Testosteronersatz

Zweifelhafter Jungbrunnen

Testosteronersatz wird alternden Männern nicht selten als wahrer Jungbrunnen angepriesen. Blickt man auf die Ergebnisse soeben veröffentlichter Studien, muss man konstatieren: Das Wasser in diesem Brunnen reicht höchstens bis zu den Knöcheln.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Jungbrunnen? Viele alte Männer vertrauen möglicherweise zu Unrecht auf Testosteron. Jevtic / Fotolia.com

Jungbrunnen? Viele alte Männer vertrauen möglicherweise zu Unrecht auf Testosteron. Jevtic / Fotolia.com

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Am 1. September 1937 erscheint im Magazin "Endocrinology" ein Artikel, in dem der Fall eines 27-jährigen Patienten geschildert wird. Der Mann fühlt sich durch sein feminines Äußeres und seine hohe Stimme stigmatisiert. Die Diagnose lautet auf Hypogonadismus, die Therapie besteht in Injektionen von Testosteronacetat und später Testosteronpropionat. Die Behandlung schlägt hervorragend an.

Diese fast 80 Jahre alte Geschichte schildert den ersten klinischen Einsatz von Testosteron zur Therapie von Hypogonadismus. Und noch immer ist dies die einzige unbestrittene Indikation für den Ersatz des Androgens. Doch obwohl keine echte neue Indikation hinzugekommen ist, hat sich der globale Umsatz mit Testosteronpräparaten in den vergangenen drei Jahrzehnten um das 100-Fache vermehrt.

Professor David Handelsman von der Universität Sydney, der dieses Thema erforscht und wiederholt dazu publiziert hat, errechnet für Deutschland und seine Nachbarländer allein für die Jahre 2000 bis 2011 eine Verdoppelung der verordneten Testosteron-Monatsdosen von 4,3 auf 8,5 je 1000 Personen und Jahr. Ein steiler Anstieg setzt dabei ab 2005 ein (MJA 2013; 199: 548). Diese Zahlen sind noch moderat, vergleicht man sie mit der Verzehnfachung der Verordnung von Testosteronprodukten in den USA und dem fast 40-fachen Anstieg in Kanada.

Nur mäßige Effekte der Testosteronsubstitution

Hinter dieser Entwicklung steht nicht zuletzt die Entdeckung des alternden Mannes als eines Hormonmangelwesens. Denn der Testosteronspiegel von Männern nimmt ab Mitte ihrer 40er-Jahre um bis zu 1 Prozent pro Jahr ab. 3–5 Prozent der 60- bis 79-Jährigen weisen schließlich einen echten Altershypogonadismus auf. Er geht mit mehr oder weniger spezifischen Symptomen einher, die von sexuellen Funktionsstörungen über Anämie und Knochenschwund bis zu Depressionen reichen können. Die Testosteronersatztherapie soll diesen Malaisen abhelfen.

Der Jungbrunnen will allerdings nicht so recht sprudeln, wie eine Reihe aktueller Studien in den Fachjournalen "JAMA" (2017; 317: 717) und "JAMA Internal Medicine" (online 21. Februar) zeigt. In einer der Studien beschäftigten sich die Forscher mit den Veränderungen der Knochendichte nach einjähriger Anwendung eines Testosteron-Gels. Die Knochenmineraldichte nahm unter Testosteron verglichen mit Placebo um knapp 7 Prozent zu. Offen blieb, ob sich dieser Befund auf das Frakturrisiko auswirkt.

Der Ersatz von Testosteron erhöht offenbar auch die Hämoglobinspiegel älterer Männer mit niedrigen Testosteronspiegeln. Die Sechs-Minuten-Gehstrecke etwa verlängerte sich dadurch aber nur um gut 8 m. Und eine Studie, die sich mit den kognitiven Wirkungen der Testosteronsubstitution befasste, verlief rundweg negativ. Die Hormongabe verbesserte weder die Gedächtnisleistung noch andere kognitive Funktionen von Männern mit altersassoziiert beeinträchtigtem Gedächtnis.

Angesichts eher mäßiger Nutzeffekte stellt sich umso mehr die Frage, welche Nachteile die Testosteronsubstitution möglicherweise hat. Zwei Studien haben sich mit dieser Frage beschäftigt und dabei kardiovaskuläre Komplikationen in den Blick genommen. Bei der ersten handelt es sich um eine retrospektive Kohortenstudie mit 8808 Teilnehmern (mittleres Alter: 58 Jahre) unter Testosteronersatztherapie, die im Median 3,4 Jahre nachbeobachtet worden waren. Verglichen mit 36.527 Männern, die kein Testosteron erhielten, nahmen kardiovaskuläre Komplikationen allgemein unter Testosteron um 33 Prozent ab. Speziell Schlaganfall- und TIA-Raten wurden um 28 Prozent und kardiale Ereignisse um 34 Prozent reduziert.

Plaque-Volumen nahm in Studie zu

Dieses Ergebnis steht allerdings in einem gewissen Gegensatz zu den Resultaten der zweiten Untersuchung, in welcher der Einfluss des Testosteronersatzes auf das Volumen koronarer Plaques untersucht wurde. Beteiligt waren 170 Männer, im Schnitt 71 Jahre alt, die gegen symptomatischen Hypogonadismus mit Testosteron-Gel oder Placebo behandelt wurden. Nach einem Jahr hatte das im Koronar-CT gemessene nichtkalzifizierte Plaque-Volumen in der Testosterongruppe signifikant stärker zugenommen als in der Placebogruppe. Doch Teilnehmerzahl und Studiendauer waren zu gering, um Aussagen darüber zu treffen, was die Testosterongabe – jenseits des Surrogatparameters Plaque-Volumen – für das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen bedeutet.

Nutzen und Risiken einer Testosteronersatztherapie sind damit nach wie vor nicht abschließend geklärt. Da mag eine Erkenntnis aus einer historischen Studie für alternde Männer immerhin ein schwacher Trost sein (Current Biology 2012; 22: R792–3). In der Untersuchung waren die Lebensspannen von Männern vergangener Jahrhunderte ohne und mit Hypogonadismus verglichen worden. Die Ergebnisse fielen mit einem Plus von 14 Jahren klar zugunsten der Letzteren aus. Deren geringe Hormonproduktion hatte freilich eine für die meisten Männer vermutlich wenig erstrebenswerte Ursache: Es handelte sich um Eunuchen.

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