Wenn Schrittmacher zum Problem werden

Keine Exit-Strategie auf dem Sterbebett

Defibrillatoren und Schrittmacher sollen das Leben verlängern - manchmal machen sie aber nur das Sterben qualvoller. Über die Deaktivierung der Geräte wird mit Patienten offenbar zu selten und zu spät gesprochen.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Sterbebegleitung: Wichtig sind auch Infos, ob und wann Schrittmacher deaktiviert werden sollen.

Sterbebegleitung: Wichtig sind auch Infos, ob und wann Schrittmacher deaktiviert werden sollen.

© ArVis / fotolia.com

Obwohl sein Tod erwartet wurde, war er von einem Schock begleitet - genauer: von mehreren Elektroschocks.

Der 71-jährige Berufsfischer lag in einem Krankenhaus in San Diego, seine Familie war um ihn versammelt und sie musste miterleben, wie der Sterbende vom implantierten Cardioverter-Defibrillator (ICD) insgesamt zehnmal geschockt wurde.

Erst als die Ehefrau des Mannes insistierte, wurde das Gerät nach zwei Tagen deaktiviert.

Dieser Fall mag besonders drastisch sein, ein Einzelfall ist er keineswegs. Die ursprünglich lebensrettende Implantation eines ICDs kann bei fortschreitender Herzinsuffizienz oder nicht kardialen Erkrankungen nutzlos und sogar zur Belastung werden.

In einer kleinen Studie erlitt etwa ein Drittel aller Patienten in der letzten Lebensphase noch durch das Gerät ausgelöste Schocks. Angesichts der steigenden Zahl implantierter ICD werden immer mehr Ärzte mit diesem Problem konfrontiert werden.

Doch die Ärzte und mehr noch ihre Patienten scheinen darauf erstaunlich schlecht vorbereitet zu sein, wie eine Studie der Mayo Clinic in Rochester offenbart (JAMA Intern Med 2013; online 25. November).

Studie mit 150 Teilnehmern

Die Autoren um Lilian C. Buchhalter haben retrospektiv die Umstände untersucht, unter denen bei 150 terminal kranken Patienten ein implantierter Defibrillator und/oder Schrittmacher ausgeschaltet wurde.

In den allermeisten Fällen war eine antitachykarde Behandlung - allein oder zusätzlich zu einer antibradykarden Behandlung - beendet worden, nur vier Prozent der Patienten waren schrittmacherabhängig gewesen.

Zwar hatte die Mehrzahl der Kranken eine Patientenverfügung besessen, aber nur ein einziger hatte darin auch seinen Wunsch bezüglich des ICDs festgehalten.

Mit weniger als der Hälfte der Patienten war ausführlich über die Palliativversorgung gesprochen worden.

In 50 Prozent der Fälle hatten die gesetzlichen Stellvertreter die Entscheidung für eine Deaktivierung treffen müssen.

Die Gespräche über eine solche Maßnahme waren häufig bis zum letzten Moment hinausgezögert worden: Nach dem Ausschalten vergingen im Median nur zwei Tage, bis der Tod der Patienten eintrat.

Ethische und rechtlichen Bedenken

Dass viele Ärzte die Entscheidung solange aufschoben, hängt sicher auch mit ethischen und rechtlichen Bedenken zusammen.

Die Vorstellung, durch die Deaktivierung eines ICDs oder Schrittmachers passive oder gar aktive Sterbehilfe zu leisten, ist noch immer verbreitet.

Konsensus-Papiere der europäischen und der US-amerikanischen Rhythmologen-Gesellschaften stellen jedoch klar, dass der Tod nach Abbruch einer nicht mehr indizierten Behandlung in Einklang mit dem Patientenwillen als Folge der Grunderkrankung anzusehen ist und nicht als Folge der ärztlichen Intervention (Europace 2010; 12: 1480).

Die europäischen Experten räumen allerdings ein, dass eine Schrittmacher-Deaktivierung - die bei schrittmacherabhängigen Patienten den baldigen Tod nach sich zieht - grundlegend verschieden ist von einer ICD-Deaktivierung, bei der man nur darauf verzichtet, das Sterberisiko im Fall einer Kammertachykardie zu senken.

Und sie betonen auch, dass es nicht ihre Absicht ist, die Entscheidung von Ärzten und Patienten in Richtung Ausschalten zu beeinflussen. Ohnehin steht es jedem Arzt frei, aufgrund seiner Überzeugungen eine Deaktivierung abzulehnen.

Hinweis bei der Implantation wäre ideal

Letztendlich entscheidend ist der Wille des Patienten, "der über die Konsequenzen einer Deaktivierung sorgfältig und unter Respektierung seiner Autonomie aufgeklärt wurde", wie es in dem europäischen Konsensus-Papier heißt.

Idealerweise wird schon bei der Implantation darauf hingewiesen, dass später einmal Situationen eintreten können , in denen das Gerät nutzlos oder störend sein kann und dann ein Ausschalten möglich ist - was viele Patienten gar nicht wissen.

Dadurch versetzt man die Kranken in die Lage, ihre diesbezüglichen Wünsche zu formulieren, am besten im Rahmen einer Patientenverfügung.

Wird die Option dagegen erst in der letzten Lebensphase angesprochen, empfinden das die Patienten nicht selten als Angebot zur Selbsttötung. Und oft wird die schwierige Entscheidung dann den Angehörigen aufgebürdet.

Auch ICD- und Schrittmacher-Träger müssen sterben. Ärzte sollten ihre Patienten gut darauf vorbereiten, um sie vor unerwünschten Wirkungen der Geräte zu bewahren.

Das erste Gebot der ärztlichen Therapie - primum non nocere - gilt erst recht für die letzten Tage des Lebens.

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