Tag gegen den Schlaganfall - jede Sekunde zählt

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Am 10. Mai  ist bundesweiter Tag gegen den Schlaganfall. Die Behandlung bei Schlaganfall hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Mehr Patienten als bislang angenommen haben die Chance, von der Thrombolyse-Behandlung zu profitieren.

Von Thomas Meißner

Rasche Einlieferung der Patienten in eine Schlaganfall-Spezialstation sollte heute Standard sein.

Rasche Einlieferung der Patienten in eine Schlaganfall-Spezialstation sollte heute Standard sein.

© Foto: imago

Die Therapie bei Hirninfarkt ist im Wandel, ein Prozess, der sich weiter fortsetzt - ein wichtiges Thema beim Leipziger Schlaganfall-Tag am Samstag.

So hat der Leiter der Leipziger Stroke Unit Professor Dietmar Schneider im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" darauf hingewiesen, dass mehr Hirninfarkt-Patienten als bislang angenommen die Chance haben, von der Thrombolyse-Behandlung zu profitieren. Das Zeitfenster von Beginn der Symptome bis zum Lysebeginn hat sich von bislang drei auf bis zu viereinhalb Stunden geöffnet. Damit habe mindestens jeder fünfte Hirninfarktpatient nach Ausschluss der Kontraindikationen die Chance auf eine medikamentöse Auflösung der Hirngerinnsel mit dem biotechnisch hergestellten Enzym Alteplase, sagte Schneider.

Die TIA ist kein kleines ischämisches Malheur

Die ECASS3*-Studie von Professor Werner Hacke aus Heidelberg und internationalen Kollegen hatte international für Aufsehen gesorgt und war von den Herausgebern und Lesern des "Lancet" zum "Paper of the Year 2008" gewählt worden. Allein in Deutschland könnten von den nun nachgewiesenen Tatsachen mehrere tausend Patienten jährlich profitieren, meint Hacke. Nach wie vor gilt natürlich: Je früher lysiert wird, desto besser. Jede Minute zählt.

Eine weitere sehr wichtige Erkenntnis ist, dass die TIA (transitorische ischämische Attacke) nicht mehr als kleines ischämisches Malheur abgetan werden darf, sondern genauso als Notfall angesehen werden muss wie ein großer Hirninfarkt. Geahnt habe man das schon lange, so Schneider.

Rasche Therapie bei TIA reduziert Insult-Rate

Inzwischen lägen die Beweise vor. Vor wenigen Wochen erschienen weitere detaillierte Ergebnisse der EXPRESS*-Studie in "Lancet Neurology" (8, 2009, 235), wonach die rasche und konsequente Behandlung nach einer TIA die relative Häufigkeit weiterer Schlaganfälle um 80 Prozent reduziert. Von den jeweils etwa 300 TIA-Patienten in der Studie hatten bei verzögerter Behandlung 32 binnen 90 Tagen einen Schlaganfall erlitten (zehn Prozent), in der sofort intensiv behandelten Gruppe sechs (zwei Prozent). Sie hatten meist innerhalb eines Tages nach Auftreten der Symptome eine Kombination aus ASS, Antihypertensiva und einem Statin erhalten. Die unmittelbare Behandlung reduzierte zudem die Krankenhausliegezeit, die Klinikkosten sanken um 60 Prozent.

Noch viel stärker präventiv wirken müsse man zudem auch bei Patienten mit Vorhofflimmern, fordert Schneider. Wer keinen Vitamin-K-Antagonisten bekommen könne, brauche offenbar nicht nur Acetylsalicylsäure (ASS), sondern die Kombination ASS plus Clopidogrel.

Weniger Schlaganfälle durch Kombitherapie

Diese Kombination konnte unter 7500 Patienten mit Vorhofflimmern die Häufigkeit von Schlaganfällen im Vergleich zu ASS allein um 28 Prozent senken. Auch die Gesamtzahl an vaskulären Ereignissen war mit der Kombination geringer, wie in der vorab im Internet veröffentlichten Studie von Dr. Stuart J. Connolly aus Hamilton, Kanada, und Mitarbeitern herausgekommen ist (NEJM 290, 2009). Das Risiko schwerer Blutungen stieg von 1,3 auf 2,0 Prozent.

Studie mit Kältetherapie gestartet

Patienten mit Hirnblutungen haben funktionell eine wesentlich bessere Prognose als Hirninfarktpatienten - wenn sie denn überleben. Etwa die Hälfte der Hirnblutungspatienten stirbt innerhalb eines Monats, die meisten innerhalb der ersten Tage. Jetzt soll in der deutschen HyDeH-Studie* bei 150 Patienten mit supratentioriellen Blutungen geprüft werden, ob man mit dem Herabsetzen der Körpertemperatur auf 35°C (Hypothermie) die Prognose dieser Patienten verbessern kann, und zwar im Vergleich mit der Dekompressionsoperation zur Reduktion des intrakraniellen Drucks und mit der alleinigen konservativen Standardbehandlung. Die zehntägige Kältetherapie mit endovaskulär verabreichter Kochsalzlösung in Analgosedierung soll das Hirnödem begrenzen und den Energieverbrauch des Gehirns reduzieren. Man erhofft sich davon, dass besonders die noch lebensfähigen Zellen in der Nähe der Blutung, die oft sekundär durch ischämische und metabolisch-inflammatorische Prozesse geschädigt werden, verschont bleiben. Zudem werde dem Körper Zeit gegeben, das Blut zu resorbieren, sagt Schneider. "Für mich ist das harte Kriterium: Wer lebt noch nach sechs Monaten und mit welchem Grad der Behinderung? Welcher Patient kann sich selbst versorgen, wer braucht einen Rollstuhl?" Die guten Ergebnisse der Hypothermie bei Herzkreislaufstillständen stimmen Schneider optimistisch, dass sich auch bei hämorrhagischen Schlaganfällen künftig einiges zum Besseren wenden wird.

*ECASS - European Cooperative Acute Stroke Study

*EXPRESS - Effect of urgent treatment for transient ischaemic attack an minor stroke and hospital costs

*HyDeH - Hypothermia and Decompression after intracerebral Hemorrhage

Die Fakten zum Schlaganfall in Deutschland

  • Etwa 200 000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall.
  • Von einem Schlaganfall sind vornehmlich ältere Menschen betroffen.
  • 200 bis 300 Kinder erleiden jährlich einen Schlaganfall.
  • Bereits 24 Prozent der deutschen Bevölkerung ist älter als 60 Jahre.
  • Im Jahr 2050 werden rund 38 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland älter als 60 Jahre sein.
  • Die Altersgruppe ab 60 Lebensjahren erleidet fast 80 Prozent aller Schlaganfälle.
  • Im ersten Jahr sterben 40 Prozent aller Betroffenen.
  • Ein Jahr nach dem Schlaganfall bleiben 64 Prozent der überlebenden Patienten pflegebedürftig, davon müssen 15 Prozent in einer Pflegeeinrichtung versorgt werden.
  • Der Schlaganfall ist damit der häufigste Grund für erworbene Behinderungen im Erwachsenenalter.

Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Der Schlaganfall-Tag

Ausführliche Informationen zum Thema Schlaganfall bietet die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe auch im Internet unter: www.schlaganfall-hilfe.de. Hier findet man auch einen Überlick über die vielen Veranstaltungen, mit den morgen unter dem Motto "Aktiv gegen den Schlaganfall" auf das Thema Schlaganfall und die charakteristischen Symptome aufmerksam gemacht wird. Durch einfaches Anklicken kommt man zu einer regional geordneten Zusammenstellung der vielen Veranstaltungen. (eb)

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