In der eigenen Hand?

Lebensstil schlägt Genetik beim Schlaganfallrisiko

Die falschen Gene steigern das Schlaganfallrisiko um ein Drittel, der falsche Lebensstil hingegen um zwei Drittel. Beides wirkt unabhängig voneinander – wer gesund lebt, kann also genetische Nachteile etwas kompensieren.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Schlaganfall im Modell: Bei Männern wirkten sich sowohl Gene als auch Lebensstilfaktoren stärker auf die Schlaganfallinzidenz aus als bei Frauen.

Schlaganfall im Modell: Bei Männern wirkten sich sowohl Gene als auch Lebensstilfaktoren stärker auf die Schlaganfallinzidenz aus als bei Frauen.

© t.light / Getty Images / iStock

Das Wichtigste in Kürze

  • Frage: Welchen Einfluss haben Gene und Lebensstilfaktoren auf das Schlaganfallrisiko?
  • Antwort: Ein ungesunder Lebensstil erhöht das Schlaganfallrisiko um zwei Drittel, ungünstige Gene steigern es um rund ein Drittel, beides zusammen führt zu einem etwas mehr als verdoppelten Risiko.
  • Bedeutung: Ein gesunder Lebensstil lohnt sich zur Schlaganfallprävention unabhängig vom genetischen Risikoprofil.
  • Einschränkung: Nur wenige Teilnehmer der Biodatenbank geben einen ungesunden Lebensstil an. Das mag die Resultate verzerrt haben. Lebensstilfaktoren wurden nur einmalig zum Studienbeginn erhoben.

BONN. Wie bei den meisten Krankheiten wird auch beim Schlaganfall das Risiko durch ein Zusammenwirken von Genen und Umwelt bestimmt. Welchen Anteil Gene und Umwelt jeweils haben, ist aber unklar, ebenso, wie solche Faktoren interagieren. Da Schlaganfälle in der Bevölkerung für ein hohes Maß an Beeinträchtigungen sorgen, wäre es wichtig zu wissen, ob eine Lebensstiländerung auch solchen Personen nützt, die die falschen Gene mitbekommen haben, oder nur bei denjenigen ohne größere genetische Risiken.

Glaubt man den Daten eines deutsch-britischen Forscherteams, senkt ein gesunder Lebensstil das Schlaganfallrisiko unabhängig vom genetischen Risiko (BMJ 2018; 363: k4168). Von einer gesunden Ernährung und viel Bewegung scheinen also alle Menschen in ähnlichem Ausmaß zu profitieren – zumindest solche mit europäischen Vorfahren, denn nur für die konnten die Wissenschaftler um Dr. Loes Rutten-Jacobs vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn das genetische Risiko bestimmen.

Genprofile analysiert

Die Forscher stützten ihre Untersuchungen auf die MEGASTROKE-Analyse, die anhand von genomweiten Assoziationsstudien genetische Schlaganfallrisikofaktoren bei weißen Europäern aufgespürt hat. Darin wurden 90 Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP) entdeckt, die mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergehen.

Anhand dieser entwickelten die Forscher um Rutten-Jacobs einen Risikoscore und wendeten ihn auf die prospektive britische Biobank-Kohortenstudie an. Für diese wurde zwischen 2006 und 2010 rund eine halbe Million Briten eingeschrieben. Sie lieferten Genprofile sowie detaillierte Angaben zur Ernährung und zum Lebensstil.

Das Team um Rutten-Jacobs gliederte die Biobank-Teilnehmer anhand ihres genetischen Risikoscores in drei gleich große Gruppen: Solche mit hohem, mittleren und niedrigem genetischen Schlaganfallrisiko. Zudem teilten die Forscher die Personen in Gruppen mit gesundem, mäßig gesundem und ungesundem Lebensstil ein.

