Deutsche Herzstiftung

Herzmedizin – Die Akutversorgung läuft, die Prävention nicht so

Bei der interventionellen Versorgung von Herzpatienten macht den deutschen Kardiologen keiner etwas vor: Es wird mehr katheterisiert denn je. Defizite gibt es in der Prävention. Das zeigt der neue Herzbericht der Deutschen Herzstiftung.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Herzprävention: Nur in hohen Bildungsschichten ist die Aktivität gestiegen.

Herzprävention: Nur in hohen Bildungsschichten ist die Aktivität gestiegen.

© artursfoto/ Getty Images/ iStockphoto

Er konnte kaum anders: Bei der Vorstellung des Deutschen Herzberichts ging der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Professor Hugo Katus vom Uniklinikum Heidelberg, natürlich auch auf die ORBITA-Studie ein, die bei der AHATagung im November 2017 einige Schockwellen durch die kardiologische Zunft geschickt hatte.

Zum ersten Mal wurde bei KHK-Kranken mit höhergradiger Stenose nach sechswöchiger Therapieoptimierung eine perkutane Intervention (PCI) randomisiert mit einer Scheinintervention verglichen. Ergebnis: kein statistisch signifikanter Unterschied in der schmerzfreien Belastungszeit. Werden also nicht nur zu viele diagnostische Herzkatheter gemacht, sondern auch unnötige Katheterinterventionen?

Katus bezweifelt das: "Die Studie hat uns irritiert, aber sie war sehr klein und damit statistisch angreifbar. Sie steht auch im Gegensatz zu Studien wie COURAGE oder FAME-2, in denen die Kathetertherapie der rein medikamentösen Therapie überlegen war."

Ob sich die deutschen Kardiologen durch die ORBITA-Studie beeindrucken lassen, kann der neue Herzbericht 2017 der Deutschen Herzstiftung noch nicht beantworten. Denn die Daten beziehen sich auf das Jahr 2016.

Da zumindest bietet sich im Vergleich zum Jahr 2015 das vertraute Bild. Anders als etwa in den USA, wo die Zahl der Katheteruntersuchungen im Gefolge der – auslegungsfähigen – COURAGE-Studie deutlich gesunken ist, bleibt die Zahl in Deutschland mehr oder weniger stabil.

897.939 Linksherzkatheteruntersuchungen gab es im Jahr 2016 in Deutschland, 1,5 Prozent weniger als 2015. Gleichzeitig stieg die Zahl der PCI um 3,5 Prozent auf jetzt 377.763. Anders formuliert: Der Anteil der rein diagnostischen Untersuchungen nimmt dezent ab, was Katus als begrüßenswerte Entwicklung bezeichnete.

Zahl der TAVI um rund zehn Prozent gestiegen

Bei anderen Interventionen ging es bergauf. Die Zahl der Transkatheter-Aortenklappeneingriffe (TAVI) stieg um rund zehn Prozent auf jetzt über 17.000. Beim chirurgischen Aortenklappenersatz stehen knapp 11.000 Eingriffe im Logbuch der DGTHG (Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie), nach etwas über 11.000 im Jahr 2015.

"Der Rückgang ist geringer als wir erwartet hätten", konstatierte DGTHG-Präsident Professor Wolfgang Harringer vom Klinikum Braunschweig, und er lobte die – auch durch GBA-Vorgaben erzwungene – enge Zusammenarbeit der Disziplinen. Auch in der Elektrophysiologie gibt es weiterhin keinen "Ceiling-Effekt". Die DGK schätzt, dass es 2016 knapp 70.000 diagnostische elektrophysiologische Untersuchungen gab. Das wären 5 Prozent mehr als 2015. Bei den Ablationen gibt es ein Plus von 7,6 Prozent auf jetzt knapp 82.000.

Die Gretchenfrage ist natürlich, ob sich die Katheterfreudigkeit der Kardiologen in besserem Patienten-Outcome widerspiegelt. Das ist schwierig nachzuweisen, auch weil es natürlich viele andere Einflussfaktoren gibt. Ein paar Dinge lassen sich aber aus dem Herzbericht schon ablesen.

Klar auf die Fahnen schreiben kann sich die deutsche Akutkardiologie eine weitere Verringerung der Sterblichkeit beim akuten Myokardinfarkt bei Männern wie Frauen. Die Sterbeziffer lag hier in den 90er-Jahren bei über 140 pro 100.000 Einwohner, aktuell sind es 56. Das dürfte an den Kathetern, aber auch an Faktoren wie besseren Rettungsketten, effizienteren stationären Abläufen und optimierter Medikation liegen.

Demgegenüber gibt es bei der "chronischen" Sterblichkeit an ischämischer Herzerkrankung zum ersten Mal seit Längerem wieder einen Anstieg. Ob das eine Trendwende ist oder nur ein Plateau, ist noch offen. Der jahrelange Trend nach unten scheint bei den derzeit erreichten 140 bis 150 Todesfällen pro 100.000 jedenfalls erst mal gestoppt. Andere Länder sind da besser.

Zu viele Raucher, zu wenige sportlich Aktive

Ein Grund dafür, dass Deutschland auf der Stelle tritt, könnte in mangelnder Prävention liegen, sagte der Vorsitzende der Herzstiftung, Professor Thomas Meinertz. Der Herzbericht liefert dafür Hinweise. Beispiel Rauchen: Es mag heute weniger Jugendliche geben, die rauchen, aber bei den für die KHK relevanten Altersgruppen hat sich wenig getan.

 Besonders in den niedrigen Bildungsgruppen rauchen 40 bis 50 Prozent der Erwachsenen zwischen 25 und 69. Einen dezenten Trend nach unten gibt es allenfalls in den mittleren und höheren Bildungsschichten. Deutlich weniger geraucht wird in der Altersgruppe über 65 Jahren, was erklärt, warum die Gesamtquoten nach GEDA 2014/15-Survey für Frauen bei 20,8 Prozent und für Männer bei 27 Prozent liegen.

Auch beim Sport zeigt sich, dass Prävention in Deutschland nicht in der Breite ankommt. Zwischen 2003 und 2012 ist der Anteil sportlich komplett inaktiver Erwachsener mit hoher Bildung zwar von rund 25 Prozent auf rund 15 Prozent gesunken.

Bei mittlerer Bildung ist der Effekt wesentlich geringer, und bei niedriger Bildung hat sich rein gar nichts geändert: Rund die Hälfte der Erwachsenen ist hier sportlich komplett inaktiv. Mindestens 2,5 Stunden pro Woche trainieren 50-60 Prozent der Erwachsenen in hohen Bildungsschichten, aber – von jüngeren Männern abgesehen – nur rund ein Drittel in den niedrigen Bildungsschichten.

Für Meinertz ist die Botschaft daher klar: Wer die KHK-Sterblichkeit in Deutschland weiter senken will, muss bei der Erwachsenenprävention ansetzen.

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