INTERVIEW

"Ein Euro-EBM bedeutet noch lange nicht mehr Honorar"

NEU-ISENBURG. Große strukturelle Veränderung durch die gerade in Kraft getretene Gesundheitsreform erwartet der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI) nicht. Dennoch werden Wahltarife und Rabattverträge der Krankenkassen die Arbeit der Vertragsärzte in den Praxen durch wachsende Bürokratie massiv beeinträchtigen. Nur vorsichtig optimistisch zeigt sich Dr. Wolfgang Wesiack im Hinblick auf die Vergütungsumstellung auf Euro und Cent. Das bedeute nicht zwangsläufig mehr Geld, warnt der BDI-Chef im Interview mit Wolfgang van den Bergh von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Die Gesundheitsreform ist vor wenigen Tagen in Kraft getreten. Welche konkreten Auswirkungen wird diese Reform auf den Praxisalltag ihrer Kollegen haben?

Wesiack: Da das GKV-WSG ein Strukturreformgesetz ist, ergeben sich zunächst wenige Änderungen im Praxisalltag. Die Einführung neuer Wahltarife in der GKV und die Veränderungen in der PKV werden wohl im Praxisalltag bei den Kollegen als erstes "aufschlagen".

Ärzte Zeitung: . . .mit welchen Konsequenzen?

Wesiack: Es wird zu einer erheblichen Zunahme der Bürokratie in der Abwicklung von Patienten mit Wahltarifen, mit DMP-Verträgen, mit anderen selektiven Verträgen, Rabattverträgen u.s.w. kommen. Die Praxiskosten werden steigen, die Erträge aber fallen.

Ärzte Zeitung: Der BDI hat zeitweise massiv die neue Reform bekämpft. Welche Strategie schlägt der BDI jetzt ein?

Wesiack: Unsere Proteste waren so stark wie nie zuvor, hatten aber bei einer großen Koalition kaum eine Chance. Also müssen wir unsere Protestform ändern: schnellere und bessere Kommunikationsstrukturen, eine professionelle Öffentlichkeitskampagne, bessere Organisationsformen und vor allem noch mehr Solidarität sind dringend erforderlich.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet das konkret? Wird sich der Internistenverband mit einer eigenen gesundheitspolitischen Expertise künftig stärker zu Wort melden?

Wesiack: Der BDI, der in allen Versorgungsbereichen - im Krankenhaus, in Hausarzt- und in Facharztpraxen - vertreten ist, wird sich in Zukunft noch stärker gesundheitspolitisch zu Wort melden, auch in der Vorbereitung der nächsten Gesundheitsreform.

Ärzte Zeitung: Über die negativen Seiten der Reform ist viel gesagt und geschrieben worden. Bietet die Reform nicht auch Chancen?

Wesiack: Chancen gibt es - im Unterschied zum Vertragsarztrechtsänderungsgesetz - nur wenige, die wir aber nutzen werden. Dazu gehören sicherlich die selektiven Verträge. Dem neuen EBM (2008 plus?) sehe ich zunächst eher skeptisch entgegen. Ich lasse mich aber gerne bekehren.

Ärzte Zeitung: Stichwort: selektive Verträge. Ist das nicht eine große Chance für den Berufsverband, sich stärker zu profilieren?

Wesiack: Am Vertragssystemwettbewerb wird der BDI aktiv gestaltend teilnehmen. Wir können mit unserem Verband sämtliche Versorgungsebenen bei internistischen Erkrankungen abbilden. Wettbewerb stößt aber bei einem solidarisch finanzierten System sehr schnell an seine Grenzen.

Ärzte Zeitung: Stichwort EBM: Ab 2009 soll es eine Gebührenordnung in Euro und Cent geben. Wie bewerten Sie die Möglichkeit, dass dadurch mehr Geld ins System kommt?

Wesiack: Eine Gebührenordnung in Euro und Cent ergibt noch lange nicht mehr Honorar. Ich befürchte, dass 2009 nicht mehr, womöglich sogar weniger Geld für die vertragsärztliche Versorgung vorhanden sein wird. Die Eröffnungsbilanz des Gesundheitsfonds in 2009 wird die großen Versorgerkassen an den Rand der Insolvenz bringen. Zusätzlich wird es, unabhängig von der Honorarreform, erheblich veränderte Finanzströme zu den einzelnen KVen geben. Es wird Gewinner- und Verlierer-KVen geben.

Ärzte Zeitung: Zusatzfrage: Man hört, dass die Berechnungsgrundlagen bleiben sollen. Was tut der Verband, damit mögliche Honorarungerechtigkeiten nicht fortgeschrieben werden?

Wesiack: Die Veränderungen des EBM 2008plus werden ohne neue Mittel gering sein. Pauschalierungen werden weiter zunehmen. Die ärztliche Leistung wird nicht mehr adäquat abgebildet sein. Wir werden darauf dringen, offensichtliche Fehlkalkulationen zu korrigieren. Zusammen mit den völlig veränderten Mittelströmen zu den KVen könnte ein neuer fehlkalkulierter EBM den "Super-Gau" für das KV-System bedeuten.

Ärzte Zeitung: Themenwechsel: Im Herbst planen sie den ersten Deutschen Internistentag in Berlin. Welche konkreten Ziele verfolgen Sie damit?

Wesiack: Beim ersten Deutschen Internistentag im Herbst werden gesundheitspolitische Themen aus Sicht der Inneren Medizin im Mittelpunkt stehen. Auch wird eine erste Bilanz der Gesundheitsreform zu ziehen sein. Langfristig geht es uns darum, den Internisten als wichtige Säule der Versorgung und besondere Qualitätsmarke im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern.

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