Wegen Smog

Mehr Schlaganfälle an Tagen mit dicker Luft

Smog ist nicht gut für die Hirngefäße: An Tagen mit besonders dicker Luft kann sich das Schlaganfallrisiko mehr als verdoppeln, zeigt jetzt eine Untersuchung.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Smog - der in vielen chinesischen Großstädten fast zur Normalität gehört - kann das Schlaganfallrisiko deutlich erhöhen.

Smog - der in vielen chinesischen Großstädten fast zur Normalität gehört - kann das Schlaganfallrisiko deutlich erhöhen.

© Cheng Qiang / dpa

EDINBURGH. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Studien, die an Tagen mit schlechter Luftqualität eine erhöhte Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen fanden. Smog gilt daher als Risikofaktor für Infarkte aller Art.

Forscher um Anoop Shah von der Universität in Edinburgh haben nun in der vorhandenen Literatur geschaut, wie gut die Evidenz mit Blick auf das Schlaganfallrisiko tatsächlich ist (BMJ 2015; 350: h1295).

Dazu haben sie 94 Studien ausgewertet, in denen das kurzfristige Schlaganfallrisiko bei schlechter Luft überprüft wurde. Die Schlaganfallinzidenz wurde dabei mit der Luftqualität in den vergangenen, maximal sieben Tagen in Beziehung gesetzt.

Insgesamt flossen in die Studien 6,2 Millionen Daten zu Schlaganfällen aus 28 Ländern ein.

Die Wissenschaftler um Shah schauten sich dabei eine ganze Reihe von Schadstoffen an, darunter Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon, Stickoxid und Schwefeldioxid.

Für fast alle ließ sich bei erhöhten Konzentrationen auch eine signifikant erhöhte Schlaganfallinzidenz nachweisen.

PM2,5- Staub besonders riskant

Feinstaub: Relevant sind hier Partikelgrößen unter 10 Mikrometer (PM10) sowie besonders lungengängige Stäube mit Partikeln unter 2,5 Mikrometer Durchmesser (PM2,5). Für PM2,5 fanden die Forscher eine Erhöhung des Schlaganfallrisikos um 1,1 Prozent pro 10 µg/m3 Luftkonzentration.

Das klingt zunächst wenig, aber bei Spitzenbelastungen um 50 bis 100 µg/m3, wie sie auch in Deutschland möglich sind, entspräche dies bereits einer Risikoerhöhung um 5 bis 10 Prozent.

In chinesischen Großstädten werden Werte bis zu 1000 µg/m3 erreicht, hier wäre das kurzfristige Schlaganfallrisiko folglich doppelt so hoch wie in Reinluftgebieten.

Deutlich weniger gefährlich scheint PM10-Staub zu sein: Für diese Fraktion fanden die Forscher nur eine relative Risikoerhöhung um 0,3 Prozent pro 10 µg/m3. Allerdings ist die PM10-Konzentration in der Regel höher als die von PM2,5.

Bei Inversionswetterlagen kann die Belastung in deutschen Städten auf Werte über 200 µg/m3 steigen, ein Spitzenwert von über 3400 µg/m3 wurde etwa in der Neujahrsnacht 2008 in Berlin gemessen - hier waren Böller die Hauptursache.

In jener Nacht war das Schlaganfallrisiko nach den britischen Daten also in etwa verdoppelt.

Risiko hält bis zu zwei Tage an

In der Metaanalyse von Shah und Mitarbeitern ließ sich eine akute Risikoerhöhung noch bis zu zwei Tage nach der Exposition gegenüber hohen Feinstaubwerten berechnen, sie scheint dabei für ischämische und hämorrhagische Infarkte ähnlich stark ausgeprägt zu sein.

Gasförmige Schadstoffe: Am häufigsten wurden Stickstoffdioxidwerte in den Studien ermittelt. Eine Erhöhung um 10 ppb (parts per billion) geht mit einer Steigerung des Schlaganfallrisikos von im Mittel 1,4 Prozent einher.

Die Stickstoffdioxid-Mittelwerte liegen in deutschen Städten bei etwa 50 ppb, Spitzenwerte bei 400 ppb. Bei solchen Werten wäre mit einer Erhöhung des Schlaganfallrisikos um knapp 60 Prozent zu rechnen.

Für Schwefeldioxid konnten die Forscher eine Risikoerhöhung um 1,9 Prozent pro 10 ppb feststellen. Die Jahresmittelwerte liegen in Deutschland in der Regel deutlich unter 50 ppb, während Smog-Wetterlagen bei bis zu 800 ppb.

Eine solche Konzentration hätte nach den Daten von Shah eine Erhöhung des Schlaganfallrisikos um etwa 150 Prozent zur Folge.

Auch für hohe Kohlenmonoxid-Werte ließ sich ein Zusammenhang mit der Schlaganfallinzidenz nachweisen, für Ozon jedoch kaum.

Bei den gasförmigen Schadstoffen zeigte sich ebenfalls ein zeitlicher Zusammenhang mit den Spitzenwerten: Schlaganfälle traten gehäuft an Tagen mit hoher Belastung sowie einen Tag später auf, danach schwächte sich der Zusammenhang deutlich ab.

Auch scheint sich bei einer hohen Belastung das Risiko für einen ischämischen und einen hämorrhagischen Insult gleichermaßen zu erhöhen.

Partikel gelangen in den Blutkreislauf

Welche der Schadstoffe letztlich zur Steigerung des Schlaganfallrisikos bei Smog beitragen, lässt sich hieraus aber nicht eruieren, da in der Regel alle diese Stoffe an Smogtagen Spitzenwerte erreichen - sie sind also eher Marker für eine schlechte Luftqualität.

Dennoch vermuten die Forscher um Shah, dass vor allem die PM2,5Belastung das Schlaganfallrisiko erhöhen könnte. Zum einen ist der Zusammenhang deutlicher als bei den PM10-Werten, zum anderen sind diese Partikel offenbar klein genug, um über die Lunge in den Blutkreislauf zu gelangen.

In Experimenten genügten bereits winzige Mengen zur Veränderung der zerebrovaskulären Hämodynamik. Dabei kam es vermehrt zur Vasokonstriktion und verringertem zerebralem Blutfluss, so die Forscher.

Mehr zum Thema

Embolischer Schlaganfall mit unklarer Quelle

Kardio-MRT nach ESUS fördert oft relevante Befunde zutage

Neuroophthalmologischer Lifehack

Hemianopsie lässt sich auch per Telefon diagnostizieren

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System