugehen! Sonst ist nicht ausschließen, dass sich die Patienten am Messtag schonen, und in Folge falsch zu niedrige Blutdrucke angenommen werden.

Dieses Resümee ziehen Professor Detmar Jobst vom Institut für Hausarztmedizin des Uniklinikums Bonn und Dr. Philine Olbrich aus Daten aus 13 Allgemeinpraxen, die Olbrich für ihre Dissertation an der Uni Bonn analysiert hat. Auf Basis der bei 24-Stunden-Messungen dokumentierten Blutdruckwerte und den von den Patienten in Begleitprotokollen notierten Tätigkeiten wollte Olbrich wissen: Welche Zusammenhänge zwischen Tätigkeit und Blutdruck gibt es? Zeichnen ABD-Messtage überhaupt ein realistisches Bild?

Insgesamt 465 ABD-Messungen mit einem mittleren Tages-Blutdruck von 135/90 mmHg oder höher standen für die Auswertung zur Verfügung. Das mittlere Alter der Patienten betrug 55,6 Jahre, 43 Prozent waren Frauen.

Patientenprotokolle würden zu selten sorgfältig ausgefüllt, berichten Jobst und Olbrich (ZFA 2017; 93 (4): 156-160): Nur 250 der ABD-Messungen wurden von Patientenprotokollen begleitet, die für mindestens 80 Prozent der Messzeit ausgefüllt waren.

ABD-Messung wurde meist auffällig ruhig angegangen

Und nur diese 250 Patientenprotokolle wurden für die weitere Datenanalyse berücksichtigt. Weniger als ein Drittel der Patienten habe eine berufliche Tätigkeit am ABD-Messtag angegeben, körperliche Tätigkeiten seien nur von 23 Prozent der Patienten dokumentiert worden, so Jobst und Olbrich. Die längste Zeit wurde mit Schlafen verbracht (7:52 Stunden), dann folgten berufliche Tätigkeit (5:28), Fernsehen (2:47), Haus- (2:24) und Schreibtischarbeit (2:22).

Bei den meisten Tätigkeiten hatten die Patienten während 50 Prozent der ABD-Messzeiten normotone Werte, deutlich länger beim Schlafen und Ruhen. Die mittleren Tages-Blutdrucke lagen im niedrigen hypertensiven Bereich Grad I gemäß der WHO, die Durchschnittsblutdrucke nachts im oberen Normbereich. "Im Hinblick auf einen früher erhobenen Vorwurf der Trägheit deutscher Hausärzte bei der Behandlung des hohen Blutdrucks können diese Ergebnisse als zufriedenstellend angesehen werden, nachdem im Jahr 2013 das britische NICE und die European Society of Cardiology einen systolischen RR von bis 140 mmHg als therapeutisches Ziel zugestanden haben", schreiben Jobst und Olbrich. Die Diskussion über Blutdruck-Schwellenwerte sei allerdings noch in vollem Gange.

 Hochdrucktreibende Tätigkeiten ließen sich auf Basis der in den Allgemeinpraxen erhobenen Daten nicht sicher kategorisieren. Die auf den Dokumentationsprotokollen vorgedruckten Tätigkeiten bildeten die komplexen Zusammenhänge, die den Blutdruck beeinflussen können, nicht genügend ab, so Jobst und Olbrich. Patientenprotokolle sollten als Dokumentationskategorien deshalb nicht nur Tätigkeiten, sondern auch besondere Vorkommnisse und Beschwerden, zum Beispiel Stressoren, auch psychosoziale Stressoren, sowie gegebenenfalls eine Medikamenteneinnahme berücksichtigen.

Schonung als Erklärung für zu niedrige Messwerte?

Möglicherweise hingen die beobachteten geringen Blutdruck-Differenzen zwischen den Tätigkeiten mit einer gewissen Schonung zusammen. Ein Vergleich mit durchschnittlichen Tätigkeits-Zeitprofilen von Bürgern in Deutschland bestätige, dass ruhige Tätigkeiten wie Fernsehen, Ausruhen und Lesen während der ABD-Messungen länger vorkamen als im Durchschnitt. Kürzer waren dagegen die Zeiten, die mit Schlafen, Hausarbeit und beruflicher Tätigkeit verbracht wurden: Patienten arbeiteten während ABD-Messungen in der Bonner Studie täglich zweieinhalb Stunden weniger als andere Arbeitnehmer in Deutschland (7:52 vs 5:19 Stunden).

Besonders die letze Abweichung lässt Jobst und Olbrich vermuten, dass ABD-Messtage zur Schonung animieren. Wie auch der kürzere Schlaf könne dies mit der Beeinträchtigung durch den ABD-Messvorgang zusammenhängen, viele Patienten fühlten sich durch die circa 85 Messungen in 24 Stunden gestört und eingeschränkt.

"Wenn Patienten sich am Messtag schonen, was unsere Ergebnisse nicht ausschließen, können falsch zu niedrige Blutdruckmessungen angenommen werden", so Jobst und Olbrich. Somit unterläge die 24-Stunden-Blutdruckmessung einem systematischen Fehler, ausgelöst durch die Einschränkungen, die die Methode selbst mit sich bringt. Diese Hypothese wäre in Vergleichsstudien zu prüfen.

Kollegen und medizinische Fachangestellte sollten dafür Sorge tragen, dass ABD-Messungen möglichst unter typischen Alltagsbelastungen vorgenommen werden und Patienten auf die Bedeutung gut ausgefüllter Patientenprotokolle hinweisen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ambulante Blutdruckmessung mit systematischem Fehler?

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