Sie verwendeten dazu die Richtlinien der American Heart Association (AHA): Danach führt ein gesundes Leben, wer nicht raucht, nicht allzu dick ist (BMI unter 30), sich gesund ernährt und körperlich aktiv ist (drei Stunden die Woche moderate oder eineinhalb Stunden intensive Bewegung). Als gesunde Ernährung werteten die Forscher, wenn die Teilnehmer bereits zwei von fünf Kriterien erfüllten: viel Obst, Gemüse oder Fisch, wenig prozessiertes und wenig rotes Fleisch.

Die meisten leben recht gesund

Personen mit gesundem Lebensstil mussten mindestens drei der vier AHA-Kriterien erfüllen. Dies traf auf immerhin 62 Prozent der Biobank-Teilnehmer zu. Einen moderat gesunden Lebensstil erreichten 28 Prozent, besonders ungesund lebten nur knapp 10 Prozent – die Beteiligten führten ihren eigenen Angaben zufolge also ein recht gesundes Leben.

Dafür spricht auch, dass 93 Prozent angaben, keinen Tabak zu konsumieren, knapp 60 Prozent behaupteten, körperlich regelmäßig aktiv zu sein, und 46 Prozent die Kriterien für eine gesunde Ernährung erfüllten.

Dennoch erlitten 2077 von rund 306.000 Teilnehmern mit vollständigen genetischen Daten und Angaben zum Lebensstil im Laufe von etwa sieben Jahren einen ersten Schlaganfall. Drei Viertel waren ischämische Insulte, die übrigen Ereignisse verteilten sich auf Hirn- und Subarachnoidalblutungen. Die späteren Schlaganfallpatienten waren zu Beginn im Mittel älter, zudem hatten sie deutlich häufiger ungünstige Blutdruck-, Blutzucker- und Lipidwerte als Personen ohne Schlaganfall in der Nachbeobachtungszeit.

Wurden Alter, Geschlecht und bekannte Schlaganfallrisikofaktoren berücksichtigt, so lag die Schlaganfallrate bei hohem genetischem Risiko um 35 Prozent über der von Teilnehmern mit geringem Risiko. Bei moderatem Risiko war die Rate noch um 20 Prozent erhöht. Das genetische Risiko korrelierte etwa zur Hälfte mit Blutdruck, Diabetes und der Verordnung LDL-senkender Medikamente, was darauf schließen lässt, dass viele der beteiligten Gene auf kardiometabolische Faktoren wirken. Keinen Zusammenhang gab es zwischen genetischem Risiko und BMI.

Noch deutlicher war die Assoziation mit dem Lebensstil: Teilnehmer mit einer ungesunden Lebensweise erlitten 66 Prozent häufiger einen Schlaganfall als gesund lebende Personen, bei solchen mit einem mäßig gesunden Leben ergab sich eine um 27 Prozent erhöhte Schlaganfallrate.

130 Prozent erhöhte Insultrate

Keinen Zusammenhang sahen die Forscher zwischen genetischem Risiko und Lebensstil – es ist also nicht so, dass bestimmte SNPs zu einer ungesunden Lebensweise führen und darüber das Schlaganfallrisiko erhöhen. Umgekehrt ändert sich nichts am Effekt des Lebensstils auf die Schlaganfallinzidenz, wenn die Forscher das genetische Risiko berücksichtigen: Ein ungesundes Leben erhöht danach das Schlaganfallrisiko gleichermaßen bei Personen mit und ohne ungünstige Genvarianten, oder anders ausgedrückt: Das Risiko durch Gene und Umweltfaktoren addiert sich. Bei Personen mit ungünstigen Genen und zugleich ungesundem Lebensstil fanden die Forscher eine rund 130 Prozent erhöhte Schlaganfallrate.

Am stärksten trugen Rauchen und ein erhöhter BMI zum lebensstilbedingten Insultrisiko bei. Keine Unterschiede fanden die Forscher, wenn sie zwischen ischämischen und hämorrhagischen Ereignissen differenzierten. Bei Männern wirkten sich sowohl Gene als auch Lebensstilfaktoren stärker auf die Schlaganfallinzidenz aus als bei Frauen. Männer sollten daher besonders auf eine gesunde Lebensweise achten.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Apoplex-Prävention lohnt sich

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