Schwerhörige sind nicht verkalkt

Aus Angst vor Stigmatisierung verbergen viele alte Menschen ihre Hörprobleme, obwohl diese die Lebensqualität häufig stark vermindern. Finden Betroffene zum Arzt, lassen sie sich in der Regel gut versorgen.

Von Kerstin Nees Veröffentlicht:
Bei den über 70-Jährigen sind über 80 Prozent schwerhörig.

Bei den über 70-Jährigen sind über 80 Prozent schwerhörig.

© imago

Bereits 15 Millionen Menschen in Deutschland haben ernsthafte Probleme mit dem Hören, und es werden immer mehr. Hören verschlechtert sich mit dem Alter, und der Anteil alter Menschen nimmt zu. Bei den über 70-Jährigen ist Schwerhörigkeit schon eher die Regel als die Ausnahme, wie Professor Gerhard Hesse von der Tinnitus-Klinik in Bad Arolsen in einer Studie belegt hat. Auf der Medica in Düsseldorf wird der HNO-Arzt über Schwerhörigkeit bei alten Menschen berichten.

Hesse hat in einer Studie die Hörfähigkeit von 331 über 60-Jährigen getestet. Gut hören konnten dabei nur zwölf Prozent der 71- bis 80-Jährigen und nur noch zwei Prozent der über 80-Jährigen. 37 Prozent in der jüngeren und 58 Prozent in der älteren Gruppe waren hochgradig schwerhörig. Mehr als 60 Prozent der Studienteilnehmer hätten eine Hörhilfe gebraucht, tatsächlich waren aber nur etwa 15 Prozent mit einem Gerät versorgt, so der HNO-Arzt.

Viele Betroffenen wären bereits mit einem klassischen Hörgerät gut bedient. Und: Je früher ein Hörgerät angepasst wird, desto problemloser ist das Eingewöhnen. "Betroffene ziehen sich aber eher zurück, als dass sie das Problem aktiv angehen", sagt der Leiter des Hörzentrums an der Universität Düsseldorf, Privatdozent Thomas Klenzner.

Als Ursache sieht er vor allem die Stigmatisierung von Schwerhörigen und Gehörlosen. "Wer nicht hört, gilt als doof." Eine Tagesschau-Sprecherin mit einem Hörgerät ist heute immer noch undenkbar. Die Geringschätzung von Schwerhörigen ist vielen Menschen zwar nicht bewusst, behindert aber einen offenen Umgang mit dem Hörverlust. Betroffene nehmen stattdessen eher Schwierigkeiten in Kauf und isolieren sich von ihrer Umgebung.

Für Klenzner, der zusammen mit dem Direktor der Düsseldorfer HNO-Klinik Professor Jörg Schipper das Medica-Seminar leitet, steht die Situation eines schwerhörigen Menschen bei der Versorgung im Vordergrund. "Wer im Berufsleben steht, hat andere Anforderungen als ein Patient in einer Pflegeeinrichtung."

Berufstätige müssen zum Beispiel Gespräche in Konferenzen oder mit Geschäftspartnern verstehen oder auch telefonieren können. Bei einem Patienten mit Demenz ist es hingegen entscheidend, ihn ein wenig aus der Isolation heraus zu bekommen.

Veranstaltung 421

"Möglichkeiten der Hörrehabilitation im höheren Lebensalter"

Samstag, 20. November, 10 Uhr bis 13 Uhr, CCD Ost, Raum M

Leitung: PD Thomas Klenzner, Düsseldorf Professor Jörg Schipper, Düsseldorf

"Hörrehabilitation im Alter heißt, wir können auch 80- oder 90-Jährige mit Hörhilfen versorgen und deren Lebensqualität deutlich steigern. Egal ob es die rüstige alte Dame ist, die sich im Kaffeekränzchen weiter unterhalten möchte, oder der bettlägerige Heimpatient, der seine Bedürfnisse äußern will, damit er in Würde leben kann", sagt Klenzner.

Mit modernen Hörgeräten lassen sich heute Patienten mit allen Arten und Schweregraden von Hörverlusten behandeln. In der Regel kommen klassische Hörgeräte zum Einsatz, die hinter dem Ohr getragen werden. Hierbei wird der am Ohr eintreffende Schall künstlich verstärkt.

Eine Alternative bieten Hörgeräte, die in das Mittelohr der Betroffenen implantiert werden. Sie übertragen die Schallschwingungen mechanisch an die Gehörknöchelchen und verbessern so die Hörfähigkeit.

Vor allem bei hochgradiger Schwerhörigkeit stoßen diese Geräte aber an ihre Grenzen. Hier können Cochlea Implantate helfen. Dabei stimuliert eine in die Hörschnecke eingebrachte Elektrode den Hörnerv und ermöglicht so wieder das Hören. Diese Technik ist unabhängig vom Alter bei noch vorhandenem nutzbaren Restgehör oder bei einseitiger Taubheit verwendbar.

Dafür bedarf es allerdings einer Operation sowie einer anschließenden bis zu zwei Jahre dauernden Anpassung. Über eine hörprothetische Versorgung denkt der Düsseldorfer Experte nach, "wenn ein Hörgerät, auch das stärkste, nicht mehr reicht, um sich mit seinen Angehörigen zu verständigen, wenn man trotz Hörgerät und Telefonspule nicht mehr telefonieren kann oder wenn man aus irgendeinem anderen Grund von der Kommunikation abgeschnitten ist."

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